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Dorothee Bär: "Virtuelle Gewalt ist Gewalt im Hier und Jetzt"

Hasskriminalität und andere Formen von Gewalt gegen Frauen bekämpfen

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf einen Mann kommen 27 Frauen, die von digitaler Gewalt betroffen sind, zumindest laut einer Studie aus dem Jahr 2015 der Breitbandkommission für digitale Entwicklung der Vereinten Nationen. Ich bin mir sicher, dass wir davon ausgehen können und müssen, dass das Bild im Jahr 2021 noch bedrückender ist. Warum können wir davon ausgehen? Weil ich mir sicher bin, dass wir alle hier, die wir als Frauen im Parlament sind, das fast täglich erleben.

Ich habe das erst heute wieder den ganzen Tag erlebt. Ich war gestern in zwei Talkshows. Danach bekommt man viele Rückmeldungen. Man bekommt viel Lob, aber natürlich auch viel Kritik. Die Kritik, gerade wenn sie von Männern kommt, ist selten neutral, dass man also sagt, man habe eine andere Meinung, man stimme eben nicht überein. Bei fast jeder E-Mail ist irgendetwas Sexualisiertes dabei: was das Aussehen betrifft, was das Auftreten betrifft, was die Kleidung betrifft, manchmal sogar die Sprache; selten geht es um die Inhalte.

Das sind jetzt natürlich nicht die Zahlen der Vereinten Nationen. Aber man kann das schon vergleichen, im persönlichen Gespräch mit Kollegen. Die bekommen auch Zuschriften. Aber wenn man sie fragt: „Ging es da irgendwo einmal um dich persönlich, um dein Aussehen?“, oder: „Wurdest du im Netz auch sexuell belästigt?“, dann antworten sie meistens: „Nein, das ist nicht der Fall“. Das ist etwas, was uns allen so geht. Vielleicht sind wir als Politikerinnen – leider – an der einen oder anderen Stelle abgehärtet. Aber es kann nicht sein, dass wir das einfach hinnehmen. Deswegen müssen wir tätig werden.

Straftaten aus Frauenhass stehen häufig auch im Zusammenhang mit ideologischen Phänomenen. Wir beobachten ganz oft, dass der Hass auf Feminismus durch antisemitische, durch rassistische Ideologeme flankiert wird. Dafür gibt es verschiedene Beispiele, wie die frauenfeindliche Incel-Bewegung. Wir sehen: Frauenhass ist Menschenhass. Er geht uns alle an, und bricht der Damm, bricht er für uns alle. Es gibt ihn in vielen Ausprägungen: Es ist die Androhung von Straftaten in sozialen Netzwerken, es ist Cyberstalking, das sogenannte Doxing. Das heißt, Frauen werden viel zu häufig Opfer von Missachtung, von Hass und Gewalt. Unser Leben ist digital. Virtuelle Gewalt ist Gewalt im Hier und Jetzt. Das ist unerträglich. Es ist wahnsinnig viel Leid unterwegs. Deswegen wird das von uns als Bundesregierung mit aller Macht bekämpft.

Wir haben in den vergangenen Monaten viel auf den Weg gebracht: das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Wir haben eine neu geschaffene Zentralstelle beim Bundeskriminalamt. Wir haben den Gesetzentwurf zur Änderung des § 238. Das bereits erwähnte Doxing wird dazu führen, dass das Verbreiten personenbezogener Daten mit dem Gesetz zur Strafbarkeit der Verbreitung von Feindeslisten unter Strafe gestellt wird.

Zu einem ganz wichtigen Punkt komme ich beim Thema Kriminalstatistik. Mir ist es persönlich sehr wichtig, dass wir Gewalt gegen Frauen, frauenfeindliche Straftaten in den polizeilichen Statistiken künftig besser erfassen, besser auswerten. Ich bin sehr froh, dass wir uns dazu ganz klar bekannt haben. Der Bundesinnenminister – dafür bin ich sehr dankbar – hat bereits seine Zustimmung angekündigt und auch schon Gespräche mit den für die Datenerhebung zuständigen Ländern geführt.

Ich setze sehr stark auf die Innenministerkonferenz vom 16. bis 18. Juni dieses Jahres und darauf, dass das Ganze da endlich angegangen und umgesetzt wird, weil nur wer Frauenfeindlichkeit als eigene Rubrik in der Kriminalstatistik führt, schafft es, frauenfeindliche Straftaten zu benennen und zu zeigen, dass das eben kein verdecktes Phänomen mehr ist.

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Wenn wir Frauenfeindlichkeit in der Kriminalstatistik erfassen, dann erhalten wir hinsichtlich dieser Straftaten auch genauere Informationen zu Opfern, Tätern, aber auch ganz bestimmten Merkmalen. Das heißt, wenn wir genau hinschauen, können wir etwas ändern.

Abschließend, Frau Präsidentin: Natürlich wäre es bei fast allen Gesetzen am besten, wir bräuchten sie gar nicht. Das entspricht aber leider nicht der Lebensrealität. Solange das weiterhin der Fall ist, werden wir alles dafür tun, damit dieser Hass nicht weiter in die Gesellschaft wirkt, und ich bin mir sicher, dass wir fraktionsübergreifend einen hoffentlich relativ großen Konsens hinbekommen, wenn auch das Belästigen von Frauen, das falsche Hinterherschreien und die Pöbeleien von einigen als Kavaliersdelikte bezeichnet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)