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Gitta Connemann: Miteinander statt gegeneinander

Redebeitrag in der Haushaltswoche zum Einzelplan 10 - Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haben Sie schon mal ein Ferkel aufgezogen?

(Hermann Färber [CDU/CSU]: Ja, klar! Und was für schöne!)

– Der Kollege Hermann Färber kann diese Frage mit Ja beantworten. Damit weiß er auch: Von der Trächtigkeit bis zum Verkauf dauert es 190 Tage. Das sind 190 Tage Fürsorge, Arbeit und Kosten. Wissen Sie, was aktuell für ein Ferkel bezahlt wird? 200 Euro? 100 Euro?

(Ulli Nissen [SPD]: 60 Euro!)

– Nein. – Ich sage es Ihnen: Aktuell werden pro Ferkel 22 Euro bezahlt. Von diesen 22 Euro bleiben dem Ferkelerzeuger genau 0 Cent.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Er zahlt dazu!)

Er bringt jeden Tag Geld mit, wenn er in den Stall geht. Von Mindestlohn kann er nur träumen. Seine Realität wird bestimmt durch ruinöse Preise, durch Kosten für Stallumbauten, und das nach der Düngeverordnung. Das ist einfach zu viel. Ein junger Landwirt sagte mir jetzt: An keiner Stelle sieht man den Weg. – Die Folgen: Die Ställe bleiben leer. Beim Sozialdienst läuft das Telefon heiß. Insolvenzen sind kein Fremdwort mehr.

Dabei legen wir heute einen Rekordhaushalt vor. Noch nie gab es so viel Geld: von Tierwohl bis zur Sozialversicherung. Wir puffern zum Beispiel die Auswirkungen der Düngeverordnung mit immerhin 1 Milliarde Euro ab. Respekt, liebe Julia Klöckner, und danke, lieber Christian Haase, übrigens auch für die Mittel für den Wald!

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Das bringt ja nichts!)

Wir nennen das nicht „verpuffen“, lieber Harald Ebner. Wir nennen das Hilfe für die Waldbauern, die diese dringend brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber wir sind weiter gefordert. Wir brauchen ein Nothilfeprogramm für die Sauenhalter: schnell, direkt, unmittelbar, als Zuschuss, nicht als Darlehen. Die Ferkelerzeuger sind nämlich das schwächste Glied. Aber auch andere Landwirte wissen nicht mehr weiter: Milchbauern, Putenmäster, Obstbauern; dabei ist es übrigens egal, ob öko oder konventionell. Viele verzweifeln; zur wirtschaftlichen Misere kommt nämlich die gesellschaftliche Ächtung hinzu. Diese Landwirte stehen mit dem Rücken an der Wand; denn Strukturen versagen.

Erstens. Auch in der Politik gilt: Bevor wir andere zur Verantwortung ziehen, sollten wir uns selbst an die Nase fassen; denn wir tragen politische Verantwortung und schaffen immer neue Vorgaben.

(Carina Konrad [FDP]: Ja!)

Dabei wissen wir: Jede Auflage beschleunigt den Strukturwandel. Eine Politik für bäuerliche Familienbetriebe muss maßhalten und sich darauf beschränken, einen fairen Rahmen, einen Korridor zu setzen, in dem Landwirte sich auch bewegen können. Das gibt Flexibilität, das schafft Planungssicherheit, die ersehnt wird, und das zeigt am Ende auch Zukunftsperspektiven.

Dazu gehört aber Vertrauen. Genau dieses Vertrauen zeigt einer nicht: der Entwurf für ein Insektenschutz-Gesetz von Ministerin Schulze. Über die mangelnde Fachlichkeit dieses Entwurfs will ich hier gar nicht sprechen. Wer Insektenschutz ernst meint, darf Lichtverschmutzung, Versiegelung und Co nicht aussparen, wie das BMU es tut.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Entwurf kennt nur einen Sündenbock, und das ist die Landwirtschaft. Aber wer sind denn die Umwelt- und Klimapraktiker? Das sind doch unsere Bäuerinnen und Bauern, und ihnen wird gedroht: mit einer Enteignung durch die Hintertür.

Deshalb sind wir dir, liebe Julia Klöckner, dankbar, dass du gegenüber dem Bundesumweltministerium auch ein faires Miteinander einforderst. Denn was wäre die Konsequenz des Entwurfs? 1,6 Millionen Hektar dürften nicht mehr bewirtschaftet werden, und das alles ohne Ausgleich. Eigentumsschutz, Klimaschutz, Artenschutz gehen anders, nämlich nur mit der Landwirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Miteinander statt gegeneinander – genau das lebt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das übrigens über den GAK-Sonderrahmenplan 85 Millionen Euro für den Insektenschutz bereitstellt. Das ist der richtige Weg.

Zweitens. Die Strukturen versagen auch im Lebensmittelhandel. Dort fehlt von Fairness bisher jede Spur. Damit meine ich übrigens nicht den Händler vor Ort; es geht um die großen Konzerne. Mit 85 Prozent Marktanteil sind Edeka, Rewe, Lidl und Aldi so mächtig, dass sie Bedingungen und Preise diktieren können, und sie tun es gnadenlos. Wer nicht mitzieht, geht unter. Sie spielen schon heute heimisches Obst und Gemüse gegen Auslandsware aus.

Der Grundsatz müsste heißen: Unsere Lebensmittel von unseren Bauern. Die großen Vier beschwören aktuell in ganzseitigen Anzeigen eine faire Partnerschaft mit den Erzeugern. Das ist übrigens nur eine Reaktion auf die Streiks der Bäuerinnen und Bauern und auf das anstehende Verbot unlauterer Handelspraktiken. Julia Klöckner hat den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Gut so! Nun ist der Deutsche Bundestag dran – wir.

Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion empfehle ich Ihnen, liebe Big Four: Nicht nur über Fairness reden, sondern Fairness leben!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unsere Bäuerinnen und Bauern haben einen fairen Preis verdient. Sonst steuern wir nach, und zwar hart; denn Lebensmittel sind mehr wert.

Drittens. Verbraucherinnen und Verbraucher fordern immer höhere Standards. Eingekauft wird aber leider häufig immer noch nach dem Motto „Geiz ist geil“. Über Tierwohl, Klimaschutz etc. wird aber auch an der Ladenkasse oder im Restaurant entschieden. Regionalität und Qualität haben ihren Preis und sind es wert.

Eine nationale Marketingagentur, lieber Christian Haase, könnte heimische Produkte noch bekannter machen – dafür hast du jetzt einen Titel für die Machbarkeitsstudie geschaffen; dafür vielen Dank –:

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

„Gutes aus deutschen Landen. Unsere Lebensmittel von unseren Bauern.“ – Um die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage zu versetzen, die richtige Wahl treffen zu können, wollen wir als CDU und CSU deshalb auch eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung für Lebensmittel in ganz Europa; denn die Menschen haben ein Recht darauf, zu wissen, wo ihr Essen herkommt.

Meine Damen und Herren, ich könnte jetzt auch die Verantwortung der Medien, der NGOs und von kirchlichen Organisationen ansprechen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin Connemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Dr. Hocker?

 

Gitta Connemann (CDU/CSU):

Ja, gerne.

 

Dr. Gero Clemens Hocker (FDP):

Vielen Dank, verehrte Frau Präsidentin. Vielen Dank, verehrte, liebe Gitta Connemann, dass diese Zwischenfrage zugelassen wird. – Frau Connemann, Sie haben eben von mangelnder Fairness den Landwirten gegenüber gesprochen. Sie haben davon gesprochen, dass Landwirte keinen Weg in der Zukunft sehen.

Jetzt habe ich mir das eben noch mal vergegenwärtigt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass das Landwirtschaftsministerium seit 2005 entweder in Händen der CDU oder der CSU ist.

(Ulli Nissen [SPD]: Hört! Hört!)

Können Sie mir vor dem Hintergrund dieser Tatsache erklären, warum gerade Sie davon sprechen, dass Landwirte in Deutschland keinen Weg mehr sehen? Ist das ein Eingeständnis des eigenen Politikversagens?

(Ulli Nissen [SPD]: Das war eine gute Frage!)

 

Gitta Connemann (CDU/CSU):

Nein, ist es nicht, lieber Kollege Hocker. Sie haben übrigens vergessen, zu erwähnen, dass es auch eine Legislaturperiode gab, in der die FDP Mitverantwortung getragen hat,

(Grigorios Aggelidis [FDP]: Beim Landwirtschaftsministerium?)

auch ganz wesentlich Verantwortung getragen hat, nämlich im Wirtschaftsministerium.

Ich will nicht wissen, wie die Situation für Bäuerinnen und Bauern in diesem Land aussehen würde, wenn die CDU/CSU in diesem Bereich nicht Verantwortung getragen hätte; denn eines erleben wir immer und immer wieder, übrigens leider auch seitens der FDP: dass Sie in Reden, auch in Beiträgen im Internet die großen Partner der Bäuerinnen und Bauern sind. Aber wenn es darum geht, zu ihnen zu stehen, übrigens zum Beispiel bei dem Thema Direktzahlung oder aber bei dem Thema landwirtschaftliche Unfallversicherung, das die Ministerin vorhin angesprochen hat, dann gehört zur Wahrheit dazu, dass Sie im Haushaltsausschuss den Antrag gestellt hatten, den bisherigen Zuschuss von 180 Millionen auf 100 Millionen Euro herunterzusetzen. Das ist die Wahrheit, und das sollten Sie Ihren Bäuerinnen und Bauern auch sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gut, dass es die CDU/CSU gibt, die immer noch uneingeschränkt an der Seite der Bäuerinnen und Bauern in Deutschland steht – anders als andere, die eben keine Verantwortung übernehmen.

Ich hätte hier über NGOs, über Medien, über kirchliche Organisationen sprechen können. Ich könnte über Halbwissen, Skandalisierung und leider auch über Doppelmoral sprechen. Nur zu rufen „Wir haben es satt!“, macht niemanden satt; das ist keine Lösung. Aber genau diese brauchen unsere Bäuerinnen und Bauern; denn sie versorgen Deutschland, und das wollen sie übrigens auch in Zukunft tun. Es gibt eine starke junge Generation, die die Höfe übernehmen will; sie kann es, und sie will es.

Übrigens hat mir der Jungbauer nach unserem Gespräch noch einmal geschrieben. Er kam gerade aus dem Stall, kurz vor Mitternacht, weil seine Sauen abgeferkelt hatten – keine Arbeitszeitbegrenzung –, und er schrieb mir: Vielleicht klang ich sehr negativ, aber ich bin leidenschaftlicher Landwirt, und ich will es bleiben. – Meine Damen und Herren, das liegt auch in unserer Hand. Wir haben dafür mit diesem Haushalt die Vorlage gemacht. Bitte stimmen Sie diesem zu!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)