Skip to main content

Dr. Georg Kippels: "Wir brauchen Frequenzstabilität"

Rede zum Kohleausstieg

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schön, dass am Ende dieser Debatte auch ein Vertreter eines Wahlkreises, des Rhein-Erft-Kreises, der im Herzen des Rheinischen Reviers liegt, zu Wort kommen kann

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Düren! Wissen Sie, wo das ist?)

– zu Ihnen komme ich noch, Herr Krischer –, der mit allen Faktoren, die hier und heute zu besprechen und auch in dem Gesetz zu behandeln sind, tagtäglich konfrontiert wird.

Wenn ich an diesem Thema arbeite und im Wahlkreis unterwegs bin, sehe ich die Vergangenheit in Form der Kraftwerke und der Tagebaue. Ich sehe aber auch die Zukunft in Form der Windräder, der Photovoltaikanlagen und auch der Übertragungsnetze, mit denen wir versuchen wollen, ein modernes Netzmanagement auf den Weg zu bringen.

Ich sehe auch die Gegenwart in Form der Menschen, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Lebensgrundlage durch dieses Gesetz wesentliche Veränderungen erfährt. An dieser Stelle bin ich von Ihnen, Herr Krischer, ein bisschen provoziert, wenn Sie sich hier mit breiter Brust hinstellen und für die Umsiedler kämpfen wollen – was man in der Tat machen kann, obwohl sie sich seit Jahrzehnten auf diese Situation einstellen konnten, adäquat entschädigt werden und vor allen Dingen sozialverträgliche Verfahren gewählt werden –, aber an dieser Stelle kein Wort über die Tausende Mitarbeiter verlieren, denen Sie mit Ihrer ideologischen Keule den Arbeitsplatz von heute auf morgen entziehen wollen. Das ist einfach unanständig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Zurück zum Gesetz. Wir haben heute viel über das Thema Versorgungssicherheit gehört. Hinter dem Wort „Versorgungssicherheit“ verbergen sich Komponenten, die uns als Gesetzgeber nicht zugänglich sind, nämlich schlicht und ergreifend die Physik und die Naturwissenschaften.

(Dr. Martin Neumann [FDP]: Völlig richtig!)

Wir brauchen Frequenzstabilität – ein etwas schwieriges Wort, aber es bedeutet nichts anderes, als dass das Stromnetz im Gleichgewicht gehalten werden muss, und das ist unter dem Einfluss der erneuerbaren Energien ungleich schwerer.

(Dieter Stier [CDU/CSU]: Wir brauchen mehr Physik im Bundestag! – Zurufe des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben die sogenannten Redispatch-Eingriffe, und diese nehmen von Tag zu Tag zu. Im Jahre 2011 musste noch einmal am Tag korrigiert werden, 2016 bereits 17-mal am Tag, und in der Zwischenzeit gehen die Zahlen durch die Decke. Das sind Faktoren, die wir über die Monitoringsysteme, die im Gesetz vorgesehen werden, unbedingt im Auge behalten müssen. Hier geht es eben nicht um die Kompetenz des Gesetzgebers, sondern um eine fachkundige und technologische Beherrschung der Naturwissenschaften.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Kippels, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Lenkert?

 

Dr. Georg Kippels (CDU/CSU):

Bitte.

(Dr. Martin Neumann [FDP]: Der macht jetzt Physik-Nachhilfe! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht zu tief einsteigen!)

 

Ralph Lenkert (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Kollege Kippels, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sprachen inzwischen über die physikalisch bedingte Notwendigkeit von immer mehr Eingriffen. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, dass wir im Juni letzten Jahres dreimal kurz vor einem Blackout standen wegen fehlerhafter Bilanzierung durch Stromspekulanten an der Leipziger Strombörse? Ist Ihnen bekannt, dass wir im Januar letzten Jahres fast einen Blackout hatten wegen Schaltfehlern zwischen Spanien und Frankreich und fehlerhafter Weitergabe von Daten an das Pumpspeicherwerk Goldisthal in Thüringen? Ist Ihnen bekannt, dass man jede Viertelstunde einen Ausschlag in der Frequenz, jede Stunde einen stärkeren Ausschlag in der Frequenz sehen kann aufgrund von Handelstätigkeiten an der Strombörse – mit Zu- und Abschalten – und dass dies kein technisches Problem ist, sondern ein Handelsproblem und ein System des Marktes, den Sie so propagieren? Sind Sie also bereit, dieses Risiko für unser Stromnetz, diesen Kostentreiber im Bereich der Redispatch-Kosten, der nur durch den Handel und nicht durch technische Parameter ausgelöst wird, gesetzlich zu beseitigen, damit unser Stromsystem sicherer wird?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

 

Dr. Georg Kippels (CDU/CSU):

Zum ersten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege: Ja, diese Faktoren sind mir bekannt.

Zum Zweiten habe ich mich hier ausdrücklich zunächst auf die technischen Fragestellungen konzentriert, denen wir uns im Rahmen der Netzkontrolle auch widmen müssen.

Die ökonomischen Unwägbarkeiten, die sich in der Zwischenzeit auch durch den von Ihnen genannten Aspekt ergeben haben, bedürfen natürlich einer entsprechenden Berücksichtigung, weil wir die Wirtschaftlichkeit – auch das ist eben angesprochen worden – im Auge behalten müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Fragestellung der Redispatch-Kosten, die ich eben angesprochen habe, ist in der Tat für uns alle eine Herausforderung. Es geht vor allen Dingen darum, dass wir in technologischer Hinsicht Reserven haben müssen, die im Bedarfsfalle abgerufen werden können. Es ist in der Tat kein Prozess, der sich nur über einen ganz kurzen Zeitraum erstreckt. Insbesondere dann, wenn wir die enormen Kapazitäten der Atomkraftwerke aus dem Netz herausnehmen, gibt es einen Einstieg in eine ganz sensible Kontrollphase, mit der wir uns in der Tat sowohl strukturell, das heißt im Hinblick auf ein Gesetzgebungsverfahren und die Bundesnetzagentur, als auch technisch, im Hinblick auf die entsprechenden Ressourcen, auseinandersetzen müssen.

Ich weiß – ich glaube, das ist in diesem Zusammenhang die gute Nachricht –, dass gerade auch in der Region viele Unternehmungen, unter anderem das Projekt Quirinus mit dem virtuellen Kraftwerk, daran arbeiten, die Netzstabilität gerade auch unter Berücksichtigung der erneuerbaren Energien dauerhaft sicherzustellen. Es ist eine technologische Herausforderung. Es bietet aber gleichzeitig eine Perspektive für den Aufbau von hervorragend dotierten und vor allen Dingen technologisch anspruchsvollen Arbeitsplätzen.

Insofern freue ich mich auf die Beratungen über dieses Gesetz – mit einem entsprechenden Weitblick. Wir werden darum bemüht sein, Zukunft und Sicherheit, Ökologie und Ökonomie in Gleichklang zu bringen.

Herzlichen Dank und Glück auf!

(Beifall bei der CDU/CSU)