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Dr. Jan-Marco Luczak: "Wir haben ein abgestuftes Regelungsregime geschaffen"

Rede zur Normenkontrolle Bevölkerungsschutzgesetz

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt Freitagmorgen, 10.30 Uhr. Das ist die Primetime des Parlaments. Das ist normalerweise die Zeit, wo wir über die großen Dinge, die großen Herausforderungen, gerade auch in der Pandemie, diskutieren.

(Stephan Brandner [AfD]: Das tun wir gerade! Genau das tun wir!)

Die Menschen draußen, die uns jetzt zuhören, wollen hören, was wir denn für Lösungen anzubieten haben, was die drängenden Fragen sind und wie wir darauf reagieren wollen. Und was machen wir stattdessen? Wir müssen uns hier mit einem Antrag der AfD auseinandersetzen,

(Zuruf von der AfD: Das ist Demokratie!)

der formal absurd ist, der inhaltlich völlig daneben ist und der in der Sache billiger Populismus ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Sie haben es nicht verstanden, Herr Luczak! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es war inhaltlich voll verschleiert!)

Warum ist der Antrag formal absurd? Man muss sich noch mal genauer vergegenwärtigen, was die AfD hier von uns als Deutschem Bundestag beschlossen haben möchte.

(Stephan Brandner [AfD]: Wir wollen die Grundrechte erhalten!)

Der Bundestag soll begrüßen, dass sich genügend Mitglieder des Hohen Hauses zusammenfinden, um eine abstrakte Normenkontrolle gegen das Infektionsschutzgesetz auf den Weg zu bringen.

(Stephan Brandner [AfD]: Das haben Sie gut erkannt!)

Meine Damen und Herren, das ist doch absurd. Der Bundestag soll mit Mehrheit beschließen,

(Stephan Brandner [AfD]: Der Bundestag!)

ein Gesetz vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen, das er selbst mit Mehrheit beschlossen hat. – Wenn diese Mehrheit, lieber Kollege Brandner, da wäre, dann könnte der Bundestag das Gesetz doch gleich aufheben.

(Stephan Brandner [AfD]: Ich halte Sie für klüger!)

Wieso also dieser Umweg zum Bundesverfassungsgericht? Wieso stellen Sie nicht gleich einen Antrag, dass dieses Gesetz aufgehoben wird?

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann Ihnen sagen, warum Sie das nicht machen: weil Sie ganz genau wissen, dass Sie für Ihren Antrag hier keine Mehrheit bekommen. Und warum wissen Sie das? Weil Sie den gleichen Antrag – wortgleich, identisch – schon im Oktober 2020 gestellt haben. Und auch damals haben Sie keine Mehrheit gefunden. Sie wissen genau, dass das Nonsens ist, dass das Bauernfängerei ist, dass das billiger Populismus ist. Schade, dass Sie unsere Zeit hier heute Morgen damit verschwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brandner?

 

Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU):

Nein. – Und in der Sache ist dieser Antrag auch völlig unberechtigt. Natürlich stellen sich schwierige verfassungsrechtliche Fragen im Zuge der Pandemiebekämpfung. Ja, es ist richtig: Es gibt einschneidende Maßnahmen, es gibt Eingriffe in Grundrechte, und die Freiheiten der Menschen werden eingeschränkt. Das ist uns allen wohl bewusst.

Und deswegen haben wir das hier im Deutschen Bundestag auch ausführlichst diskutiert, nicht nur bei § 28a Infektionsschutzgesetz, auch in dieser Woche, mit Aktuellen Stunden. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Debatten wir im Deutschen Bundestag über die Fragen der Pandemiebekämpfung geführt haben.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In dieser Woche acht Stunden!)

Es waren viele.

Und ich will nur mal sagen: § 28a ist – anders, als Sie das hier vorstellen – gerade keine Erweiterung von Maßnahmen gewesen, sondern genau das Gegenteil ist der Fall. Wir haben in § 28a als Deutscher Bundestag den Ländern einen ganz konkreten Regelungsrahmen dafür vorgegeben, was sie machen können und was sie auch nicht machen können. Das heißt, wir haben ein abgestuftes Regelungsregime geschaffen, unter Wahrung der strikten Verhältnismäßigkeit, weil wir natürlich genau sehen, dass es einschneidende Maßnahmen sind und dass wir die Grundrechte der Bürger schützen müssen.

Wir haben aber gleichzeitig auch sichergestellt, dass die notwendige Flexibilität, um die Pandemie zu bekämpfen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen, gewahrt wird. Dass das notwendig war, zeigt ja auch gerade das Geschehen, das wir in diesen Tagen haben. Bei den Mutationen ist es eben notwendig, dass wir flexibel darauf reagieren.

Wir haben als Deutscher Bundestag der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichtes Rechnung getragen. Das Parlament, wir als Deutscher Bundestag haben den Rahmen gesetzt, wir haben verbindlich abgesteckt, was möglich ist und was auch nicht. Und der Rechtsstaat, meine Damen und Herren? Der funktioniert. Gerade in der Krise bewährt er sich. Und das zeigt jetzt gerade auch der Blick auf die Entscheidungen der Gerichte in den letzten Wochen und Monaten.

Die Gerichte kontrollieren. Wir haben gerade in dieser Woche eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes gehabt, wo die FFP2-Masken-Pflicht ausdrücklich bestätigt worden ist. Aber gleichzeitig hat das Gericht auch gesagt, dass die Einschränkung des Bewegungsradius, die dort erfolgen sollte, nicht in Ordnung gewesen ist. Das zeigt doch gerade, dass die Gerichte differenziert damit umgehen, dass sie sich sehr genau anschauen, welchen Rahmen wir als Deutscher Bundestag gesteckt haben, was möglich ist und was auch nicht.

Und wenn Sie, Herr Gauland, in diesem Zusammenhang von „Coronadiktatur“ sprechen, dann ist das nicht nur in der Sache falsch, sondern ich finde, es ist eine Verhöhnung von all denen, die wirklich in einer Diktatur leben müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber von all diesen verfassungsrechtlich hochkomplexen, schwierigen Fragen findet sich in der Begründung Ihres Antrags kein Wort. Kein Wort! Die Begründung ist dünn, außerordentlich dünn.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir kennen die Fähigkeiten Herrn Brandners!)

Sie haben, so wie in Ihrer Rede, erst mal seitenlang die Vorschriften wiedergegeben und zitiert, Sie haben von Ihrem Sachverständigen in der Expertenanhörung abgeschrieben. Ich habe mich gefragt, welcher Jurastudent im ersten Semester eigentlich diesen Antrag geschrieben hat. Aber wahrscheinlich war es einfach nur Herr Brandner selbst.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ha, ha, ha!)

Stattdessen finden sich dort krude Behauptungen, es finden sich dort krude Vorschläge, etwa dass behauptet wird, die Grundrechte würden großflächig suspendiert werden.

(Stephan Brandner [AfD]: Krude Behauptungen? Das ist cool!)

Das ist genau das Narrativ der Querdenker, das Sie damit bedienen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und ich kann Ihnen sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Natürlich gelten die Grundrechte; selbstverständlich gelten die Grundrechte. Aber es ist auch richtig: Die Grundrechte werden eingeschränkt, weil es notwendig ist, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Aber alle Maßnahmen, die wir gemacht haben, um die Grundrechte einzuschränken, geschahen unter Wahrung der strikten Verhältnismäßigkeit, und all das, was Sie hier gesagt haben, dass es zeitlich unbeschränkt eingeschränkt würde, dass es keine Definition der epidemischen Lage von nationaler Tragweite gibt, all das ist Unsinn. Das wissen Sie auch selbst.

Ich will zum Schluss noch auf einen Vorschlag zu sprechen kommen, den die AfD uns hier im Antrag macht. Sie schlagen allen Ernstes vor, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie unmittelbar im Grundgesetz geregelt werden sollen. Sie schlagen uns allen Ernstes eine Verfassungsänderung vor, um die Coronapandemie zu bekämpfen, und Sie wissen sehr genau, dass man dafür eine Zweidrittelmehrheit hier im Deutschen Bundestag und auch im Bundesrat benötigt.

(Stephan Brandner [AfD]: Genau!)

Sie wissen, wie schwerfällig, wie zeitaufwendig ein solches Verfahren ist, dass man manchmal Wochen und Monate darüber diskutieren muss.

(Stephan Brandner [AfD]: Wir sind aber ein Rechtsstaat, eine Demokratie!)

In der Pandemie ist genau das Gegenteil gefordert: Es ist notwendig, dass wir schnell, entschieden und flexibel handeln können.

Und das zeigt nur, wes Geistes Kind Sie sind. Es zeigt, dass Sie diese Coronamaßnahmen ablehnen, dass Sie sie torpedieren wollen. Deswegen sprechen Sie auch von einem Ermächtigungsgesetz.

(Stephan Brandner [AfD]: Habe ich nicht gesagt! Wann habe ich das denn gesagt?)

Sie sprechen von einer Gesundheitsdiktatur.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie lügen, Herr Luczak!)

Sie begeben sich damit in Widerspruch zu 84 Prozent der Menschen in unserem Land, die sagen: Die Maßnahmen sind richtig, sie könnten sogar noch schärfer ausfallen.

Mit Ihrem Antrag, mit Ihrer Argumentation schrammen Sie haarscharf an der Coronaleugnung vorbei. Das ist Obstruktionspolitik, und das werden wir nicht mitmachen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)