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Paul Lehrieder: Wir wissen nicht, wie die Reisebranche coronabedingt in wenigen Monaten aufgestellt sein wird

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Epl. 07)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin Lambrecht! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Iudex non calculat“ – nicht die reine Anzahl der Argumente für oder gegen etwas zählt, sondern dass man in der Lage ist, gut zwischen ihnen abzuwägen und auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen. Dieser Etat ist dafür das beste Beispiel.

Der monetäre Aspekt steht für mich deswegen bei der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 07 des BMJV nicht primär im Zentrum. Wir haben hier traditionell – meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen – den bei Weitem kleinsten Etat im Bundeshaushalt mit ganzen 0,2 Prozent Anteil am Bundeshaushalt bei der gleichzeitig höchsten Deckungsquote durch Einnahmen von immerhin über 60 Prozent. Das liegt vor allem an den Einnahmen durch das Patent- und Markenamt sowie des Bundesamtes für Justiz.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte im Folgenden drei Teilbereiche und Vorhaben ansprechen, die heute noch nicht ausreichend thematisiert worden sind.

In der letzten Sitzungswoche haben die parlamentarischen Beratungen zum Gesetzentwurf über die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts begonnen. In der nächsten Woche wird es dazu eine Sachverständigenanhörung geben. Es ist gut und wichtig, dass wir dieses Gesetz, von dem viele Millionen Menschen sehr persönlich betroffen sind, jetzt angehen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein sehr großes, ehrgeiziges und gleichsam eines der wichtigsten Reformprojekte in der gesamten Legislaturperiode.

Im Vormundschaftsrecht müssen wir uns dabei auf Kinder und Jugendliche fokussieren, deren Eltern die elterliche Sorge ganz oder teilweise wegen Kindeswohlgefährdung entzogen wurde. Wir wollen daher mit dieser Reform einen stabilen Grundstein für die positive Entwicklung dieser Kinder legen.

Im Betreuungsrecht geht es um die nicht minder wichtige Frage, was passiert, wenn ein Mensch eine bestimmte Situation nicht oder nicht mehr allein händeln kann. Die Gründe dafür können vielschichtig und komplex sein und sind in der Regel mit gravierenden Einschränkungen verbunden: das hohe Lebensalter, eine Krankheit, eine Behinderung. Wir müssen uns ebenfalls fragen: Wie ist die Situation der Betroffenen, der Angehörigen, der Ehegatten, der beruflichen und ehrenamtlichen Betreuer?

Das zentrale Ziel der Reform des Betreuungsrechts ist die Stärkung der Selbstbestimmung der betroffenen Menschen vor und während der rechtlichen Betreuung – ganz im Sinne des Artikels 12 der UN-Behindertenrechtskonvention. Das ist ein wesentliches Signal für alle Betroffenen. Ich habe es auch deshalb bewusst hier angesprochen, weil es eines der größeren und für die Menschen sehr wichtigen Projekte sein wird.

Herr Fechner, Sie haben ausgeführt, was wir schon alles erreicht haben, wer alles wofür kausal die Verantwortung getragen hat. Ich möchte gerne sagen: Der Erfolg hat viele Väter und, Frau Rawert, sicherlich auch viele Mütter.

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD] – Mechthild Rawert [SPD]: Auch Sie hatten eine Mutter!)

– So kriegt man auch einen Applaus. Jetzt klatschen Sie mal gescheit. – Meine Damen und Herren, zum ehrlichen Abwägen gehört aber auch, dass wir noch ein bisschen was zu tun haben. Wir haben noch neun Monate vor uns.

Frau Ministerin, ich möchte noch ein wichtiges Vorhaben ansprechen, das gerade uns als Tourismuspolitiker sehr am Herzen liegt. Nicht ganz zufällig sitzt direkt neben Ihnen der Staatssekretär Thomas Bareiß, der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung. Schräg vor Ihnen sitzt die Kollegin Sarah Ryglewski. Ich möchte ein Thema ansprechen, das genau zwischen den beiden liegt.

(Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär: Meinen Sie mich?)

– Nein, Sie sind jetzt nicht angesprochen, Herr Kollege Krings. – Im Frühjahr, während der Coronakrise, haben Sie, Frau Ryglewski – nicht Sie persönlich, aber das Bundesfinanzministerium –, die Forderungen ausgeglichen, die durch die Insolvenz von Thomas Cook nicht abgedeckt waren. Die 110 Millionen Euro Insolvenzabsicherung haben bei Thomas Cook bei Weitem nicht ausgereicht.

Wir sind jetzt gegenüber der Reisebranche dafür verantwortlich, dass wir in dieser Periode noch Nägel mit Köpfen machen und für die Zukunft etwas Vernünftiges bei der Insolvenzabsicherung hinbekommen. Wir wissen nicht, wie die Reisebranche coronabedingt in wenigen Monaten aufgestellt sein wird. Frau Ryglewski, Sie haben das Geld im Frühjahr bezahlen müssen.

Ich würde mir zu Weihnachten wünschen, liebe Frau Ministerin, dass Sie sich vielleicht im Anschluss an diese Debatte gemeinsam mit Herrn Staatssekretär Bareiß zusammensetzen und mal darüber sprechen, wie man bei der Insolvenzabsicherung im Pauschalreiserecht in Zukunft verfahren kann. Denn die Zeit läuft uns allmählich davon; wir haben noch neun Monate. Voraussichtlich Ende September ist Bundestagswahl, wie der Herr Bundespräsident gestern gesagt hat. Das heißt, wir sollten jetzt allmählich Nägel mit Köpfen machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, bei der Neuregelung sollte nicht bloß auf die Anhebung der in § 651r Absatz 3 Satz 3 BGB genannten Haftungsbegrenzung Bezug genommen werden. Eine Haftungsbegrenzung von Kundengeldabsicherern in Höhe von 110 Millionen Euro reicht bei Weitem nicht aus. Wir wissen nicht, was in Zukunft in der Branche passieren wird. Wir können nicht hinreichend gewährleisten, dass die neue Summe bei einer künftigen Insolvenz eines großen Reiseveranstalters nicht überschritten würde.

Eine auf den bisher zulässigen Sicherungsinstrumenten Versicherung und Bürgschaft basierende unbeschränkte Lösung bei einem Wegfall der Haftungsbegrenzung wäre allerdings von Reiseveranstaltern wahrscheinlich nicht finanzierbar. Hier bedarf es einer vernünftigen Hybridlösung mit einer Bürgschaft des Bundes für die Übergangszeit; denn in den nächsten paar Jahren wird über eine Fondslösung noch nicht genügend Geld von den Reiseveranstaltern eingezahlt werden können. Wir werden auch eine Kombination mit Versicherungslösungen stückweise anstreben. Es erfordert viel Grips und viel Leidenschaft der Beteiligten, dass wir das noch in dieser Periode hinbekommen. Das wünsche ich mir. Mein einziger Wunsch an Sie, Frau Lambrecht, vor Weihnachten ist, dass wir das noch auf die Reihe bekommen können.

Meine Damen und Herren, ich möchte auch noch die Justizausstattung der Länder ansprechen. Wir haben den Pakt für den Rechtsstaat im Koalitionsvertrag aufgeführt mit 2 000 zusätzlichen Planstellen für Richter und Staatsanwälte und immerhin mit 220 Millionen Euro Einmalzahlung. Ein Teil davon ist bereits durch Gesetzgebungsvorhaben in den letzten Monaten aufgebraucht worden.

Das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität wird den Justizbehörden in den Ländern natürlich mehr Arbeit machen. Es wird das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder von den Staatsanwälten, von den Richtern umzusetzen sein. Da müssen wir vieles tun. Gleichzeitig wissen wir: Bis 2040 werden 40 Prozent der Richter und Staatsanwälte in Pension gehen.

Herr Präsident, Sie signalisieren mir durch das Leuchten schon wieder das Ende meiner Redezeit. Jetzt habe ich gerade eine Sekunde überzogen.

Meine Damen und Herren, wir haben vieles zu tun. Das Ministerium hat zwar einen sehr kleinen Haushalt, aber sehr viel Macht. Nutzen wir diese Macht in den nächsten Monaten bewusst und offensiv. Dann, lieber Herr Fechner, können wir auch wieder sagen: Diese Große Koalition hat viele Väter und Mütter, die zu ihrem Erfolg beigetragen haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)