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Axel Müller: Demokratie ist die Einbeziehung von Minderheiten ins Konsensherstellen in einer Gesellschaft

Rede zum Antrag zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Direkte Demokratie auf Bundesebene“

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Einsetzung einer Enquete-Kommission ‚Direkte Demokratie auf Bundesebene‘“ – so der Antrag der AfD. Bei näherer Betrachtung wird er jedoch dem § 56 unserer Geschäftsordnung, der sich mit der Einsetzung von Enquete-Kommissionen befasst, nicht wirklich gerecht. Was bedeutet denn dieses Wort „Enquete“ übersetzt? Es bedeutet „forschen“. Es bedeutet „untersuchen“. Das heißt aber auch, dass man das Ergebnis seiner Forschungen und Untersuchungen nicht schon kennt und nicht schon vorwegnimmt, sich vielmehr offen zeigt für das, was am Ende stehen könnte.

(Martin Erwin Renner [AfD]: Eben! Deshalb machen wir das doch!)

Deswegen haben wir uns mit unserem Koalitionspartner im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Wir zeigen uns ergebnisoffen und widmen uns diesem Thema bereits, und das – das füge ich hinzu – seriös.

Die AfD jedoch liefert mit ihrem Antrag die Ergebnisse gleich mit. Ich zitiere:

Im Rahmen von Meinungsumfragen beklagt eine ... Mehrheit der Befragten, keinen wirklichen Einfluss auf die ... Politik zu haben.

Weiter:

Es besteht ein hoher Zuspruch für eine direktdemokratische Mitbestimmung bei wichtigen politischen Belangen.

Für diese Behauptungen bleiben Sie jeden Beleg schuldig. Der Antrag ist völlig unsubstantiiert. Anwälte, die ihn mit formuliert haben, müssten eigentlich wissen, dass man für die Behauptungen, die man aufstellt, auch Belege anführen muss.

Zugleich stellt die AfD damit gewissermaßen ins Blaue hinein die Behauptung auf, dass dieses – angebliche – Defizit an Wahlbeteiligung – ich komme darauf noch zu sprechen – und eine als mangelhaft empfundene Einbeziehung in den politischen Willensbildungsprozess durch Elemente direkter Demokratie einfach so beseitigt werden können. Sie führen an – das habe ich in Ihrer Rede zu diesem Antrag sehr wohl vernommen, Herr Haug –, dass es eine bessere Informiertheit der Bevölkerung mit sich bringe, wenn man mehr demokratische Elemente einführe. Ich frage Sie mal: Wer informiert denn? Wer das meiste Geld hat? Wer die Kontrolle über die Medien hat? Was kommt am Ende dabei heraus? Führen wir uns den Brexit oder Trumps Wahl zum Präsidenten mal vor Augen! Das hat nichts mit direkter Demokratie zu tun.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Nein!)

Sie haben die Schweiz als Beleg dafür angeführt, wie direkte Demokratie besser funktioniere. Dazu hat der Kollege de Vries die richtigen Worte gefunden. Die Wahlbeteiligung in der Schweiz ist deutlich niedriger, sowohl bei den Nationalratswahlen als auch bei den Direktabstimmungen, häufig unter 50 Prozent. Das sagt jedenfalls das eidgenössische Bundesamt in der entsprechenden Statistik.

Wir hatten bei der Bundestagswahl – es ist bereits gesagt worden – fast 76 Prozent Wahlbeteiligung. Gegenüber den letzten Bundestagswahlen ist die Wahlbeteiligung um 5 Prozentpunkte angestiegen. Das widerlegt doch, was Sie in Ihrem Antrag behaupten, nämlich dass wir weniger Wahlbeteiligung hätten, weniger bürgerliches Engagement für Politik. Nicht zuletzt wird gerade in diesen Tagen sehr viel über Politik geredet. Auch mit jungen Leuten, die sich politisch so interessiert zeigen wie schon seit langem nicht mehr, hatte ich Kontakt.

Zurück zu § 56 der Geschäftsordnung. Umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe als wesentliche Bestandteile einer Enquete-Kommission sind gefordert. Aktuelle, die Gesellschaft bewegende Zukunftsthemen sollen dort behandelt werden. Das gab es in Vergangenheit mehrfach. Ethik und Recht in der modernen Medizin sowie Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität, nachhaltiges Wirtschaften – Themen von Enquete-Kommissionen, um nur zwei beispielhaft zu benennen –, das waren komplexe Fragen, die man nicht mit Ja oder Nein beantworten kann, wie Sie es die Bevölkerung immer wieder glauben machen möchten.

Demokratie – Kollegin Haßelmann hat es gesagt – ist etwas anderes als die Diktatur der Mehrheit gegenüber den Minderheiten,

(Lachen bei der AfD – Zuruf von der AfD: Die Diktatur!)

ein fortwährendes Niederstimmen. Demokratie ist die Einbeziehung von Minderheiten ins Konsensherstellen in einer Gesellschaft. Das ist Demokratie.

(Zuruf von der AfD: Mannomann!)

Ihr Antrag ist letztendlich nichts anderes als ein Missbrauch des Instruments der Enquete-Kommission. Sie nehmen das Ergebnis vorweg. Denn Sie wissen ja schon, dass die Enquete-Kommission doch bitte einen Gesetzentwurf vorbereiten möge – so steht es da zu lesen –, der die Einführung direktdemokratischer Elemente im Grundgesetz erlaubt. Ja, was macht die denn? Macht die ihre Arbeit, macht die unsere Arbeit? Macht die Enquete-Kommission Direktdemokratie durch entsprechende Gesetzesvorlagen? Ich habe beileibe nicht verstanden, was Sie da wollen.

(Zuruf von der AfD: Das haben Sie falsch verstanden!)

Ich kann Ihnen nur eines sagen: In Wahrheit geht es Ihnen wieder einmal mehr darum, dieses Thema am Laufen zu halten, es über die ganze Legislaturperiode hinweg in einer Enquete-Kommission am Köcheln zu halten, sich mit Ihren Vertretern, die Sie in diese Kommission schicken, regelmäßig zu Wort zu melden, in den Medien aufzuschlagen – und am Ende ist das nicht mehr und nicht weniger als Populismus. Und Populismus, meine Damen und Herren, ist die erste Stufe zur Demagogie, und das lehnen wir ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der AfD)