Skip to main content

Gunther Krichbaum: Die Rechtsstaatlichkeit ist ein Prinzip in Europa

Redebeitrag in der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 05 des Auswärtigen Amtes

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am kommenden Samstag feiern wir 30 Jahre Wiedervereinigung. Der Fall der Berliner Mauer ging dem voraus, aber es war nicht nur der Fall der Berliner Mauer. Es war der Fall des Eisernen Vorhangs. So feiern wir eben nicht nur die Wiedervereinigung Deutschlands, sondern auch die Wiedervereinigung Europas. Es war jemand anderes, der einst sagte: Die ersten Steine der Berliner Mauer, lieber Kollege Sarrazin, wurden von Polen herausgebrochen. – Ich glaube deswegen: In diesen Tagen sollten wir uns insbesondere des Muts vieler in Europa erinnern, die hier vorangegangen sind; denn ohne sie wäre all das nicht möglich gewesen.

Ich möchte an diesem heutigen Tag im Rahmen einer Haushaltsdebatte nur einmal daran erinnern – wir reden ja oft über Zahlen oder über das, was vielleicht hätte noch besser gemacht werden können, was sicherlich alles richtig ist –: Wenn wir auch mal den Blick zurück wagen und schauen, wie die Länder, wie ganze Landstriche damals aussahen, dann sehen wir dabei eben auch, welche Erfolgsgeschichte die europäische Integration ist, ohne die die deutsche Wiedervereinigung so nicht hätte stattfinden können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben seit der Wiedervereinigung nun zum vierten Mal die Ratspräsidentschaft inne. In der Tat: Viele dicke Brocken lagen vor uns, liegen nach wie vor vor uns. Vieles konnte auch schon angepackt und gelöst werden – auch hier nicht durch Deutschland allein. Die Basis für den Erfolg der Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen und natürlich auch zum Wiederaufbaufonds, dem Recovery Fund, wie er auch genannt wird, wurde vor allem durch einen deutsch-französischen Kompromiss gelegt. Einmal mehr: Ohne Deutschland und Frankreich im Zusammenwirken wird dieser Motor, den wir in Europa brauchen, nicht funktionieren bzw. sich das Ganze nicht bewähren.

Ich finde, heute ist ein erfreulicher Tag – Michael Roth hat darauf bereits hingewiesen –, was das Thema der Rechtsstaatlichkeit und den Rechtsstaatsmechanismus angeht:

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hast du den Text gelesen?)

Wir konnten in Brüssel mit einer Mehrheitsentscheidung nun dem deutschen Vorschlag zum Erfolg verhelfen,

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gar kein Rechtsstaatsmechanismus!)

der einigen Ländern nicht weit genug geht.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir auch nicht! Ich habe ja all das gelesen, was drinsteht! – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist ein schwacher Vorschlag!)

– Kollege Graf Lambsdorff, da haben Sie durchaus recht. – Ich denke da an Belgien, die Niederlande, Dänemark, Schweden, aber auch

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Österreich!)

Finnland, denen dieser Vorschlag nicht weit genug geht. Aber ich glaube, es ist im ersten Aufschlag ein Kompromiss; denn zum ersten Mal haben wir nun tatsächlich veritabel festgelegt,

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Rechtsstaatsmechanismus!)

dass die Rechtsstaatlichkeit ein Prinzip in Europa ist,

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es wurde rausgestrichen!)

das gelebt werden muss.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ein Kompromiss muss ja am Ende stehen! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wurde eben rausgestrichen!)

Das halte ich für wichtig; denn es geht nicht nur um Polen und Ungarn oder um ein Polen- und Ungarn-Bashing. Es gab andere Länder, die in diesem Windschatten mitgesegelt sind, wenn ich nur mal an die Vorkommnisse in der Slowakei oder auch in Malta erinnere, die letztlich nicht immer diesen prominenten Platz in der Medienberichterstattung hatten, aber durchaus ein stärkeres Draufschauen verdient gehabt hätten.

Wir haben nun – auch das ist Teil der deutschen Ratspräsidentschaft – einen Vorschlag zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem auf dem Tisch. Die Kommission hat ihn diese Woche präsentiert. Das ist ein guter Vorschlag – auch das eine gute Grundlage für ein gemeinsames Handeln. Aber streng genommen ist das nicht die Grundlage. Die Grundlage, damit wir endlich zu einem gemeinsamen Handeln in Europa kommen, ist die Genfer Flüchtlingskonvention, die nebenbei von allen Staaten in Europa unterschrieben wurde: auch von Polen, auch von Ungarn, auch von Tschechien,

(Michael Georg Link [FDP]: Exakt! So ist es!)

auch exakt von den Visegradstaaten. Das gilt es stärker in Erinnerung zu rufen.

(Michael Georg Link [FDP]: Ganz genau!)

Das ist die Verpflichtung unseres Handelns, wenn wir hier endlich zu einer Lösung kommen möchten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich möchte nicht auf die vielen anderen außenpolitischen Herausforderungen eingehen, die heute Morgen durch die Bundeskanzlerin, aber auch vorhin schon durch Michael Roth beleuchtet wurden. Ein dicker Brocken bleibt, der in der Debatte heute bislang noch nicht so fokussiert wurde. Das ist das Thema Brexit.

Allen voran möchte ich mich hier herzlich bedanken für die Verhandlungsführung von Michel Barnier. Das ist schon großartig, mit welcher Contenance, mit welcher Geduld er das Ganze für uns, für die Europäische Union macht. Er lässt sich überhaupt nicht provozieren. Ein solches Verhalten ist ja nicht nur in diesen Tagen gefragt, sondern ist auch während der Verhandlungen für das Austrittsabkommen gefragt gewesen; denn Großbritannien hat ja die Europäische Union bekanntermaßen bereits zum 31. Januar dieses Jahres verlassen.

Zur Wahrheit gehört aber tatsächlich auch, dass es nicht richtig vorangeht. In der Tat wurde die Zeit über den Sommer hinweg vergeudet. Das Folgeabkommen besteht ja nicht nur aus dem Wirtschaftspakt, sondern auch aus der Sicherheitspartnerschaft, über die im Übrigen Großbritannien gar nicht mehr verhandeln will. Das ist schade, weil wir das gerade im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit, in Fragen des Datenaustausches bräuchten; darauf will ich jetzt aus Zeitgründen nicht im Detail eingehen.

Aber wahr ist natürlich auch: Jedes Land bestimmt letztlich selbst, welche Annäherung es mit der Europäischen Union suchen mag. Gleichwohl gilt aber genauso, dass bestehende Abkommen einzuhalten sind. Boris Johnson verspielt den letzten Funken der Glaubwürdigkeit, wenn er nun auch einen bereits bestehenden Vertrag nicht mehr respektiert, sondern durch das sogenannte Binnenmarktgesetz konterkariert.

Wir verlangen von den Beitrittskandidaten Respekt vor Rechtsstaatlichkeit und rechtsstaatlichen Prinzipien. Wir verlangen es auch von Ungarn, Polen, Slowakei, Malta, wie vorhin erwähnt. Wir verlangen es aber auch von den Ländern, die mit der Europäischen Union in eine Handelspartnerschaft eintreten möchten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Frank Schwabe [SPD])

Deswegen ist es nicht akzeptabel, dass über ebendieses Binnenmarktgesetz die Eingangsschneise gelegt werden soll, dass beispielsweise in Großbritannien durch staatliche Unterstützungen der faire Wettbewerb in Europa unterlaufen wird, dass wir unseren Unternehmen letztlich die Bürden auferlegen, die ein anderes Land dann nicht einhalten will, nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!

Es ist schade, dass Boris Johnson sein Szenario hier vor dem Hintergrund fährt, von innenpolitischen Defiziten abzulenken: abzulenken von einem katastrophalen Handling der Coronakrise in Großbritannien, abzulenken aber auch von vielen anderen innenpolitischen Schwierigkeiten, um es noch höflich zu sagen. Der Druck in Großbritannien nimmt aber vor dem Hintergrund der Unabhängigkeitsbestrebungen von Schottland weiter zu.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Unsere deutschen Unternehmen, aber auch andere in Europa sind gut beraten, sich auf einen harten Winter einzustellen; denn selbst wenn es noch gelingt, ein Freihandelsabkommen zu erwirken, werden trotzdem an den Grenzen Zollkontrollen stattfinden müssen. Darauf sollten sich alle einstellen, unsere Wirtschaft ganz besonders.

Unsere Hand bleibt ausgestreckt – es war immer zum Vorteil Europas, wenn wir Hand in Hand gegangen sind.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)