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Christoph de Vries: "Wir schätzen die repräsentative Demokratie"

Einführung der Direkten Demokratie auf Bundesebene

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr aufmerksam den Worten der grünen Rednerinnen gefolgt: Frau Bayram und Frau Christmann. Und da musste ich an einen inzwischen berühmt gewordenen Bezirksamtsleiter aus Hamburg-Nord denken, der nicht nur den Bau von Einfamilienhäusern verboten und damit ein klares Signal an Familien in Hamburg gesetzt hat;

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hat er nicht!)

jetzt hat er auch noch mit Tricks dafür gesorgt, dass die gesetzlich verbrieften Bürgerrechte, nämlich Bürgerentscheide durchzuführen, bei diesem Verfahren ausgehebelt werden, damit keine Einfamilienhäuser gebaut werden.

Wer so was macht, der sollte sich mal die Frage nach seiner Glaubwürdigkeit stellen, was direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung anbelangt. Ich weiß nicht, ob Sie da die besten Kronzeugen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Denn das ist Bürgerbeteiligung nach Gutsherrenart. – Heute hat sich übrigens noch herausgestellt, dass er selber Eigenheimbesitzer ist; aber das nur als Bemerkung am Rande.

Nun aber zum Thema „direkte Demokratie“. Das ist ja hier ein Evergreen; das kennen wir von der AfD, von der Linken genauso. Ich möchte dazu gerne fünf Thesen aufstellen, und ich bin auch ein überzeugter Vertreter unserer repräsentativen Demokratie.

Meine erste These ist: Direkte Demokratie nützt vor allen Dingen Populisten. Um dies zu verstehen, kann man einfach mal den Blick zurück auf den Brexit werfen und rekapitulieren, welch eine Lügenkampagne der knappen Entscheidung für den Brexit voranging. Keines der Versprechen hat sich bewahrheitet.

Und ein anderes Beispiel, hier direkt aus Berlin – Sie kennen das auch –: die Bebauung des Tempelhofer Flughafens. Dieselben Menschen, die damals ein Verbot gefordert und dafür geworben haben und damit den Bau von Zehntausenden Wohnungen verhindert haben, stellen sich heute hin und beklagen Wohnungsnot und steigende Mieten und wollen jetzt Eigentümer enteignen. Meine Damen und Herren, das ist Populismus pur,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und das sollte uns ein warnendes Beispiel sein.

Das führt mich zur zweiten These. Direktdemokratische Entscheidungen sind kaum reversibel. Wenn solche Entscheidungen erst mal gefällt worden sind, tun sich Parlamente schwer damit, den Willen der Bürger zu übergehen, selbst wenn sie wissen, dass das erheblichen Schaden für ihr Land zur Folge hat. Auch hier ist der Brexit das Paradebeispiel.

Aber wir wissen es alle: Parlamentarisches Handeln ist nicht frei von Fehlern, politisches Handeln generell nicht. Und deswegen ist es auch fundamental für eine funktionierende Demokratie, dass Fehlentscheidungen korrigiert werden. Sie aber wollen es hin zur Irreversibilität auf die Spitze treiben, indem jede Änderung eines Gesetzes, das vom Volk beschlossen wurde, auch nur durch erneute Zustimmung wieder geändert werden kann. Da sage ich Ihnen ganz klar: Das lehnen wir ab, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dritte These. Die Entscheidungen der direkten Demokratie tragen zur Spaltung unserer Gesellschaft bei. Direktdemokratische Entscheidungen sind in der Regel immer zugespitzte Entscheidungen. Sie reduzieren komplexe Sachverhalte auf ein Ja oder Nein.

(Stephan Brandner [AfD]: Ihr doch auch!)

Auch Minderheitenrechte passen schlecht zu direkter Demokratie. In der Regel bleiben sie auf der Strecke, genauso wie der politische Kompromiss. Aber ich finde, unsere parlamentarische Demokratie lebt von der Bereitschaft aller Beteiligten zum Kompromiss. Sie lebt davon, dass Einzelinteressen nicht über dem Gemeinwohl stehen, und sie lebt auch davon, dass es nicht nur Sieger und Verlierer gibt. Ich finde, das ist ein hohes Gut, das wir uns bewahren sollten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vierte These. Die repräsentative Demokratie ist aus meiner Sicht demokratischer als die direkte Demokratie.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten von Storch?

Christoph de Vries (CDU/CSU):

Nein, ich würde gerne zu Ende ausführen. – Eine parlamentarische Entscheidung bedeutet, dass nach einem langen, komplexen Prozess der Gesetzgebung – mit Anhörungen, mit Länderbeteiligung, mit parlamentarischen Verfahren – eine Entscheidung getroffen wird, wobei die unterschiedlichsten Interessen bewertet und auch berücksichtigt werden, und die Gesetze werden von gewählten Volksvertretern gemacht. Wenn wir uns nur die Situation jetzt mal anschauen: Wir vertreten hier im Bundestag drei Viertel der Bevölkerung, die wahlberechtigt sind. Das ist eine Beteiligung, die Volksentscheide niemals erreichen, und deswegen haben sie auch keine höhere Legitimation, meine Damen und Herren.

(Beifall des Abg. Axel Müller [CDU/CSU])

Und was möchten Sie jetzt mit Ihrem Gesetzentwurf? Ihr Gesetzentwurf sieht überhaupt keine Beteiligungsquoren vor. Damit könnten Kleinstgruppen in Deutschland künftig unser Grundgesetz und unsere Verfassung ändern. Da sage ich Ihnen ganz im Ernst, meine Damen und Herren: Wer so etwas fordert, der will doch nicht mehr Demokratie; der will Chaos in unserem Land, und der will unsere Demokratie zerstören. Aber nicht mit uns!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich komme zur letzten These. Herr Müller hat es schon gesagt: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben aus gutem Grund ein starkes Parlament mit wenigen direktdemokratischen Elementen geschaffen. Ich glaube, wir sind in einer Zeit der Spaltung der Gesellschaft, und wir brauchen eher mehr Parlament, mehr Kompromiss und mehr Zusammenhalt in unserem Land als zugespitzte Entscheidungen, die eine Gruppe Menschen frustriert zurücklassen.

Ihre Motivation ist doch klar: Sie fordern das, weil Sie immer wieder hier im Parlament an der Stabilität unserer parlamentarischen Demokratie scheitern. Das sollen Sie auch weiterhin tun. Wir wollen Ihnen aus diesem Dilemma nicht heraushelfen. Wir schätzen die repräsentative Demokratie, und wir sollten sie auch nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)