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Monika Grütters: Kultur ist keine Delikatesse für Feinschmecker, sondern Brot für alle

Rede in der Generaldebatte Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt zum Einzelplan 04

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor nicht allzu langer Zeit wären solche Zahlen dann aber doch ein Grund zur Freude gewesen. Insgesamt mehr als 1,94 Milliarden Euro sieht der Regierungsentwurf für den Haushalt 2021 für Kultur und Medien vor. Das sind 6,6 Prozent mehr als im Vorjahr und gut 60 Prozent mehr, als der Kulturetat bei meinem Amtsantritt hatte.

Im Juli haben wir außerdem mit „Neustart Kultur“ das größte Konjunkturprogramm für die Kultur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet: 1 Milliarde Euro zusätzlich für die Kultur.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Für das Schaufenster!)

Und es freut mich, dass es gelungen ist, ein eigenes Rettungs- und Zukunftsprogramm für die Kultur durchzusetzen, obwohl Kultur in Deutschland bekanntlich vor allen Dingen Sache der Bundesländer ist. Die Anstrengungen des Bundes seien außergewöhnlich, kommentierte zusätzlich kürzlich eine Kulturjournalistin mit den Worten: „In keinem Land weltweit wird die Kultur in Corona Zeiten so üppig unterstützt.“

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nach Freuen ist mir – und klar: uns allen – trotzdem nicht zumute. Zu groß ist pandemiebedingt die Not vieler Künstlerinnen und Künstler, zu gewaltig sind die Herausforderungen für die Kultureinrichtungen und auch für die Unternehmen der Kulturwirtschaft.

Ich kann die Verzweiflung und die Existenzangst echt nachempfinden, Frau Achelwilm. Das ist kein Privileg Ihrer Seite. Glauben Sie mir, Herr Grundl: Schulterzucken sieht anders aus. Wir – damit meine ich nicht zuletzt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BKM, die dafür seit Monaten im Dauereinsatz sind; Herr Grundl hört nicht zu –

(Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)

tun alles, was in unseren Möglichkeiten steht, um die Not zu lindern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Machen Sie einen runden Tisch!)

„Neustart Kultur“ ist bereits im Juli angelaufen und stößt auf enorme Resonanz. Bei uns fließen die Mittel übrigens in großer Zahl auch ab. Das Programm ist ganz bewusst auf die Sicherung der Infrastruktur ausgerichtet; denn, Frau Achelwilm, sie ist der Schlüssel, um Arbeitsmöglichkeiten und damit Einkommen für Künstlerinnen und Künstler, wie übrigens auch – das wird häufig vergessen – für alle anderen im Kulturbereich Tätigen, die nicht auf der Bühne stehen, sondern dahinter, zu garantieren.

Darüber hinaus kann ich nur an die zuständigen Länder appellieren, sehr differenziert darüber nachzudenken, wie man mit pragmatischen Konzepten vor allem das Bühnengeschehen möglichst wieder ans Laufen bringt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Das ist, finde ich, das Mindeste, das wir Künstlerinnen und Künstlern schuldig sind; denn Kultur ist keine Delikatesse für Feinschmecker, sondern Brot für alle.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])

Und, Herr Jongen, sie ist existenziell und von zentraler Bedeutung für eine starke und lebendige Demokratie. In diesem Sinne sieht unser Regierungsentwurf Mehrausgaben ganz besonders für die Aufarbeitung und Geschichtsvermittlung – das kann ich Ihnen nur empfehlen –, für politische Bildung und kulturelle Teilhabe vor. Die Deutsche Welle beispielsweise als Botschafterin demokratischer Werte im Ausland soll zusätzlich 22,5 Millionen Euro bekommen. 3 Millionen Euro mehr gibt es für Orte der Demokratiegeschichte. Mit einer halben Million Euro wollen wir die Aufarbeitung des Kolonialismus vorantreiben, das erste Mal übrigens mit einem eigenen Haushaltstitel. Natürlich wird auch das Humboldt Forum dazu beitragen, das im Dezember seine Pforten öffnet. Einige stören sich an der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Wir stärken sie mit 14,5 Millionen Euro, um übrigens, wenn das Land Berlin mitzieht, einen eintrittsfreien Sonntag hinzubekommen. Und nicht minder wichtig für kulturelle Teilhabe ist die Bundeskulturförderung im ländlichen Raum. Dazu zählen Bereiche wie „Zukunftsprogramm Kino“ mit 15 Millionen Euro, 20 Millionen Euro für Braunkohleregionen und ein Förderprogramm für Industriekultur, weil wir natürlich wissen, dass es gerade dort, wo sich Menschen abgehängt fühlen oder vom Strukturwandel überfordert sind, Orte des Austausches und Raum für Debatten geben muss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm?

 

Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin:

Nein, ich setze meine Rede fort. – Kunst, Kultur und Medien sind unverzichtbar für Verständigung. Sie sind auch essenziell für die europäische Einheit in Vielfalt. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass im Recovery Fund oder vor allen Dingen im Progamm „Creative Europe“ für die Kultur gesorgt wird.

Ich komme zum Schluss.

„Alle Menschen werden Brüder“ – das ist keine romantische Verklärung, sondern ein andauernder Arbeitsauftrag an uns alle.

So formuliert das der Pianist Igor Levit zur Europahymne, dem Schlusschor der 9. Symphonie Ludwig van Beethovens.

Nehmen wir – Herr Jongen, das gilt auch Ihnen – den Auftrag ernst. Stärken wir die Kräfte, die Gräben und Grenzen überwinden helfen und nicht vertiefen, wie das der rechte Rand häufig tut. In diesem Sinne bitte ich Sie darum, den Haushaltsentwurf für das Jahr 2021 zu unterstützen und uns in den parlamentarischen Beratungen konstruktiv zu begleiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD])