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Dr. Johann David Wadephul: Lassen Sie uns gemeinsam Europa stärker machen

Redebeitrag in der Haushaltswoche zum Einzelplan 05- Auswärtiges Amt

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der russische Außenminister muss selber entscheiden, mit wem er spricht. Wenn er mit deutschen Parlamentariern spricht, dann ist das von uns nicht zu kritisieren. Ich nehme zur Kenntnis, was der Leiter des Deutschland-Zentrums bei der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau laut einer dpa-Meldung vom heutigen Vormittag gesagt hat – ich zitiere –:

Russland habe sehr wohl im Blick, dass es in der AfD „Nazis“ gebe, die etwa den Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg huldigten, sagte Below.

Das lassen wir mal so stehen.

Aber eines muss ich schon noch zu Ihrer Rede sagen, Herr Kollege Hartwig: Wenn Sie denn den souveränen Nationalstaat hier betonen, dann gilt das auch für die Ukraine.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern ist das völlig wirr, was Sie hier vorgetragen haben. Die Souveränität der Ukraine ist durch Russland verletzt worden.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie sind ja nur neidisch, Herr Wadephul!)

Das hat die Nachkriegsordnung zerstört bzw. empfindlich verletzt. Das ist ein absoluter Bruch in Ihrer Argumentation.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, aus meiner Sicht ist das herausragende Ereignis dieser Tage und Wochen der Wechsel im Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Das ist kein Wechsel wie jeder andere seit dem Zweiten Weltkrieg. Schon der Umstand, dass es ein Wechsel ist – es wird ein Wechsel sein –, ist ein Glücksfall.

(Stephan Brandner [AfD]: Aha! Sie reden in die Zukunft!)

Insofern bin ich mit dem Außenminister vollkommen einer Meinung. Präsident Trump hat in den vergangenen vier Jahren eigentlich alles infrage gestellt, was den Westen ausmacht, was unsere transatlantische Partnerschaft ausmacht:

(Stephan Brandner [AfD]: Was denn?)

die Unabhängigkeit der Presse, die Anerkennung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz bis in die letzten Tage hinein,

(Stephan Brandner [AfD]: So wie Deutschland! Ich sage nur Harbarth!)

den freien Warenhandel, das Sicherheitsbündnis der NATO, die Multilateralität, die Zusammenarbeit der Nationen im Bereich des Umweltschutzes, des Friedens und der wirtschaftlichen und sozialen Kooperation. All das wäre mit einer Fortsetzung der Präsidentschaft Donald Trumps in den nächsten vier Jahren außerordentlich gefährdet gewesen.

Und jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ist jetzt alles gut? Ich sage: Nein! Jetzt kann vieles wieder gut werden, wenn wir es wollen und wenn wir sofort anfangen. Wir haben dazu aus meiner Sicht vier Jahre Zeit, wahrscheinlich sogar weniger, wenn man unsere Bundestagswahl mit Regierungsbildung in den Blick nimmt und wenn man auch in den Blick nimmt, dass der nächste amerikanische Präsident, der Joe Biden heißen wird, in den letzten Wochen seiner Amtszeit – „Lame Duck“ ist hier das geflügelte Wort – auch nicht mehr die volle politische Autorität hat.

Herr Außenminister, das ist mein Punkt. Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir die Themen herausarbeiten und definieren, die für das transatlantische Bündnis von herausragender Bedeutung sind. Da können wir uns nicht nur die aussuchen, die wir gut finden, zum Beispiel die Bereitschaft Joe Bidens, mit uns gemeinsam Klimapolitik zu machen, ins Pariser Klimaabkommen zurückzukommen. Das ist gut, das ist richtig, das ist sinnvoll. Ich nenne auch die Bereitschaft, das JCPoA, das Abkommen mit dem Iran, wieder zu beleben und in eine neue konstruktive Phase hineinzukommen. Das ist gut, das ist richtig. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch die Themen aufgreifen, die die Amerikaner interessieren und bei denen sie von uns erwarten, dass wir uns nicht zurücklehnen und darauf warten, dass die Amerikaner etwas leisten, sondern bei denen wir als Deutsche, bei denen wir als Europäer selber einen Beitrag zum Bestand des transatlantischen Verhältnisses leisten müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Georg Link [FDP])

Das ist gar nicht so wenig, und das ist gar nicht so unmaßgeblich. Das sind für manch einen hier im Hause unangenehme Themen. Das sind auch Themen, die wir in dieser Koalition nicht in dem Maße haben umsetzen können, wie die CDU/CSU-Fraktion das für notwendig und richtig gehalten hätte.

Deswegen sage ich: Den US-Truppenabzug kritisieren wir. Aber in der Sache kann ihn nur derjenige kritisieren und in Washington – sowohl beim neuen Präsidenten als auch bei Parlamentariern beider Parteien in beiden Häusern – ernsthaft für einen Sinneswandel eintreten, der bereit ist, die Lastenteilung im NATO-Bündnis wieder zu schultern. Die Zusagen von Wales müssen für uns gelten. Wir müssen sie umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur wenn wir das machen, werden wir entsprechende Unterstützung in den USA bekommen. Nur dann wird man akzeptieren und wissen, dass wir hier auch unangenehme Themen anpacken. Dazu, glaube ich, müssen wir mehr leisten.

Dazu gehört, dass wir die NATO stärken. Dazu gehört, dass wir die NATO reformieren. Die Reflexionsgruppe, die Sie, Herr Außenminister, initiiert haben, hat Großes geleistet. Ich möchte Thomas de Maizière als einem unserer Kollegen ganz ausdrücklich dafür danken, dass er an der Spitze dieser Reflexionsgruppe Reformvorschläge für die Zukunft unterbreitet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist eine große Leistung gewesen. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Deutscher diese Rolle übernommen hat. Aber jetzt müssen wir, wenn wir uns des Wertes der NATO bewusst geworden sind, die NATO dementsprechend unterstützen und in die Lage versetzen, auch in Zukunft zu agieren. Dann muss man in der Tat auch bereit sein, über Strukturen in der NATO zu reden und Entscheidungsprozesse infrage zu stellen, und darf nicht von vornherein bestimmte Themen wie zum Beispiel das Thema Mehrheitsentscheidung tabuisieren.

Wir Deutsche sind der entscheidende Partner der Vereinigten Staaten von Amerika auf dem europäischen Kontinent. Wir Deutsche haben deshalb eine zentrale Funktion wahrzunehmen. Wir müssen den Anspruch haben, das Rückgrat der konventionellen Abschreckung in Europa zu sein. Das verlangt von uns, dass wir als Deutsche 10 Prozent der NATO-Fähigkeiten – das ist entscheidend; 2 Prozent sind nur eine Größe – beitragen. Das müssen wir miteinander leisten innerhalb dieses Jahrzehnts, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen die NATO zusammenhalten. Dazu gehört auch der schwierige Partner Türkei, den wir in der NATO halten wollen und der an den Grenzen zu Irak und Syrien eine schwierige Rolle einnimmt, die wir brauchen. Aber wir müssen der Türkei auch sagen: Sie kann kein Wandler zwischen den Welten sein. Wir erwarten von dem NATO-Partner Türkei, dass er sich zu den Werten der NATO bekennt, dass nicht dschihadistische Söldner angeworben, unterhalten und in Kriegen eingesetzt werden und dass nicht Waffensysteme aus Russland gekauft werden, die das Luftverteidigungssystem der NATO infrage stellen. Die Türkei muss sich zu uns genauso bekennen, wie wir als Deutsche bereit sind, uns dafür einzusetzen, dass die Türkei eine wichtige und fortbestehende Rolle in der NATO hat, liebe Freunde.

Wenn wir das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika langfristig positiv gestalten wollen, dann müssen wir auf mehr Eigenständigkeit setzen. Dann müssen wir als Europäer auch bereit sein, mehr zu leisten. Das kann man einfordern, Graf Lambsdorff. Aber dann muss die FDP auch alle europapolitischen Diskussionen in den eigenen Reihen führen.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das tun wir!)

Wie stehen Sie denn zu Macrons Vorschlägen zur Euro-Zone? Mehr Skeptizismus als in der FDP-Fraktion gibt es zu der Frage „Mehr Europa?“ nicht in diesem Haus.

Deswegen: Lassen Sie uns gemeinsam Europa stärker machen. Lassen Sie uns atlantisch bleiben. Lassen Sie uns europäischer werden. Dann werden wir auch in den nächsten zehn Jahren eine gute Außenpolitik für unser Heimatland und für Europa gestalten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)