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Ingo Wellenreuther: Ein funktionierender Rechtsstaat ist keine Selbstverständlichkeit

Haushaltsgesetz 2018 - Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Innerhalb des Einzelplans 07 möchte ich mich einem speziellen Projekt widmen, das heute schon mehrfach angesprochen worden ist. Es ist mit einem relativ kleinen Betrag ausgestattet, bedeutet aber einen weiteren wichtigen Schritt für die Realisierung eines großen Projektes. Das ist nämlich der Bau eines Forums Recht in Karlsruhe, ähnlich dem des Hauses der Geschichte in Bonn.

In der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses in der letzten Woche wurde beschlossen, weitere 150 000 Euro für das Forum Recht einzusetzen. Dies baut auf dem letztjährigen Haushalt auf, in dem bereits für die Erarbeitung einer Machbarkeitsstudie 200 000 Euro für das Forum Recht bereitgestellt worden sind. Das ist gut angelegtes Geld; denn diese Studie, die im September 2017 vorgestellt wurde, belegt eindrucksvoll, warum wir für Deutschland ein Forum Recht in Karlsruhe brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieser Schwung soll jetzt mitgenommen werden. Weitere Schritte zur Realisierung des Projekts sollen unternommen werden. Es bedarf einer Geschäftsstelle in Karlsruhe und verschiedener Veranstaltungen, um die Machbarkeitsstudie mit einem breiteren Publikum zu diskutieren und fortzuentwickeln.

Die Frage ist aber: Was ist genau das Forum Recht? Zunächst einmal ist zu sagen, dass es sich dabei um ein Projekt des Parlaments handelt, verankert im Koalitionsvertrag und unterstützt durch alle Parteien, die im Haushaltsausschuss zugestimmt haben – mit Ausnahme der AfD. Es wird außerdem getragen von der Zivilgesellschaft und einem in Karlsruhe bereits seit Jahren bestehenden Initiativkreis. Es freut mich besonders, dass auch Sie, liebe Frau Barley, als Bundesministerin der Justiz für das Forum Recht in Karlsruhe inzwischen Feuer gefangen haben.

Worum geht es? Für die meisten Menschen in Deutschland dürfte der Alltag in einem funktionierenden Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit sein. Dabei zeigt aber schon der alltägliche Blick in die Zeitungen und die anderen Medien, dass ein funktionierendes Rechtssystem mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und einer unabhängigen Justiz selbst in Europa keineswegs die Regel ist. Die historische Dimension von Recht und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland, ihre gegenwärtige Bedeutung und ihre zukünftigen Potenziale begreifbar und erlebbar zu machen, das ist das Ziel des Forums Recht – praktisch ein Rechtsstaat zum Anfassen als Beitrag zur Demokratiebildung. Dabei stellt gerade in Deutschland die Erinnerung an den Rechtsstaat eine besondere Herausforderung dar; denn sie umfasst natürlich auch die Herrschaft von Diktatur, Unrecht und Gewalt im Nationalsozialismus und das Unrechtsregime der DDR.

Ein Forum Recht als nationale Institution wird das Recht als politische, gesellschaftliche und kulturelle Kraft in Deutschland und Europa stärken. Es eröffnet die Möglichkeit zu aktuellen Debatten und lädt Menschen ein, am Diskurs über unsere Zukunft teilzunehmen. Dazu bedarf es aber auch eines Ortes, um den Rechtsstaat zu verstehen, um Recht und Rechtsstaatlichkeit als Faktoren der demokratischen Gesellschaft zu erleben und aktiv mitzugestalten. Das Forum Recht soll ein solcher Ort sein, ein Informations-, Dokumentations- und Kommunikationszentrum für Rechtsthemen mit Ausstellungen, Diskussionen und simulierten Gerichtsverhandlungen sowie einem breiten Angebot an visuellen Darstellungsformen.

Es soll auf dem Gelände des Bundesgerichtshofs und damit an einem zentralen Ort in Karlsruhe als 5 000 Quadratmeter großer Neubau errichtet werden. Möglichst viele Menschen jedweden Alters aus jedweden sozialen Verhältnissen und mit jedwedem Bildungsgrad sollen sich dort mit Fragen des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit auseinandersetzen. Im Idealfall ermöglicht dies sogar eine emotionale Verbundenheit mit unserem Rechts- und Verfassungsstaat. Das ist heute, glaube ich, aktueller denn je; denn die Entwicklungen in Ungarn, Polen, aber auch in der Türkei zeigen ebenso wie Populismus und Gewalt, dass wir das Wissen über den Rechts- und Verfassungsstaat dringend stärken und seine Bedeutung für ein Leben in Freiheit und Sicherheit verdeutlichen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Warum ist Karlsruhe der ideale Standort für das Forum Recht? Heinrich von Kleist schrieb in einem Brief an seine Schwester Ulrike im Jahre 1801:

Karlsruhe … ist klar und lichtvoll wie eine Regel, und wenn man hineintritt, so ist es, als ob ein geordneter Verstand uns anspräche.

Aber nicht nur deshalb ist Karlsruhe als Residenz des Rechts der geeignete Standort für das Forum Recht. Es gibt viele weitere Gründe:

Erstens. Seit mehr als 65 Jahren steht Karlsruhe als Symbol für den modernen und demokratischen Rechtsstaat. Neben dem Bundesgerichtshof, der Bundesanwaltschaft und dem Bundesverfassungsgericht wird sich das Forum Recht in optimaler Weise in die Stadt des Rechts einfügen. Der Gang nach Karlsruhe ist zum geflügelten Wort geworden. Die Deutschen sagen heute „Karlsruhe“ und meinen den Rechtsstaat. Ein Sprichwort sagt bei uns:

Karlsruhe hat viele Gesichter, jedes dritte gehört einem Richter.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Durch die Einbeziehung des alten Sitzungssaalgebäudes des Bundesgerichtshofs würde ein authentischer Ort, in dem viele bedeutende Revisionsprozesse der Nachkriegszeit stattgefunden haben, räumlich in das Konzept eingebunden werden können.

Drittens. Außerdem liegt Karlsruhe in Baden – das ist auch gut so –,

(Beifall des Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP])

und in Baden wurde 1818 die erste eigene und zugleich freiheitlichste Verfassung auf deutschem Boden verabschiedet. Sie bildete die Grundlage für den Aufbau der Demokratie in Deutschland. Und die darin vorgesehene Ständeversammlung tagte ab 1822 im Ständehaus in Karlsruhe, welches das älteste eigenständige Parlamentsgebäude auf deutschem Boden ist. Es gilt als Vorbild für das erste gesamtdeutsche Parlament, die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, und damit als Wiege der deutschen Demokratie.

Viertens. In Karlsruhe ist 1863 das erste deutsche Verwaltungsgericht eingerichtet worden.

Fünftens. Eines ist aber auch klar: Karlsruhe hat auch Schattenseiten der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte erlebt. Die Stadt war nämlich Schauplatz terroristischer Anschläge auf Personen und Institutionen des deutschen Rechtsstaats. Terroristen der RAF ermordeten 1977 in Karlsruhe den Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Auch dieses Spannungsverhältnis zu thematisieren, verleiht Karlsruhe eine besondere Authentizität.

Sechstens. Seit 1985 ist zudem das Rechtshistorische Museum in Karlsruhe eingerichtet, und die Justizpressekonferenz hat seit 1975 ebenfalls ihren Sitz in Karlsruhe.

Siebtens, Last, but not least: Seit 2001 finden die Karls­ruher Verfassungsgespräche unter Schirmherrschaft des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts jeweils am Vorabend des Verfassungstages, des 23. Mai, statt.

All diese Gründe haben die Regierungskoalition zu Recht überzeugt, Karlsruhe als Standort für das Forum Recht im Koalitionsvertrag festzulegen. Sie können sich vorstellen, dass mich persönlich das als ehemaliger Richter und direkt gewählter Abgeordneter meiner Heimatstadt Karlsruhe mit besonderer Freude erfüllt.

(Dr. Eva Högl [SPD]: Das haben wir gar nicht gemerkt, Herr Wellenreuther!)

– Hat man gemerkt? Ich hoffe es. – Deshalb bin ich auch sehr zuversichtlich, dass wir gemeinsam hier im Deutschen Bundestag bald dieses Gesamtprojekt mit einem Gesamtvolumen von circa 75 Millionen Euro Baukosten beschließen werden. Viele Vorarbeiten sind getan.

Unter anderem deshalb werden wir als Union mit Freude dem vorliegenden Justizhaushalt zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] und Dr. Stefan Ruppert [FDP])