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Tino Sorge: Daten retten Leben

Digitalisierungsstrategie in der Pandemie

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mittwochabend, letzter Tagesordnungspunkt, und wir sprechen über Digitalisierung – eigentlich unbezahlbar. Noch unbezahlbarer ist es, dass wir hier mehrere Anträge im Kontext Digitalisierung haben, die wir debattieren. Insofern, glaube ich, ist es schon ein Gewinn, dass wir heute Abend darüber sprechen. Aber ein Gewinn ist nicht unbedingt jeder Redebeitrag hier gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mein Kollege Axel Knoerig hat ja Ausführungen gemacht zu dem, was bereits passiert ist. Alle Fraktionen müssen selbstkritisch konstatieren, dass man da durchaus noch besser hätte sein können; es ist immer so, dass man da besser sein kann. Aber ich wehre mich immer ein bisschen dagegen, dass so getan wird, als sei da überhaupt nichts passiert.

Ich wehre mich auch dagegen, wenn beispielsweise von Ihnen, von der AfD, heute das und morgen was anderes erzählt wird. Insbesondere finde ich es total lustig und auch interessant, dass Sie sich jetzt hier als die hippen Digitalpolitiker aufspielen und so tun, als seien Sie schon immer für Digitalisierung gewesen. Ich will das mal an einem Beispiel klarmachen: Wir haben noch vor wenigen Wochen eine Debatte über die Corona-Warn-App geführt. Da haben Sie Anträge gestellt – Grundrechte retten, kein Big Brother, Corona-Warn-App abschaffen –, und heute stellen Sie sich hierhin und sagen: Wir müssen viel stärker vernetzen. Wir müssen viel, viel mehr in dem Bereich machen. – Im Grunde erzählen Sie hier genau das Gegenteil dessen, was Sie draußen erzählen, und das ist unehrlich.

(Beifall bei der CDU/CSU – Joana Cotar [AfD]: Die Corona-Warn-App wirkt nicht! Das ist ein teurer Flop, den Sie sich da geleistet haben!)

Eines muss ich auch in Richtung des Kollegen Höferlin sagen, also in Richtung FDP: Es ist ja alles schön und gut. Wir gehen auf die Adventszeit zu und werden bald Weihnachten haben, durch das Coronavirus etwas anders. Da ist es ja legitim, dass Sie Wunschlisten aufstellen. Aber es ist natürlich auch in dem Bereich wieder wenig originell, wenn Sie jedes Jahr dieselbe Wunschliste vorlegen, insbesondere, weil viele Wünsche von dieser Liste ja bereits erfüllt sind.

(Dr. Florian Toncar [FDP]: Sollen wir jetzt jedes Jahr eine andere schreiben, oder was? Das kann doch kein Mensch verstehen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich mache das mal konkret am Bereich Gesundheit. Sie fordern in Ihrem Antrag, wir sollten besser vernetzen, Sektorengrenzen abbauen und die Akteure besser zusammenbringen. Das ist ja alles richtig; aber genau das ist es doch, was wir machen. Elektronische Patientenakte, Telematikinfrastruktur – wir werden ab nächstem Jahr endlich damit starten, nachdem wir seit 2003 über das Thema debattiert haben.

(Joana Cotar [AfD]: Ja, Wahnsinn! – Manuel Höferlin [FDP]: Ging ja ruck, zuck!)

Und wer hat es hinbekommen? Die CDU/CSU mit der SPD und unserem Minister Jens Spahn. Insofern hat es doch funktioniert. Einen Wunsch können Sie schon streichen von der Liste.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will hier aber auch einmal sagen, dass mich an der Debatte ein bisschen stört, dass wir über Digitalisierung immer sehr abstrakt miteinander reden. Ich glaube, es ist wichtig, die Debatte stärker zu führen – auch gesellschaftlich, gerade jetzt in Coronazeiten –, was digitale Möglichkeiten, was beispielsweise Apps wie die Corona-Warn-App und die Datennutzung angeht. Daten retten Leben. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten wir viel, viel häufiger in der Debatte berücksichtigen.

Das Thema Datennutzung ist eines, über das wir in vielen Konstellationen in den letzten Monaten und Jahren immer wieder gesprochen haben. Viele hier in Deutschland und auch viele Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Haus neigen dazu – ich schaue da insbesondere in die linke Ecke –, diese Themen zwar immer abstrakt gutzuheißen. Aber wenn es dann konkret darum geht, wie wir Daten nutzen können und wie wir pragmatisch Datenschutz und Gesundheitsschutz in Einklang bringen, wird immer sehr schnell der Elefant des Datenschutzes in den Raum gestellt, sodass wir dann überhaupt nicht mehr über inhaltliche Möglichkeiten sprechen, sondern mit diesem Argument alle weiteren Diskussionen abgewürgt werden. Ich glaube, das ist ein Punkt, bei dem wir ehrlicher miteinander umgehen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Frau Christmann?

 

Tino Sorge (CDU/CSU):

Ja, sehr gern.

 

Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank fürs Zulassen der Zwischenfrage, Herr Kollege. – Sie haben ja jetzt dargestellt, dass das mit den Veränderungen alles ganz schwierig sei, mit der Corona-Warn-App alles eigentlich ganz gut laufe und sich jetzt alle nur beschweren würden, dass es einige Funktionen nicht gibt, die aus Ihrer Sicht aufgrund des Datenschutzes sowieso nicht möglich wären.

Jetzt möchte ich Sie mal fragen: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass ganz viele Vorschläge zur Veränderung und Verbesserung der Corona-Warn-App auf dem Tisch liegen, die gar nichts mit Datenschutzfragen zu tun haben, sondern zum Beispiel die Ergänzung eines Kontakttagebuchs und die freiwillige Zustimmung zur Weitergabe eines Testergebnisses nach dem Testen vorsehen? Ganz viele solcher Verbesserungsvorschläge liegen auf dem Tisch. Was ist denn mit denen? Wann werden die umgesetzt? Warum wurden die nicht längst umgesetzt?

Die zweite Frage zum Thema bezieht sich darauf, dass wir doch jetzt in der Coronakrise die Digitalisierung schnell nutzen müssen. Zum Beispiel arbeiten die Gesundheitsämter immer noch mit vielen verschiedenen Programmen und zum Teil immer noch mit dem Faxgerät. Man ist dort noch immer weit davon entfernt, eine Software zu haben, die ein einfaches Arbeiten in den Gesundheitsämtern ermöglichen würde. Denken Sie, dass schon genug passiert, oder brauchen wir da nicht vielleicht doch so etwas wie eine Technologie-Taskforce, um dies zu beschleunigen?

Vielen Dank.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Sorge, bitte.

 

Tino Sorge (CDU/CSU):

Liebe Frau Kollegin Christmann, herzlichen Dank und auch herzlichen Glückwunsch, dass auch Sie es endlich verstanden haben. Genau das ist es ja, was wir gesetzgeberisch gemacht haben. Ich denke da an den Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, wo wir zusätzlich Geld in die Hand nehmen, um eben genau die Probleme, die Sie schildern, dass also bestimmte Dinge manuell nachvollzogen werden müssen – das ist ja alles richtig –, anzugehen.

Genau den Punkt, den ich eben angesprochen habe, haben Sie und Ihre Fraktion ja immer wieder torpediert, beispielsweise wenn es darum ging, sinnvolle Lösungen in die Corona-Warn-App zu integrieren, also Features, die der Nutzer dieser App sinnvoll nutzen kann. Da geht es um freiwillige Datenweitergabe, da geht es um freiwillige Optionen. Das Problem ist aber, dass wir über diese App von vornherein gar nicht mehr diskutieren konnten. Was haben Sie sich aufgeregt in der Debatte zur Corona-Warn-App: Abschaffung der Bürgerrechte, die Leute würden ausspioniert. – Genau das Gegenteil war doch der Fall.

(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir doch gar nicht! So ein Quatsch! – Joana Cotar [AfD]: Weil Sie uns aufgeregt haben!)

Wir haben jetzt eine Tracing-App gemacht, die keinerlei persönliche Daten speichert. Sie haben das torpediert. Wir haben uns aber gefragt: Wie bekommen wir es gesellschaftlich hin, diese App so auszubauen, dass Nutzer überhaupt die Möglichkeit haben, freiwillig Daten zur Verfügung zu stellen? Deshalb sage ich Ihnen auch ganz klar: Diese App kriegt Updates. Es wird darum gehen, dass Gesundheitsämter angebunden werden.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann?)

– Sehr zeitnah.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

– Sie brauchen jetzt nicht zu lachen. Wenn Sie das wochenlang, monatelang torpedieren und danach mit Krokodilstränen dastehen, weil das nicht funktioniert, dann ist das einfach nur unehrlich.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir torpedieren gar nichts! Was soll das denn?)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Gut. – Herr Sorge, weiter mit der Rede.

 

Tino Sorge (CDU/CSU):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich sage Ihnen auch ganz offen: Wir sollten da nicht stehen bleiben. Wir müssen bei solchen Datennutzungsmöglichkeiten doch den Nutzer entscheiden lassen. Wir müssen ihm, gerade wenn es um freiwillige Möglichkeiten geht, überhaupt die Option eröffnen, solche Daten zur Verfügung zu stellen. Und da geht es ja nicht nur um den Bereich der Corona-Warn-App. Wir reden im Gesundheitsbereich mittlerweile über KI, über Künstliche-Intelligenz-Anwendungen, über Assistenzsysteme, die ja nur mit Daten funktionieren. Insofern geht es in der Debatte viel, viel stärker als bisher darum, nicht abstrakt Risiken aufzuzeigen, sondern ganz konkret klarzumachen: Wo sind die individuellen Mehrwerte für den einzelnen Patienten, für jeden einzelnen Nutzer? Welche Vorteile hat das?

Noch mal: Daten retten Leben. Ich glaube, in einer Krise wie Corona ist es ganz besonders wichtig, dass wir Daten nutzen, um Leben retten zu können. Diese Option wollen wir mit den Dingen, die wir auf den Weg gebracht haben, ermöglichen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss, freue mich auch, dass Sie lernfähig sind, und freue mich auf gute Ergebnisse.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)