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Detlef Seif: Es handelt sich um überzeugte Europäer, die sich hier in Deutschland aufhalten

Redebeitrag zur Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ein Hauptpunkt des vorliegenden Entwurfs eines Gesetzes zur aktuellen Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften an das Unionsrecht ist die Regelung des Aufenthaltsrechts in Deutschland lebender britischer Staatsbürger nach dem 31. Dezember 2020.

Nach dem Austrittsabkommen haben wir zwei Möglichkeiten: Wir können verlangen, dass jeder britische Staatsbürger einen separaten Antrag zu stellen hat. Wir haben aber auch die Möglichkeit, auf einen Antrag zu verzichten und den Aufenthaltsstatus automatisch zu bewilligen. Wir verfahren nach der menschlicheren und unbürokratischeren Vorgehensweise, indem wir nämlich das Statusrecht automatisch beibehalten; denn es wäre nicht nachvollziehbar, dass Briten, die vergessen, einen Antrag zu stellen, plötzlich ihren Aufenthaltsstatus beendet sähen.

In der Sachverständigenanhörung deutete eine Sachverständige an: Na ja, ihr geht damit in einer gewissen Art und Weise in Vorleistung, weil wir ja noch gar nicht wissen, ob wir mit Großbritannien überhaupt ein Abkommen über die zukünftigen Regelungen und das zukünftige Verhältnis haben werden. – Aber, meine Damen und Herren, es handelt sich um Menschen, es handelt sich um überzeugte Europäer, die sich hier in Deutschland aufhalten. Die dürfen nicht zur Verhandlungsmasse werden, und vor allen Dingen können sie nicht in Sippenhaft genommen werden für den großen historischen Fehler ihres Landes Großbritannien, den Brexit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Unsere bisherige Regelung zur EU-Freizügigkeitsrichtlinie ging der Kommission nicht weit genug; es wurde ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Nun gehen wir das Problem an und setzen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die EU-Freizügigkeitsrichtlinie vollständig um. Es ist ja auch nachvollziehbar, dass nahen Angehörigen von Unionsbürgern die Einreise und der Aufenthalt erleichtert werden sollen. Das war bis jetzt noch nicht deutlich genug gesetzlich geregelt.

Dann komme ich zu einer Vorschrift – erschrecken Sie nicht –: § 11 Absatz 4 Satz 2 des ursprünglichen Gesetzentwurfs sah eine sogenannte fiktive Prüfung zur Frage des Bestehens eines Aufenthaltsrechts vor. Das hört sich trocken und rechttheoretisch an, ist aber für die betroffenen Menschen von wirklich großer und existenzieller Bedeutung. Es handelt sich nämlich um Unionsbürger, die im Einzelfall zwar keinen Aufenthaltstitel besitzen, die aber wegen besonderer Umstände – etwa wegen besonderer Härte oder wegen des Schutzes von Ehe und Familie – aufenthaltsberechtigt sind. Die Ausländerbehörden haben teilweise gesagt: Wir brauchen das gar nicht zu bescheiden, weil das ja schon so ist. – Das Problem ist nur: Dann konnten diesem Personenkreis keine Sozialleistungen nach SGB II bewilligt werden. Dann haben die Sozialgerichte eine Krücke gebildet und gesagt: Wir prüfen fiktiv, ob das Aufenthaltsrecht besteht, und bestätigen dann den Leistungsanspruch.

Nach der Anhörung sind wir als Koalitionsfraktionen einhellig der Auffassung: Diese Vorschrift ist in diesem Gesetzgebungsverfahren zu streichen.

(Beifall der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Da es sich bei der Frage, ob ein Aufenthaltsrecht vorliegt, aber letztlich um die Ermessensentscheidung einer Behörde handelt, die nicht von einem Gericht ersetzt werden kann, ist eine gesetzliche Präzisierung auch unter dem Aspekt der Rechtssicherheit sinnvoll. Rechtssystematisch handelt es sich aber nicht um eine Frage des Freizügigkeitsrechts oder des Aufenthaltsrechts, sondern um eine des Sozialrechts.

Alles in allem: Der in der jetzigen Fassung vorliegende Gesetzentwurf ist gelungen. Berechtigte Einwendungen wurden berücksichtigt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)