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Dr. Anja Weisgerber: "Wir wollen den Einstieg in eine CO2-Bepreisung kostenneutral gestalten"

Rede zur Erreichung der Klimaziele

2019 ist ein Schicksalsjahr für den Klimaschutz. Jetzt geht es darum, das Erfolgsmodell soziale Marktwirtschaft in eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft weiterzuentwickeln. Deshalb sind die Maßnahmen, die das Klimakabinett in allen Sektoren zeitnah auf den Weg bringen wird, genau die richtige Antwort. Die Maßnahmen fließen alle in ein umfassendes Klimaschutzgesetzespaket, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Es soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Da werden wir auch als Fraktion nicht lockerlassen. Wir setzen in allen Bereichen auf Technologie, Fortschritt und Innovation. Dafür sind Anreize in allen Bereichen notwendig.

Ein Instrument, um Klimainnovationen auszulösen, ist CO2 einen Preis zu geben. Darum wollen wir den Einstieg in eine CO2-Bepreisung kostenneutral gestalten, ohne dass es zu zusätzlichen einseitigen Belastungen für die Bürger kommt. Wir haben bereits heute ein Instrument zur CO2-Bepreisung: den europäischen Emissionshandel, der weite Teile der Industrie und der Energiewirtschaft abdeckt. Das ist ein marktwirtschaftliches Instrument, mit dem dort CO2 eingespart wird, wo es am kostengünstigsten ist. Gleichzeitig werden dadurch Technologien vorangebracht, die ohne den Kostendruck nicht wettbewerbsfähig wären.

Außerdem erhalten Unternehmen Planungssicherheit durch finanzielle Anreize und können bewusste Investitionsentscheidungen treffen. Und um eines gleich einmal vorwegzunehmen: Der Emissionshandel funktioniert. Durch die jährliche Verknappung der Zertifikate auf dem Markt erfolgt eine mengengenaue CO2-Reduktion, und er spart genau die Menge CO2 ein, die vorgesehen ist. In den Sektoren Energie und Industrie sinken die Emissionen kontinuierlich, und zwar durch das Mengensteuerungsinstrument Emissionshandel.

Durch die umfassende Reform wurde der europäische Emissionshandel für die vierte Handelsperiode ab 2021 gestärkt. Der Markt antizipiert die Reform bereits heute und der Preis ist von 5 Euro auf inzwischen 20 bis 25 Euro gestiegen. Das gilt es in der Debatte auch einmal anzuerkennen.

Offen ist die Frage, was mit den Sektoren Verkehr und Wärme passiert; denn hier werden ebenfalls fossile Energieträge, zum Beispiel in Form von Heizöl, Gas oder Benzin, eingesetzt. Die FDP schlägt hier zunächst eine nationale Einbeziehung des Verkehrssektors noch in diesem Jahr vor. Der Wärmesektor soll schnellstmöglich folgen. Auf die Frage, welcher Weg der geeignetste ist, um CO2 in allen Sektoren einen Preis zu geben, werden wir in den nächsten Monaten eine Antwort finden und die Wissenschaft befragen. Dabei gilt es, alle Vor- und Nachteile der verschiedenen Modelle gegeneinander abzuwägen und die Nebenwirkungen auf Herz und Nieren zu prüfen; denn es gibt heute schon nationale Steuern und Abgaben, die eine CO2-Komponente haben, zum Beispiel die Energie- oder KfZ-Steuern. Wir müssen uns auch genau anschauen, welche Auswirkungen es auf die Industrie hat, wenn wir die Sektoren Wärme und Verkehr in den Emissionshandel einbeziehen. Was nicht passieren darf, ist, dass es zu Verlagerungen von Arbeitsplätzen kommt.

In der Diskussion sind wir ehrgeiziger als die FDP; denn unabhängig von den unterschiedlichen Möglichkeiten einer Bepreisung ist es unser Ziel, keine nationalen Alleingänge zu machen. Wünschenswert wäre eine CO2-Bepreisung auf internationaler Ebene, zum Beispiel durch eine Vernetzung der bestehenden Emissionshandelssysteme. Es gibt bereits heute weltweit an die 20 Systeme, zum Beispiel in Kanada, den USA, einigen chinesischen Provinzen und Japan. Ein internationaler Ansatz erscheint jedoch – zugegeben – momentan nicht realistisch. Der zweitbeste Weg wäre eine europäische Lösung mit allen Mitgliedstaaten oder einzelnen Partnern. Jetzt nach der Europawahl besteht die historische Chance, auf europäischer Ebene den Durchbruch zu schaffen. Die demokratischen Parteien der Mitte, die derzeit im Europäischen Parlament einen gemeinsamen Weg bei vielen Themen suchen, haben einen konkreten Wählerauftrag. Diese Chance muss jetzt genutzt werden, um zügig auf EU-Ebene oder in einer Koalition der Willigen mit möglichst vielen anderen EU-Staaten ein Emissionshandelssystem für die Sektoren Verkehr, Wärme und eventuell auch Landwirtschaft einzuführen.

Egal auf welche Weise wir CO2 am Ende einen Preis geben werden – durch eine Ausweitung des Emissionshandels, durch einen Zertifikatehandel oder eine ökologische Steuerreform –, es gilt, die Auswirkungen intensiv zu prüfen. Das ist unsere Verantwortung als Politiker in Regierungsverantwortung. Dabei gelten für uns folgende Leitplanken: Es darf zu keiner einseitigen Belastung für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land kommen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Eine CO2-Bepreisung darf nicht die Mobilität im ländlichen Raum unterdrücken. Und sie darf nicht dazu führen, dass sich der Staat die Taschen vollmacht. Im Gegenteil: Wir fordern, dass endlich einmal darüber diskutiert wird, wo Steuern und Abgaben abgesenkt werden können. Unser Steuer- und Abgabensystem muss einem CO2-Check unterzogen werden. Und wir müssen jedenfalls dort mit den Steuern runter, wo CO2 eingespart wird. Bei solchen komplexen Entscheidungen ist unser Weg, sich intensiv mit der Wissenschaft auszutauschen.

Die nächsten Wochen und Monate werden wir dafür nutzen, um uns weiterhin mit Experten zu besprechen und unser Meinungsbild zu schärfen. Am 18. Juli wird sich dann das Klimakabinett auf der Grundlage eines Sondergutachtens mit der Frage der CO2-Bepreisung beschäftigen. Ziel ist es dann, noch in diesem Jahr eine umfassende Klimaschutzgesetzgebung mit Maßnahmen in allen Sektoren auf den Weg zu bringen und eine Entscheidung zur CO2-Bepreisung zu treffen.