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Dr. Jan-Marco Luczak: "Kein Mensch darf aufgrund seiner sexuellen Identität ausgegrenzt oder diskriminiert werden"

Hass und Hetze gegen LSBTI wirksam bekämpfen

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Jeden Tag werden in unserem Land Lesben, Schwule, Transsexuelle und Transgender angefeindet – einfach nur weil sie so sind, wie sie sind. Hass schlägt ihnen tagtäglich entgegen; sie müssen ihn allzu oft am eigenen Leib erfahren. Wir haben die Zahlen gehört: Leider nehmen die homophoben Angriffe zu. 2020 waren es fast 800 Straftaten; das ist ein Anstieg gegenüber 2019 um fast ein Drittel. Im Jahr davor war der Anstieg noch wesentlich größer: 2019 betrug der Anstieg gegenüber 2018 60 Prozent. Die Zahlen, die nicht in irgendwelchen Statistiken auftauchen, sind vermutlich wesentlich höher.

Weil es diese homophoben Übergriffe gibt und sie Angst davor haben, leben 40 Prozent der Community ihre sexuelle Identität nicht aus oder verschweigen sie komplett. Wir leben in einem freien Land, aber diese Menschen sind nicht frei, und ich finde, das ist ein unhaltbarer Zustand.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen brauchen wir ein klares Signal. Kein Mensch darf aufgrund seiner sexuellen Identität ausgegrenzt, verfolgt oder diskriminiert werden. Wir sind eine freie, offene und, ja, auch bunte Gesellschaft, in der jeder leben und auch lieben können muss, wie er will. Das müssen wir nicht nur in Appellen, in Reden hier im Deutschen Bundestag oder in Sonntagsreden immer wieder sagen, sondern es bedarf auch ganz konkreter Schritte, um das zu erreichen. Wir brauchen Gesetze.

Deswegen ist unser Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das wir als Koalition auf den Weg gebracht haben, so wichtig. Sie alle wissen, worum es dabei inhaltlich geht. Es geht darum, die großen sozialen Netzwerke zu verpflichten, dem Bundeskriminalamt bestimmte strafbare Inhalte zu melden, sie auszuleiten, damit eine Strafverfolgung erfolgen kann und diejenigen, die Hass und Hetze auf Facebook, auf Twitter oder an anderen Stellen verbreiten, bestraft werden können. Immer dann, wenn es darum geht, den öffentlichen Frieden zu stören, oder wenn es darum geht, Straftaten zu belohnen oder zu billigen, oder auch wenn es um Bedrohung geht, fällt das unter dieses Gesetz. Da haben wir unheimlich viel in diesem Gesetz gemacht. Wir haben die Tatbestände erweitert, wir haben sie verschärft. Ich finde, das waren ganz wichtige und richtige Änderungen, die auch und gerade die LSBTI-Gemeinde schützt, weil – das schreiben die Grünen in ihrem Antrag ja selber – LSBTI besonders stark von Hasskriminalität betroffen sind. Gerade im sozialen Raum, gerade in den sozialen Netzwerken werden sie in besonderer Weise angefeindet. Sie schreiben das in Ihrem Antrag ausdrücklich.

Aber was machen die Grünen, wenn es konkret wird? Dann blockieren sie gemeinsam mit der FDP dieses wichtige Gesetz im Bundesrat.

(Beifall bei der CDU/CSU – Benjamin Strasser [FDP]: Der Bundespräsident wollte Ihr Gesetz nicht unterschreiben!)

Sie blockieren es. Sie haben blockiert, dass diese wichtigen Änderungen, die wir als Koalition auf den Weg gebracht haben, Gesetz werden.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil Sie es verfassungsgemäß machen sollen!)

Sie haben das verhindert. Und ich muss Ihnen sagen: Wenn Sie hier jetzt einen solchen Antrag einbringen, finde ich das, gelinde gesagt, scheinheilig. Mit dieser Blockade im Bundesrat

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legen Sie bessere Gesetze vor!)

haben Sie nicht Lesben, Schwule, Transsexuelle und Transgender geschützt, sondern Sie haben die Demokratiefeinde und die Hetzer geschützt, meine Damen und Herren, und das finde ich unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Unsinn! Und Sie wissen das! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen genau, dass das nicht stimmt!)

In Ihrem Antrag gibt es ja viele Vorschläge. Und ich will jetzt freimütig sagen: Ich finde auch nicht alle Vorschläge schlecht. Aber was mich schon ein bisschen gewundert hat, ist, dass das Entscheidende gefehlt hat: das Grundgesetz. Mit keinem Wort gehen Sie in Ihrem Antrag auf die Änderung unserer Verfassung ein. Sie wissen, wir diskutieren darüber schon seit Langem.

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie einen besseren Gesetzentwurf vor!)

Ich finde, dass Artikel 3 Absatz 3 unserer Verfassung genau der richtige Ort ist, um den Schutz von Homosexuellen zu adressieren; denn das Grundgesetz, unsere Verfassung, steht für jene Werte und Prinzipien, die für unsere Rechtsordnung prägend sind. Es gibt eine wichtige Leitbildfunktion, die unsere Verfassung erfüllt, und deswegen ist sie genau der richtige Ort: Wir sollten Artikel 3 Absatz 3 um das Merkmal der sexuellen Identität ergänzen. Ich finde, diese Ergänzung des Gleichheitsartikels wäre ein deutliches Bekenntnis zu einer freien, zu einer offenen Gesellschaft, in der Schwule und Lesben selbstverständlicher Teil der gesellschaftlichen Normalität sind und ein Recht darauf haben, angst- und diskriminierungsfrei leben zu können.

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler:

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schauws?

 

Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU):

Selbstverständlich, Frau Schauws.

 

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Herr Kollege Luczak, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben bemängelt, dass in unserem Antrag, den wir hier eingebracht haben und den ich gerade vorgestellt habe, die Ergänzung um die sexuelle Identität in Artikel 3 Absatz 3 nicht erwähnt wurde. Ihnen ist aber schon bekannt, dass wir gemeinsam mit der FDP und den Linken dazu schon vor langer Zeit einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, dass wir eine Anhörung dazu gemacht haben, dass wir mit Ihnen interfraktionell, aber auch mit Ihnen persönlich im Gespräch miteinander sind und dass wir als Grüne diejenigen sind, die diese Forderung schon sehr, sehr lange erheben? Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, warum Sie das jetzt bemängeln. Sind Sie sich im Klaren darüber, dass es nicht an uns liegt, dass Artikel 3 Absatz 3 bisher nicht um die sexuelle Identität ergänzt wurde, sondern eher an den Gesprächen, die bei Ihnen haken?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])

 

Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU):

Frau Kollegin, ich bin mir selbstverständlich bewusst, dass es diesen Gesetzentwurf gibt und wir die Anhörung gemeinsam gestaltet haben, die ja auch ein sehr klares Ergebnis hervorgebracht hat. Deswegen sage ich das ja hier noch mal ausdrücklich. Trotzdem finde ich: Wenn man einen solchen Antrag schreibt, wenn es darum geht, zu adressieren, wie wir Lesben und Schwule in unserer Gesellschaft besser schützen können, dann gehört gerade diese zentrale, diese entscheidende Frage „Wie gehen wir mit unserer Verfassung um?“ dazu. Das wollte ich nur noch mal an dieser Stelle adressieren, weil das in Ihrem Antrag fehlt. Ich habe nicht gesagt, dass Sie das nicht auch fordern; das ist mir sehr bewusst. Aber es hätte systematisch hier dazugehört, weil das das Entscheidende ist und weil es um das Signal geht, das von unserer Verfassung ausgeht. Deswegen wäre es gut gewesen, wenn Sie das in Ihrem Antrag erwähnt hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, ist das traurig!)

Ich will an meine Ausführungen zu Artikel 3 Absatz 3 anknüpfen. Es ist natürlich auch heute schon so, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Betroffenen Schutz bietet.

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Treffer! Versenkt!)

Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Jungfernrede, die ich 2010 hier im Deutschen Bundestag gehalten habe; da ging es auch um die Ergänzung von Artikel 3 Absatz 3. Ich habe mich damals dagegen ausgesprochen, Artikel 3 Absatz 3 an dieser Stelle zu ändern. Heute, gut zehn Jahre später, sage ich: Ich habe meine Meinung geändert. Ich finde es richtig, wenn wir den Artikel 3 Absatz 3 an dieser Stelle ändern, und zwar aus zwei Gründen: weil wir auf der einen Seite die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsfest machen und absichern gegen die reaktionären Tendenzen und die rechtspopulistischen Strömungen, die wir leider ja auch in unserem Hause hier sehen. Deswegen, glaube ich, wäre das richtig und notwendig. Zum anderen finde ich es wichtig – ich komme noch mal auf die Zahlen zurück –, weil wir sehen, dass die Zahl der homophoben Straftaten zunimmt. Deswegen, finde ich, brauchen wir dieses klare Signal im Verfassungstext, dem zentralen identitätsstiftenden Dokument für unsere Gesellschaft, wo die grundlegenden Werte abgeleitet werden. Dort muss das ausdrücklich verankert werden.

Frau Schauws, Sie haben gesagt, Gewalt darf nicht unsichtbar sein. – Das ist richtig. Ich finde, der Schutz muss sichtbar sein. Deswegen bin ich sehr für eine Ergänzung des Artikels 3 Absatz 3.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])