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Axel Müller: "Qualität hat ihren Preis"

Rede zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige, kurz auch Betreuungsgesetz genannt, trat zum 1. Januar 1992 in Kraft. Ich kann mich noch gut an diese Zeit erinnern. Ich habe im Herbst 1992 meinen Dienst als Richter auf Probe für das Land Baden-Württemberg angetreten. Genau in diesem Zeitraum haben die erfahrenen Kollegen, die mit Betreuungssachen und Vormundschaftssachen befasst waren, darüber diskutiert und sinniert, ob denn nun das neue Gesetz mittel- und langfristig zu einem bedeutsamen Anstieg der Fallzahlen führen würde. Sicher konnte keiner von ihnen vorhersehen – und wir alle wussten das nicht –, dass sich einmal die Alterspyramide geradezu auf den Kopf stellen würde, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse so verändern würden, dass die Betreuung von Menschen, die einer Betreuung bedürfen, im familiären Umfeld so nicht mehr stattfinden kann.

Diese Entwicklung hat nun auch das Betreuungsrecht eingeholt, sodass heute die Hälfte der Menschen, die unter Betreuung stehen, von Dritten betreut werden muss. Die Zahlen belegen das: 1992 waren es gerade einmal 70 000 Betreuungsfälle. In den letzten Jahren kamen durchschnittlich pro Jahr circa 200 000 Fälle hinzu; die Zahl wurde mehrfach genannt. Gegenwärtig haben wir circa 1,3 Millionen Menschen, die je nach Einzelfall in unterschiedlichem Umfang Betreuung durch Dritte in Angelegenheiten des täglichen Lebens benötigen.

Da ist es nicht nur ganz normal, sondern geradezu notwendig, dass sich auch die Betreuer professionalisiert haben. Zumindest bei dem Betreuerwesen, das in den circa 800 Vereinen, die sich mit Betreuung befassen, stattfindet, kann man von einem professionellen Betreuerwesen sprechen. Aber auch die 12 000 Berufsbetreuer sind aus meiner Sicht ganz überwiegend durchaus professionell.

Nur eines hat mit dieser ganzen Entwicklung nie mitgehalten, und zwar die Vergütung. Das ist auch schon mehrfach hier genannt worden. Seit 2005 ist die Vergütung unverändert geblieben. Mittlerweile bringt das viele professionelle Betreuer, insbesondere die Betreuungsvereine, an den Rand ihrer wirtschaftlichen Existenz. Aber auch den freiberuflichen Berufsbetreuern geht es nicht besser; denn auch ihre Sachkosten sind gestiegen. Ihre Rechnung, Herr Maier, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Vielleicht haben Sie dabei unterschlagen, dass die Selbstständigen und Freiberufler ihre Beiträge selber entrichten müssen. Dass die Entwicklung negativ verlaufen ist, zeigt beispielsweise die Internetseite des Betreuungsvereins in meinem Wahlkreis. Wenn man sie öffnet, dann schlägt einem als Erstes ein Spendenaufruf entgegen. Das kann nicht der Ausweg für eine auskömmliche Finanzierung einer gesellschaftlich so wichtigen Aufgabe sein. Darüber besteht ja wohl Konsens.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Qualität hat ihren Preis. Insbesondere die von den Vereinen angestellten Betreuer, die beruflich sehr hohe Anforderungen erfüllen müssen, werden nach Tariflohn bezahlt. Das können die Vereine nicht mehr leisten. Allein die Tariflohnsteigerungen der letzten 13 Jahre haben zu erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen geführt. Daher begrüßen wir – das habe ich auch den bisherigen Beiträgen der anderen Redner entnommen – den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung. Er führt allerdings je nach Einzelfall bei neuen Fällen – das muss man der Einschränkung halber sagen – zu Steigerungen um bis zu 17 Prozent.

Der vorliegende Gesetzentwurf wird hoffentlich die erforderliche Zustimmung der Länder erfahren; denn sie müssen letztendlich die Zeche zahlen. Dazu muss man aber sagen: Die Länder werden in den nächsten Jahren – so die gegenwärtige Steuerprognose – mit erhöhten Steuereinnahmen rechnen können, während der Bund eher mit Steuermindereinnahmen zu rechnen haben wird.

Genauso wichtig wie die Steigerungen bei den Vergütungen ist die Umstellung auf das Pauschalsatzsystem, das in den nächsten vier Jahren einer Evaluierung zugeführt werden muss. Die Sachverständigenanhörung hat allerdings ergeben, dass die Umstellung nicht unbedingt einem Paradigmenwechsel gleichkommt, weil es sich bei den Stundensätzen, aufgrund derer die Vergütungen errechnet wurden, eher um Pauschalsätze handelte. Die Umstellung auf das jetzige neue Vergütungssystem im Betreuerwesen ist aus unserer Sicht der richtige Weg. Die Forderungen, die von den Interessenverbänden immer wieder an uns herangetragen wurden, man möge die Vergütung gleich dynamisieren, sind zwar verständlich, aber eine Dynamisierung wird nicht notwendig sein. Das zuständige Ministerium – ich habe es bereits ausgeführt – muss innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist bis zum Jahr 2024 einen entsprechenden Bericht vorlegen, und wir werden diesen dann prüfen. So kann in der nächsten Legislaturperiode, falls erforderlich, planmäßig eine Anpassung der Vergütungen erfolgen. Eine Verschiebung dieses Zeitraums, wie von den Ländern gefordert, hätte bedeutet, dass man erst in der übernächsten Legislaturperiode eine entsprechende Anpassung vornehmen kann. Nach den gemachten Erfahrungen mit dem gegenwärtigen System in den letzten 13 Jahren sollte das nicht passieren. Hinzu kommt, dass zum 1. Januar 2020 eine zweite Stufe des Bundesteilhabegesetzes in Kraft treten wird, deren Auswirkungen für das Betreuerwesen durchaus von Bedeutung sein können. Dies muss bei der Evaluierung in den nächsten vier Jahren Berücksichtigung finden, damit gegebenenfalls eine gebührenrechtliche Konsequenz daraus gezogen werden kann.

Anders als von den Ländern behauptet, stellt das Gesetz in seiner jetzigen Fassung keine haushaltsrechtliche Überraschung dar. Ich habe irgendwann ge lernt, dass eine Überraschung als unvorhersehbares Ereignis definiert wird. Wenn man bedenkt, dass die Diskussionen über die Anpassung schon seit 2017 laufen, dann kann man schon sagen, dass sich die Länder in ihren Haushaltsplanungen in gebührenrechtlicher Hinsicht ausreichend darauf einstellen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, insgesamt ist der vorliegende Gesetzentwurf, mit dem wir einen weiteren Punkt aus dem Koalitionsvertrag, den wir uns auf die Agenda gesetzt haben, nunmehr umsetzen, eine gute Sache. Er sollte unser aller Zustimmung finden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)