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Michael Frieser

Michael Frieser: Um Beschlüsse angemessen vorbereiten zu können, brauchen wir Abgeordnete auch geschützte Denk- und Kommunikationsbereiche

Rede zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

Die Plenarsitzungen des Bundestags sind öffentlich, die Sitzungen der Ausschüsse des Bundestages sind es grundsätzlich nicht – und das ist auch richtig so. Ein Blick in die Geschäftsordnung zeigt, dass Bundestagsausschüsse „vorbereitende Beschlussorgane des Bundestages“ sind (§ 62 GO-BT).

Die Grünen und die Linken wollen dem demokratischen Öffentlichkeitsprinzip mehr Geltung verschaffen, indem Ausschusssitzungen grundsätzlich öffentlich sein und als Livestream übertragen werden sollen. Die vorgeschlagene Regelung hört sich in der Theorie gut an, passt aber nicht zur Arbeitsweise der meisten Ausschüsse.

Um Beschlüsse, wie in der Geschäftsordnung gefordert, angemessen vorbereiten zu können, brauchen wir Abgeordnete auch geschützte Denk- und Kommunikationsbereiche. Dabei geht es nicht um Geheimniskrämerei oder dunkle Absprachen. Nichtöffentliche Ausschusssitzungen sind keine geheimen Ausschusssitzungen, sondern im Regelfall nichtöffentliche Beratungen, in denen auch bei hochemotionalen, strittigen Themen offene Diskussionen statt abgestimmter Reden stattfinden. Nur so ist es möglich, dem Gegenüber entgegenzukommen und gemeinsam Kompromisslösungen zu erarbeiten.

Nichtöffentlichkeit beinhaltet keine Geheimhaltungsverpflichtung, sodass es jedem Teilnehmer freisteht, über das Gesagte zu berichten. So berichtet zum Beispiel der Bundestag in seiner Reihe „Heute im Bundestag“ (hib) parteineutral über den Verlauf nichtöffentlicher Sitzungen. Jeder Ausschuss kann auch beschließen, für einen bestimmten Verhandlungsgegenstand die Öffentlichkeit zuzulassen.

Wer die jüngsten Brexit-Diskussionen im britischen Unterhaus, einem Redeparlament, verfolgt hat, konnte sehr transparent sehen, wie über Gesetzentwürfe nach einer Debatte abgestimmt wurde. Es gibt die Möglichkeiten, zuzustimmen oder abzulehnen. Wie wir aktuell sehen, ist das nicht immer zielführend.

Der Bundestag hingegen ist eine Mischung aus Rede- und Arbeitsparlament. Wie Peter Struck treffend sagte: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es eingebracht wurde. – Wir als Arbeitsparlament haben die Chance, Gesetzentwürfe zu gestalten und zu beeinflussen. Dafür braucht es Kompromisse, die nur gefunden werden können, wenn man sich auch mal aus der Deckung wagen und seinem Gegenüber konstruktiv entgegenkommen kann. Wer lässt sich schon gerne in einem Prozess mit unsicherem Ausgang über die Schulter schauen? Da bleibt man unter Beobachtung gerne bei der eigenen sicheren Meinung, statt Gesichtsverlust durch einen abgelehnten Vorschlag zu erleiden. Ein guter, hart errungener Kompromiss, der beiden Seiten wehtut, bedeutet ein Vorankommen in der Sache, ist aber unter medialer Beobachtung ungleich schwerer zu erreichen als in einem offenen, unbeobachteten Gespräch.

Gesetzentwürfe durchlaufen drei Lesungen im Plenum. Alle Anhörungen werden öffentlich durchgeführt, alle Anträge und Ausschussberichte sind öffentlich für jedermann und jederzeit abrufbar. Ich kann kein Transparenzdefizit erkennen.

Ich bin ein Pragmatiker. Das Zeitbudget in den Ausschüssen ist bereits sehr knapp bemessen, obwohl wir ohne großen Formalismus und einleitende Worte gleich in die Sacharbeit einsteigen, da alle Ausschussmitglieder in die Thematik eingelesen sind. Bei öffentlichen Ausschusssitzungen müsste zunächst in jeden Tagesordnungspunkt eingeführt werden, um dem Zuschauer zu erklären, worum es geht. Das würde weniger Zeit für die sachliche Auseinandersetzung bedeuten.