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Julia Klöckner: "Nahrungsmittel wachsen nicht einfach im Supermarktregal"

Rede zur Deutsche und EU-Landwirtschaftspolitik

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Künast, das Interessante ist ja nicht, was in Ihrem Antrag steht, sondern was überhaupt nicht drinsteht. Deshalb haben Sie wahrscheinlich auch nicht über den Antrag reden wollen: weil Sie eben selber ein bisschen unstrukturiert gewesen sind. Sie haben vorhin gesagt: Alles muss zusammenpassen. – Am Ende hat man gar nicht gewusst, was Sie gerade wollten.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie nicht mal Ihre Arroganz im ersten Satz wenigstens weglassen?)

Um es mal konkret zu sagen: In diesem Antrag, in dem es um die Landwirtschaft in Deutschland, in Europa und auch weltweit geht, kommt auf sieben Seiten ein Wort kein einziges Mal vor: Ernährung. Das Wort „Ernährungssouveränität“ in Bezug auf Entwicklungsländer ja; aber ansonsten kommt „Ernährung“ nicht vor. Eines will ich hier deutlich sagen, nämlich was Sie und uns massiv unterscheidet: Für uns sind Landwirte diejenigen, die unsere Nahrungsmittel erzeugen, und sie werden von uns nicht zu reinen Landschaftsgärtnern umerzogen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist, glaube ich, ganz wichtig, das hier noch einmal hervorzuheben.

Man weiß gar nicht, wo man bei Ihrem Antrag oder auch Ihrem Vortrag anfangen soll. Vielleicht nehme ich Sie einfach noch mal mit in die Realität, dahin, wo wir uns gerade befinden.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht in Ihre! Da will ich nicht hin!)

Auf der einen Seite sagen Sie, Ihnen geht der Umbau der Landwirtschaft nicht schnell genug. Auf der anderen Seite sagen Sie: Wir lassen uns nicht drängen. – Also, ein bisschen entscheiden müssen Sie sich schon, weil mittlerweile Fakten geschaffen worden sind. Wir haben viel erreicht in Europa. Das mag Ihnen nicht passen; aber wenn ich Ihre Pressemitteilung als Ministerin damals zur GAP, die Sie bejubelt haben, durchlese, stelle ich fest: Da haben Sie die Schaffung der Flächenprämie, die Cross-Compliance-Regelung als einen totalen Systemwechsel, als eine absolute Umweltregelung, als die Umweltleistung schlechthin bezeichnet. Davon haben wir uns verabschiedet. Wir sind nämlich jetzt weggekommen von der klassischen Prozessorientierung, weggekommen von der klassischen Hektar-Bezahlung.

Frau Künast, wir haben einen Systemwechsel eingeleitet. Und dieser Systemwechsel wird jetzt Folgendes mit sich bringen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie wissen auch, was vor 2003 war? Das wissen Sie schon? Was für Regeln es damals gab, wissen Sie schon?)

– Ja, es passt jetzt nicht ins Konzept; aber Fakten müssen in einem Parlament schon genannt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was ist die Folge? Die Folge wird sein, dass es keinen Euro an Direktzahlungen mehr ohne – –

(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Also, Sie hatten eben Zeit, zu reden – hat nicht so geklappt –, aber jetzt müssen Sie doch nicht die ganze Zeit reinrufen, wenn ich doch jetzt rede.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Parlament! Da kann man auch mal dazwischenrufen!)

Da müssen wir doch mal ordentlich miteinander umgehen. Mensch, das muss man doch ein bisschen ertragen können!

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Gut. – Also, wie wird die neue Agrarpolitik sein?

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, beruhigen Sie sich. Es wird alles gut.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind hier nicht die CDU-Fraktion! Das ist der Deutsche Bundestag! – Beifall des Abg. Rainer Spiering [SPD])

 

Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft:

Also, um es noch mal aufzugreifen: Ja, ich bin engagiert, weil ich mich für die Landwirte einsetze. Bei Ihnen hat nur Ökologie eine Rolle gespielt. Ökologie ist wichtig; aber wer Nachhaltigkeit herunterdekliniert, der muss sie komplett herunterdeklinieren. Und dazu gehören die Ökologie, aber auch die Ökonomie und die soziale Frage.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Das geht doch nicht, dass es überhaupt keine Rolle spielen soll, ob Landwirte überhaupt von ihrer Arbeit leben können.

Sie malen doch immer ein Bild von kleinen, schönen, schnuckeligen Höfen. In Ihrem Antrag sprechen Sie zwar die neuen Techniken im Bereich Precision Farming, also Präzisionslandwirtschaft, an, aber lehnen explizit deren Förderung ab.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

Da frage ich mich: In welcher Welt leben Sie? Im Jahre 1900 hat ein Landwirt fünf Leute ernährt; da hatten wir aber ganz andere Probleme. Heute ernährt er 150 Personen. Das ist für Sie wahrscheinlich schwierig, weil es eine Abkehr von dem schönen romantischen Bild ist.

Ich will mal eines deutlich machen: In der Coronazeit ist doch klargeworden, was es für die Bevölkerung heißt, wenn die Regale halbleer sind. Nahrungsmittel wachsen nicht einfach im Supermarktregal.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Franziska Gminder [AfD] und Karlheinz Busen [FDP])

Wenn ich sehe, dass wir einen Selbstversorgungsgrad von nur 83 Prozent in Deutschland haben, und ich mir dann Ihre Positionierung zum Welthandel anschaue, dann kann ich nur sagen: Das ist ja purer Konsumnationalismus, was Sie hier predigen.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

Wir selbst sind doch angewiesen auf Handel. Wir selbst tragen dazu bei und umgekehrt. Es gibt in vielen Ländern dieser Welt landwirtschaftliche Gegebenheiten, die es überhaupt nicht ermöglichen, auf dieser Grundlage die Menschen dort zu ernähren. Es wäre doch arrogant, zu sagen: Jeder macht vor seiner Hütte nur sein eigenes Ding.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es muss doch zusammenpassen, was Sie hier fordern.

Was machen wir im Rahmen der neuen EU-Agrarpolitik? Jeder Euro aus der ersten Säule wird konditionalisiert, also an Umwelt- und Klimaschutzleistungen geknüpft. Dann kommen 20 Prozent an Ökoleistungen drauf. Das hat weder die Kommission vorgeschlagen, noch hat jemals jemand geglaubt, dass wir das verbindlich für alle einführen werden. Und das haben wir gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Stattdessen fordern Sie, Deutschland hätte all das ignorieren sollen. Was ist das für eine Arroganz angesichts einer demokratisch getroffenen Mehrheitsentscheidung auf europäischer Ebene! Deutschland ist Deutschland, aber Sie schreiben – –

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie mal Frau von der Leyen, was die davon hält!)

– Na ja, passen Sie mal auf, Sie haben das in Ihrem Antrag geschrieben.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich passe immer auf!)

Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, Deutschland hätte sich durchsetzen müssen. Sie haben ja GLÖZ und vieles andere genannt. Es ist vieles enthalten – das sind auch Dinge, die ich teile –,

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah!)

wo wir schon längst auf dem Weg sind. Beim Thema Grünlandumbruch sage ich: Guten Morgen! Das ist doch alles in unseren Papieren enthalten. – Ich habe das Gefühl, Sie haben sie gar nicht gelesen. Deshalb braucht auch Ihr Minister Günther noch ein bisschen Zeit, bis er meinem Brief antworten kann.

Aber ich will eines deutlich sagen: Die EU-Agrarpolitik wartet nicht auf Sie Grüne, bis Sie irgendwie mal austariert haben, ob Sie neue Pflanzenzüchtungsmethoden wollen oder nicht wollen. Da ist Ihnen ja die Debatte untersagt worden bzw. in Baden-Württemberg das Forschungsprojekt gestoppt worden.

Lassen Sie uns noch einmal zu dem Hauptpunkt kommen, der mir wichtig ist. Wir sind mit der Landwirtschaft auf dem Weg, dass sie umweltgerechter wird, dass mehr Tierschutz gefördert wird, dass wir vor allen Dingen Nahrungsmittel sichern und den jungen Landwirten eine Chance geben, in die Zukunft zu schauen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das geht nicht ohne Landwirte. Das geht nicht, indem wir in Klein und Groß, in Gut und Schlecht unterteilen. Das geht auch nicht, wenn wir ökologische Landwirte gegen konventionelle ausspielen. Wir als CDU/CSU und als Bundesregierung machen im Rahmen der Großen Koalition ein Angebot. Das Angebot heißt: Zielkonflikte lösen, in Innovationen, Forschung und in Technik investieren. Dann können wir Pflanzenschutzmittel reduzieren, aber auch Ernten sichern.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie dürfen auch den Acker nicht vergessen!)

Das muss der Geist sein, den das Ganze atmet, sonst werden wir Lebensmittel importieren. Und dann haben wir auf deren Standards gar keinen Einfluss mehr.

(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das freut Ihre Agrarpolitiker, wenn Sie ein solches Bekenntnis abgeben!)