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Roderich Kiesewetter: Kooperative Sicherheit heißt gleiche Rechte und gleiche Pflichten

Rede zum Einzelplan 05 des Auswärtigen Amtes

Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meinen Geburtstag habe ich seinerzeit 2001 tatsächlich in den USA verbracht und nicht so gute Erinnerungen daran. Danke, dass ich meinen Geburtstag heute in der Runde von Kolleginnen und Kollegen begehen darf.

Viele von Ihnen haben heute die Besorgnis kundgetan, dass die internationale regelbasierte Ordnung unter Druck steht. Diese Besorgnis sollten wir wenden und es als unsere Aufgabe verstehen, als Aufgabe Deutschlands in Europa, als Aufgabe der Europäischen Union, uns sehr stark für den Erhalt und die Wiederherstellung der regelbasierten internationalen Ordnung einzusetzen – für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, freien Welthandel, aber auch für koordinierte Entwicklungszusammenarbeit –, und wir sollten unsere Kraft dafür einsetzen, dass die, die in den letzten Jahren davon abgewichen sind, auf den Pfad der regelbasierten Ordnung zurückgeführt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte das am Beispiel Russlands deutlich machen. Putin hat im Juli 2018 in London kurz vor dem G-20-Gipfel sehr deutlich gesagt, der Liberalismus sei abgenutzt. Lassen Sie uns das als Ermahnung begreifen. Aber er ist nicht abgenutzt; vielmehr müssen wir uns neu sortieren. Lassen Sie mich drei Herausforderungen ansprechen, mit denen uns Russland konfrontiert und über deren Umgang auch in diesem Hause keine Einigkeit erzielt werden kann.

Die erste der drei Herausforderungen ist aus meiner Sicht der Mythos, dass Russland in einer Opferrolle sei, weil ost- und mitteleuropäische Staaten sich für NATO und EU entschieden haben. Dem sollten wir – und das ist die feste Auffassung der Union – gegenhalten. Es gibt die Charta von Paris, der sich auch Russland angeschlossen hat, und in der es heißt: freie Bündniswahl und territoriale Unversehrtheit. Das ist unsere Position gegen dieses Narrativ.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Zweite: Wir sollten uns sehr sorgfältig die russische Sicherheitsdoktrin anschauen. Die russische Sicherheitsdoktrin definiert Sicherheit so: Die Stärkung Russlands geschieht dann, wenn die Sicherheit der Nachbarn geschwächt ist. Das ist nicht unsere Auffassung von kooperativer Sicherheit. Kooperative Sicherheit heißt gleiche Rechte und gleiche Pflichten, und das sollten wir von Russland wieder einfordern.

Der dritte Punkt berührt die gesamte Frage der Sanktionen. Hier gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. Wir sollten aber eines klarmachen: Die Sanktionen sind die Folgen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine. Wir müssen aber auch daran appellieren, dass die Ukraine das Minsker Abkommen einhält; denn auch dort ist Korruption zu bekämpfen und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Aber das darf nicht Anlass für Russland sein, nichts zu tun und den Minsker Prozess zum Erlahmen zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb: nicht die Sanktionen aussetzen und Russland damit belohnen, dass sie beharrlich dagegen gekämpft haben, sondern die Sanktionen koppeln an den Minsker Prozess.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Georg Link [FDP])

Ich will natürlich auch Lösungsvorschläge unterbreiten. Wir müssen die drei Herausforderungen bewältigen, aber bisher besteht keine Einigung im Hause darüber, wie das geschehen soll. Unsere Position habe ich eben dargestellt.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Ja, gerne.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege Neu.

Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE):

Herr Kollege Kiesewetter, Sie haben gerade mal wieder den Minsker Prozess hervorgehoben und gesagt, dass Russland den nächsten Schritt blockieren würde. Es gibt da ja eine genaue Chronologie. Und gemäß dieser Chronologie wäre Kiew an der Reihe. Gibt es eigentlich Sanktionen Ihrerseits gegen Kiew, weil Kiew den Minsker Prozess blockiert?

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Russland ist an der Reihe!)

Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):

Lieber Herr Dr. Neu, ich gebe Ihnen dahin gehend recht, dass beide Seiten gefordert sind. Wir erleben aber, dass in der Ukraine 2 Millionen Menschen binnenvertrieben sind, ihre Heimat verloren haben, dass über 10 000 Menschen ums Leben gekommen sind, dass 35 000 Menschen verletzt wurden und dass es ständig, immer wieder zu Provokationen kommt, ja, beider Seiten; aber nachgewiesenermaßen kam es zu einem Abschuss eines zivilen Verkehrsflugzeugs durch Russland, und Russland wirkt an der Aufklärung nicht mit. Russland schiebt die Verantwortung Richtung Ukraine, statt selbst für Transparenz zu sorgen. Das ist ein Beispiel für das, was ich angeführt habe: Sicherheit bedeutet für Russland Schwächung dernUkraine. – So können wir nicht mit Russland zusammenarbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, drei Lösungen halte ich für sehr sinnvoll:

Erstens. Neben unseren Beiträgen innerhalb der NATO und der Europäischen Union müssen wir in der Lage sein, Vorschläge, die von Russland kamen, aufzugreifen, um einen gemeinsamen Raum transatlantischer Sicherheit zu schaffen. Voraussetzung dafür ist aber wechselseitiges Vertrauen und die Bereitschaft, gegenseitig für Transparenz zu sorgen. Wir wollen also einen transatlantischen Raum der Sicherheit – mit NATO und EU –, der langfristig aber auch Russland offenstehen sollte, wenn es sich bewegt.

Zweitens. Wir dürfen die russische Politik des Nullsummenspiels nicht mitmachen. „Nullsummenspiel“ heißt: Des einen Freud ist des anderen Leid, des einen Stärke ist des anderen Schwäche. – Herr Dr. Neu, das zu Ihrer Erinnerung. – Wenn wir dieses Nullsummenspiel aufgeben wollen, dann müssen wir ganz klar sagen: Wir stehen für territoriale Unversehrtheit und für die freie Bündniswahl. Dann können wir auch diesem russischen Narrativ etwas entgegenhalten.

Drittens. Es wird immer wieder darüber gesprochen, dass Russland isoliert sei. Ja, Russland hat sich selbst isoliert. Wir sollten in unserer Russland-Politik jedoch aufpassen, nicht etwas zu fördern, was zu einer geopolitischen und geoökonomischen Allianz zwischen Russland und China führen kann. Eine solche Allianz wäre ein Riesenfehler, weil sie erstens nicht die russischen Probleme lösen würde und sie zweitens die Spaltung der Weltgemeinschaft verstärken würde. Die russischen Probleme lösen wir nicht durch Aufhebung der Sanktionen. Diese Probleme kann Russland nur selbst lösen: durch Korruptionsbekämpfung, Beendigung der Staatsoligarchie, Durchsetzung von Menschenrechten und Wirtschaftsreformen.

In diesem Sinne glaube ich, dass die Bundesrepublik, die im zweiten Halbjahr des nächsten Jahres die EU-Präsidentschaft übernimmt, eine ganze Reihe von Punkten auf die europäische Agenda setzen kann. Wir als Bundestag sollten das unterstützen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)