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Eckhardt Rehberg: Die Bewältigung dieser Krise ist eine gesamtstaatliche Verantwortung

Redebeitrag in der Haushaltswoche zum Einzelplan 08 - Bundesministerium der Finanzen

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dürr, wenn ich Ihnen einen guten Ratschlag geben darf: Man sollte Vergleiche zur ehemaligen DDR nur dann ziehen, wenn man die auch live erlebt hat.

(Beifall des Abg. Andreas Jung [CDU/CSU] – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das stimmt! Da gebe ich dir recht!)

Diesen guten Ratschlag gebe ich Ihnen. – Das ist das Erste.

Das Zweite. Ich wusste gar nicht, dass Sie Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sind. Sie haben ja hier von Verfassungsbruch geredet. Ich glaube, wir sollten den Stil wahren. Verfassungsbruch ist es dann, wenn Karlsruhe das so entschieden hat, und nicht, wenn es jemand wie Sie, Herr Dürr, hier im Deutschen Bundestag postuliert.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christian Dürr [FDP]: Was hat Herr Kirchhof denn dazu gesagt?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, wenn ich beide Haushalte zusammennehme, sind es über 1 000 Milliarden bzw. 1 Billion Euro in diesem und im kommenden Jahr, davon 400 Milliarden Euro an Schulden. Aber mit Blick auf die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 ist das neben der Bewältigung der Folgen des Zweiten Weltkrieges die größte Herausforderung, die wir im vereinten Deutschland erlebt haben. Ich glaube, dass man das nicht mit der Finanzkrise – ich komme noch darauf zurück – und auch nicht mit der deutschen Einheit vergleichen kann.

Warum? Weil das so tiefgreifend ist. Vielleicht, Herr Kollege Boehringer – Sie haben hier viel erzählt –, haben auch wir uns nach dem relativ guten Verlauf des Sommers zu sehr in Sicherheit gewogen, weil die Infiziertenzahlen sanken und viele Krankenhausbetten nicht belegt waren. Dann aber stiegen förmlich explosionsartig ab Ende September und im Oktober die Zahlen wieder an. Ich sage Ihnen dasselbe, was ich hier schon vor Wochen gesagt habe: Ich möchte in Deutschland keine Bilder sehen wie in den Vereinigten Staaten von Amerika oder in Italien, wo im Frühjahr dieses Jahres die Särge aus den Krankenhäusern mit Militärlastwagen herausgefahren werden mussten. Dies, glaube ich, wollten und wollen wir in Deutschland nicht erleben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Deswegen ist es gut und richtig, in Gesundheitsschutz zu investieren, Vorsorge zu treffen, Überbrückungshilfen in einer nie gekannten Größenordnung zu realisieren, Arbeitsplätze zu erhalten, aber auch in die Zukunft zu investieren; ich nenne Stichworte wie Digitalisierung, Klimaschutz, Forschung und Entwicklung, Infrastruktur.

Vergessen wir bitte auch nicht diesen Punkt: Der Bund hat noch nie so viel für die Länder und Kommunen geleistet wie in diesem und auch im kommenden Jahr. Ich bin Ralph Brinkhaus ausdrücklich dankbar, dass er diese Debatte angestoßen hat. Die Bewältigung dieser Krise ist eine gesamtstaatliche Verantwortung. Es kann nicht so sein, dass wir beim Bund Kreditfinanzierungsquoten in diesem und im kommenden Jahr von rund 40 Prozent haben, während sie bei den Ländern deutlich im einstelligen Bereich sind. Oder: Die Steuereinnahmen werden bei den Ländern und Kommunen im kommenden Jahr fast schon wieder so hoch sein wie im letzten Jahr. Wenn ich mir die Zahlen des Statistischen Bundesamts zu den bereinigten Einnahmen anschaue, muss ich feststellen: Die Länder haben in diesem Jahr höhere Einnahmen als im letzten Jahr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann ist es aus meiner Sicht nicht angemessen, wenn bei der Debatte der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin über das Thema Wechselunterricht von den Vertretern der Länder gesagt wird: Ja, Bund, wenn du so etwas in den Raum wirfst, dann bezahle bitte die Ausfälle im ÖPNV. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, so kann man nicht miteinander umgehen. Der Bund trägt eindeutig die größte Last bei der Bewältigung dieser Pandemie.

(Beifall des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU])

Deswegen sind auch Länder und Kommunen gefordert, ihren Beitrag und ihren Anteil zu leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Absolut richtig!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Dürr, im Regierungsentwurf – ja – waren nur 2 Milliarden Euro für Überbrückungshilfen der Wirtschaft und 5 Milliarden Euro für die Pandemievorsorge vorgesehen. In der Bereinigungsvorlage hat die Bundesregierung nachgelegt. Ich muss ehrlich sagen: Als Haushälter hätte ich mir Ende September an dieser Stelle etwas anderes gewünscht. Dann kamen in der Bereinigungsvorlage knapp 40 Milliarden Euro Überbrückungshilfen dazu, 12 Milliarden Euro für den Gesundheitsschutz, 6 Milliarden Euro mussten bei der Deutschen Bahn verschoben werden, weil dieses Jahr nichts umgesetzt werden konnte. Wir haben dann – Dennis Rohde ist darauf eingegangen – in der Bereinigungssitzung sehr verantwortungsvoll noch einmal 20 Milliarden Euro bei der Vorsorge draufgepackt. Übrigens: Dieser gesamte Titel beträgt 35 Milliarden Euro und bedarf bei einer Ausgabe von über 100 Millionen Euro der Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. 20 Milliarden Euro sind gesperrt. Deswegen unterstütze ich Dennis Rohde in seiner Aussage. Hier kann die Bundesregierung nicht nach Belieben verfahren, sondern sie muss die Zustimmung des Parlaments einholen. Lieber Otto Fricke, jemand muss mir einmal den semantischen Unterschied zwischen Zustimmung und Einwilligung erklären. Für mich ist das das Gleiche.

(Otto Fricke [FDP]: Mache ich gleich!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns anschauen, welche Schulden wir in diesem und im kommenden Jahr aufnehmen, dann sei mir der Hinweis gestattet, dass wir in diesem Jahr relativ glimpflich mit der Tilgung der Schulden davonkommen. Das sieht im nächsten Jahr im Soll deutlich anders aus. 164 Milliarden Euro müssen ab dem Jahr 2026 getilgt werden. Deswegen haben wir, glaube ich, eine Verantwortung, nicht nur das Hier und Heute zu betrachten, sondern auch das Morgen und das Übermorgen. Mir sei der Hinweis gestattet: Wenn es bei den geplanten Schulden bleibt, dann sind wir ab 2026 bei einer Tilgungsrate von knapp 16 Milliarden Euro. Das wird sicher nicht so kommen. Mir ist aber gleichwohl bewusst: Herr Bundesfinanzminister, wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass der Staat alles wird leisten können, was wir heute tun. Ich stehe ohne Wenn und Aber zur Schuldenbremse. Was wäre, wenn wir die Schuldenbremse nicht hätten? Was wäre, wenn wir nicht tilgen müssten? Ich glaube, der eine oder die andere würde hier in ganz anderen Dimensionen debattieren. Deswegen ist die Schuldenbremse aus Sicht der Union gut und richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr! – Gegenruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie haben der Schuldenbremse gar nicht zugestimmt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie sich an, was wir als Haushälter in der Bereinigungssitzung umgesetzt haben. Ich lege Wert darauf, festzuhalten, dass alles, was wir im Baransatz 2021 in den Haushalt eingebracht haben, auch gegenfinanziert ist. Wir haben uns ein großes Paket für Bildung und Forschung gepackt: neue Fraunhofer-Institute. Wir haben das Netzwerk der Universitätsmedizin unter Leitung der Charité deutlich ausgebaut, ein Programm für die Entwicklung von Therapeutika gegen Covid-19 aufgelegt und – ich kann das nur kursorisch machen – im Einzelplan 30 noch einmal 150 Millionen Euro für die Sicherung von Aus- und Weiterbildung bereitgestellt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir uns an, was andere fordern: Die Linken werden natürlich wieder damit kommen, der ganze Haushalt sei unsozial.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nicht der ganze! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und täglich grüßt das sozialistische Murmeltier!)

Fast 52 Prozent gehen in den Sozialbereich. Mit der Festlegung – ich halte sie für richtig –, dass die Sozialbeiträge stabil bei 40 Prozent bleiben sollen, ist das und wird das für die kommenden Jahre eine große Herausforderung sein.

Herr Kollege Dürr, Steuerentlastung, ja, klar, wir entlasten: ab 1. Januar kommenden Jahres gesamtstaatlich 17 Milliarden Euro, 10 Milliarden Euro durch die Abschaffung des Soli für über 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger und 7 Milliarden Euro für die Familien, Stichworte: Kindergeld, Grundfreibetrag usw. Das sind alleine in diesem Bereich Steuermindereinnahmen für den Bund in Höhe von 13 Milliarden Euro. Das heißt, wir halten und haben an dieser Stelle Wort gehalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss: Haushälter machen bestimmte Dinge in der Bereinigungssitzung, sie hat dieses Mal 17 Stunden und 37 Minuten gedauert. Ich bin schon ein bisschen stolz, dass es Dennis Rohde und mir gelungen ist, einen Maßgabebeschluss zum Thema Ausgabereste durchzubringen. Das wird nicht jeden in der Bundesregierung freuen; Dennis, darüber sind wir uns beide im Klaren gewesen. Aber dem Aufwuchs der Ausgabereste endlich einmal einen Riegel vorzuschieben, war mir persönlich – ich glaube, letztendlich auch dir, Dennis – ein ganz wichtiges Anliegen. Es kann nicht sein, dass wir im Januar dieses Jahres bei über 22 Milliarden Euro Ausgabereste lagen. Deswegen, Dennis, ist der Appell an die unionsgeführten Häuser gut und richtig. Wenn ich aber einmal schaue, was alleine bei der Familienministerin in den Sondervermögen rumliegt, dann sieht das auch nicht viel besser mit der Umsetzung aus. Ich glaube, die unionsgeführten Häuser und die SPD-geführten Häuser haben in gleicher Art und Weise unsere Kritik an dieser Stelle verdient. Und wenn der Maßgabebeschluss zu den Ausgaberesten dazu beiträgt, das Geld schneller abfließen zu lassen, dann haben wir ein gutes Werk getan.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)