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Kai Whittaker: Es geht nicht darum, die Welt radikal zu verbessern, sondern sie beständig zu verbessern

Rede zur Umsetzung der Agenda 2030

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Diesen Sonntag findet in Berlin wieder der Marathonlauf statt. Über 60 000 Läuferinnen und Läufer wollen die gut 42 Kilometer bezwingen. Einige von ihnen laufen zum ersten Mal. Sie ahnen, welche Strapazen auf sie warten. Sie haben trainiert, um sich optimal vorzubereiten. Aber sie wissen nicht, ob sie durchhalten und am Ziel ankommen werden.

(Marianne Schieder [SPD]: Was will uns das sagen?)

Was wünschen sich diese Läufer: dass man ihnen sagt, sie hätten nicht hart genug trainiert, zu spät mit dem Training angefangen. Oder ihnen gleich sagt, dass sie es nicht schaffen werden? Natürlich nicht! Jeder von uns würde einem Freund oder Familienangehörigen, der zum ersten Mal mitläuft, Mut zusprechen. Wir würden am Wegesrand stehen und anfeuern.

Und umso mehr wundert es mich, dass viele hier bei der Mammutmarathonstrecke Nachhaltigkeit, zu der die Klimapolitik gehört, das Gegenteil tun. Zum Klimaschutzprogramm der Bundesregierung heißt es: „zu wenig“, „zu spät“, „wirkungslos“. Ich sage ganz klipp und klar: Wenn Sie mit dieser pessimistischen Haltung durch die Lande ziehen, Herr Kekeritz, werden wir als Deutschland diese Marathonstrecke nicht schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie sagen in Ihrem Antrag, dass wir 29 von 63 Nachhaltigkeitszielen nicht erreichen.

(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt die Bundesregierung auch!)

– Sagt auch die Bundesregierung. – Das heißt aber im Umkehrschluss, dass wir mehr als die Hälfte, die Mehrheit, erreichen, nämlich 34 Stück.

(Lachen des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie sagen, dass die Nachhaltigkeitsstrategie dringend weiterentwickelt werden solle, übersehen aber, dass das schon längst in Planung ist und nächstes Jahr hier beschlossen wird. Und Sie fordern in Ihrem Antrag, dass die Nachhaltigkeitsziele mit Finanzen unterlegt werden sollen, übersehen dabei aber, dass die Bundesregierung vor Kurzem einen Beirat für Sustainable Finance gegründet hat, um genau das zu tun. Ihr Antrag ist eigentlich heute schon überholt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Grünen übersehen das nicht, sie ignorieren es!)

Dem Ganzen setzen Sie noch die Krone auf, indem Sie sagen, es fehle der Wille, die Welt radikal zu verbessern. Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, die Welt radikal zu verbessern, sondern sie beständig zu verbessern. Das ist das, was wir brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur radikal geht es! Wir müssen an die Wurzel der Probleme ran! Das ist die Bedeutung des Begriffs „radikal“!)

Hier ist die Klimapolitik ein gutes Beispiel. Wir haben jetzt ein Konzept auf den Tisch gelegt, mit dem wir CO2 zum ersten Mal einen Preis geben. Und dieser Preis ist nicht dazu da, die Bürger zu gängeln oder zu schröpfen, sondern er ist dazu da, drei Dinge zu tun: erstens alle Investitions- und Konsumentscheidungen in eine klimafreundliche Richtung zu lenken – wer sich also umweltfreundlich verhält, spart Geld –, zweitens die fossilen Energien zurückzudrängen – wer sich also weiterhin umweltschädlich verhält, der zahlt drauf – und drittens Einnahmen zu schaffen, damit wir den sozialen Ausgleich für besonders belastete Gruppen bezahlen können – wer also nicht anders kann, soll nichts befürchten müssen. Das ist für mich im besten Sinne nachhaltige Politik; denn nachhaltige Politik muss ja genau diese Aspekte – Wirtschaft, Soziales und Umwelt – abwägen.

Das ist es, was mich bei dieser Debatte um Klimaschutz und Nachhaltigkeit auch so stört: Sie tun so, als gäbe es lauter einfache Lösungen, als ob dieser Marathonlauf ein Spaziergang wäre. Das ist er nicht. Deutschland hat sich nämlich nicht nur dazu bekannt, die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten, sondern wir haben uns auch dazu bekannt, die UN-Nachhaltigkeitsziele einzuhalten. Und das bedeutet ganz konkret, dass wir zum Beispiel dafür sorgen müssen, dass der Strom weiter bezahlbar bleibt – Ziel Nummer 7 –, dass durch den Strukturwandel in der Lausitz und im Rheinischen Revier keine Armut entsteht – Ziel Nummer 1 – und dass keine Ungleichheiten zwischen Stadt und Land entstehen – Ziele Nummer 10 und 11. Ich könnte gerade so weitermachen.

(Zuruf des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Kritiker wie Sie unterstellen uns als Bundesregierung, wir wollten über den Klimaschutz verhandeln. Das Gegenteil ist der Fall. Wir ringen ja gerade um die Frage, wie wir mit den Folgeeffekten umgehen, wenn wir das fossile Zeitalter hinter uns lassen – darum geht es –, und genau das verlangt eben auch die Nachhaltigkeitspolitik.

Wenn man etwas kritisieren will, dann, dass wir diese Abwägung viel zu selten vornehmen. Wir wägen zu wenig ab und überlegen auch nicht, welchen Nutzen jedes Gesetz konkret hat, welche Konsequenzen es hat.

Beispiel Biolandwirtschaft: Eine Mehrheit des Hauses ist total für Biolandwirtschaft. Wir wissen aber, dass Biolandwirtschaft deutlich mehr landwirtschaftliche Fläche braucht,

(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das Gegenteil ist der Fall!)

und das ist wieder ein Verstoß gegen eine andere Forderung, nämlich gegen die Forderung, weniger Fläche zu verbrauchen. Gerade hat eine Studie der Uni Göteborg gezeigt, dass Biolandwirtschaft klimaschädlicher ist. Auch das ist ein Verstoß gegen die Nachhaltigkeitsziele. Deshalb sind wir als Union sehr dafür, der Nachhaltigkeit als Staatsziel wie in der Gesetzgebung mehr Bedeutung zu verleihen. Wir müssen stärker nach dem Nutzen von Gesetzen fragen. Die Maßnahmen des Klimapakets nutzen dem Klima. Wir können uns vielleicht darüber streiten, ob es wirksamer sein könnte; aber ich kenne wirklich keinen, der ernsthaft behauptet, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen dem Klima schaden.

Sicher, Sie können das Paket totreden. Ich wünsche mir, dass wir insbesondere mit dem Preismechanismus Erfolg haben. Gelingt es uns, dann wäre das ein Vorbild auch für viele andere ungelöste Probleme, die wir in der Nachhaltigkeitspolitik haben. Ich denke nur daran, dass wir immer noch sehr viele nicht nachwachsende Rohstoffe in unserer Produktion einsetzen, übrigens gerade auch im Bereich „Elektro und Batterie“. Auch das ist eine ökologische Katastrophe, die zurzeit nicht beachtet wird. Deshalb werbe ich darum, dass auch die Oppositionsfraktionen, insbesondere die Grünen, im Bundestag und auch im Bundesrat dem Klimaschutzprogramm zustimmen. Es mag Ihnen nicht weit genug gehen, aber auch Sie sagen, dass es in die richtige Richtung geht. Es wäre schon ein Treppenwitz der Geschichte, wenn ausgerechnet das Klimaschutzpaket im Bundesrat an Ihnen scheitern sollte. Ich werbe dafür, dass Sie lieber mit uns gemeinsam diesen Marathon laufen. Dann bin ich auch sicher, dass viele Bürger ihn mit uns laufen werden.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Läufst du am Sonntag mit?)