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Axel Müller: Auf einen starken Rechtsstaat kommt es an

Redebeitrag zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zurück zum eigentlichen Kernthema. Bevor ich Mitglied des Bundestages geworden bin, war ich fast zwei Jahrzehnte als Strafrichter in unterschiedlichen Verwendungen tätig. Ich habe selbst viele Hundert Urteile gefällt oder war an ihrem Zustandekommen maßgeblich beteiligt. Ich gebe zu: Die allermeisten sind mir nicht mehr im Gedächtnis.

Im Gedächtnis verhaftet geblieben ist mir jedoch, dass ich in einem Fall dafür verantwortlich war, dass ein Mensch über mehrere Wochen, bis zu seinem Prozessbeginn, zu Unrecht in Untersuchungshaft gesessen hat. Erst im Laufe der Hauptverhandlung, in der ihm der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil seiner beiden Kinder gemacht wurde, stellte sich heraus, dass er das Opfer eines Aussagekomplotts gewesen war, dem auch ich aufgesessen bin – im Grunde unverzeihlich.

Um diese Fälle von Justizunrecht geht es im Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, kurz StrEG. Dieses Gesetz wollen wir heute ändern. Das StrEG bildet die Grundlage für die Entschädigung von zu Unrecht erfahrenen Urteilsfolgen, also zum Beispiel, wenn jemand zu Unrecht im Gefängnis gesessen hat und dadurch einen immateriellen Schaden erfahren hat, wie es im Gesetz steht. Erfasst werden aber auch materielle Schäden aus Ermittlungsverfahren, die beispielsweise aufgrund einer geschäftsschädigenden, zu Unrecht erfolgten Durchsuchung oder einer zu Unrecht erhobenen Anklage entstanden sind.

In der Praxis spielt das StrEG zahlenmäßig Gott sei Dank keine große Rolle, da Staatsanwaltschaften und Gerichte sehr sorgfältig arbeiten. Es spielt auch deshalb keine große Rolle, weil unser Rechtsstaat so gut funktioniert, dass er fehlerhafte Entscheidungen aus sich selbst heraus in den dafür vorgesehen rechtsstaatlichen Verfahren und Institutionen zu korrigieren in der Lage ist, bevor ein zu entschädigendes Unrecht geschieht. Wenn aber ein Entschädigungsfall eintritt, so muss die Entschädigung angemessen sein.

Seit 2009 – das ist sicherlich ein Missstand – wurden im StrEG die darin festgelegten Sätze zur Entschädigung für zu Unrecht erlittene Haft nicht mehr angehoben. Die Landesjustizminister haben sich daher auf ihrer Justizministerkonferenz im November 2017 – Herr Brandner, hören Sie bitte zu –, also lange bevor Sie auf dieses Thema gestoßen sind,

(Stephan Brandner [AfD]: Schauen Sie auf die Daten der Entwürfe!)

darauf verständigt, die Entschädigung von 25 Euro auf 75 Euro für jeden zu Unrecht erlittenen Hafttag zu erhöhen. Allerdings liegt die Gesetzgebungskompetenz beim Bund. Daher haben sie den Bund aufgefordert, dass er die Sätze bitte entsprechend anpassen möge. Genau das machen wir heute auf der Grundlage des vorgelegten Gesetzentwurfs, indem wir den Betrag von 25 Euro auf 75 Euro anheben und damit auf einen Schlag verdreifachen. Bedenkt man – zugegebenermaßen erst auf Antrag –, dass dann auch noch die Rentenversicherungsbeiträge nachentrichtet werden, stellt man fest, dass dies insgesamt angemessen und ausreichend ist.

Kurz noch zum Überbietungswettbewerb bei den Anträgen der Oppositionsfraktionen. Die Grünen und die FDP fordern in ihren Anträgen jeweils 150 Euro Entschädigung pro Tag, die Linken und die AfD wollen in einem gestaffelten Verfahren mit bis zu 200 Euro pro Tag entschädigen.

Die weitergehenden Forderungen von FDP und Linke im StrEG, eine sozialarbeiterisch betreute Wiedereingliederungshilfe zu institutionalisieren, sind meines Erachtens mit Blick auf die wenigen Fälle nicht praxisgerecht. Das kann man in den bestehenden sozialstaatlichen Strukturen lösen.

Man muss die Bearbeitung auch nicht, wie es die Linken fordern, aus den Strafverfolgungsbehörden auslagern, die dafür zuständig sind, insbesondere die Staatsanwaltschaften; denn sie haben darauf reagiert und Spezialzuständigkeiten der einzelnen Entschädigungsdezernate begründet. Der vormals mit dem Fall befasste Staatsanwalt bleibt daher im Verfahren.

Über ihre Ansprüche und Möglichkeiten – das gebe ich zu – müssen betroffene Personen jedoch besser und umfassender belehrt werden. Für die notwendige Transparenz zu sorgen, ist allerdings Ländersache. Das kann beispielsweise in den entsprechenden Beratungsvorschriften auf Länderebene geregelt werden. Verbesserungen bei der Rechtsberatung – Kollege Fechner hat es gesagt – sind meines Erachtens wünschenswert. Hier lässt man die Betroffenen in der Praxis in der Regel etwas im Regen stehen. Es folgt eine kurze rechtliche Beratung und die Aushändigung eines Formulars und oftmals die Hoffnung, der Verteidiger möge es schon richten.

Die Vorschläge der Opposition berücksichtigen allesamt nicht, dass die Justiz in der Hand der Länder liegt. Diese zahlen am Ende die Zeche hierfür. Sie haben uns die Prokura für eine Erhöhung der Entschädigung auf 75 Euro erteilt, und wir können nicht einfach nachträglich die Preisschilder austauschen und die Leistungen erweitern und die damit verbundene Belastung den Ländern aufbürden. Die Grünen regieren in zehn Bundesländern mit. Umso verwunderlicher ist es, dass Sie sich hier wieder einmal janusköpfig zeigen und die Interessen der Länder einfach ausblenden. Dies widerspricht einer guten Partnerschaft von Bund und Ländern und trägt nicht gerade zur Vertrauensbildung auf der Bund-Länder-Ebene bei.

Wir sollten auch nicht dem Irrglauben unterliegen, dass mit Geld oder neuen Institutionen den Justizopfern ausreichend Gerechtigkeit widerfahren kann. In meinem eingangs geschilderten Fall habe ich den Angeklagten in öffentlicher Hauptverhandlung um Entschuldigung gebeten, und er hat sie mir gewährt. Das war uns beiden sehr wichtig. Auf eine Entschädigung hat er nachträglich sogar verzichtet, ein Verzicht, den die Linken eigentlich abschaffen wollen.

Ich schließe mit den Worten unseres Parlamentspräsidenten Dr. Wolfgang Schäuble von gestern: „Auf einen starken Rechtsstaat kommt es an“. Und ich füge hinzu: Ein starker Rechtsstaat zeichnet sich auch dadurch aus, dass er und seine Repräsentanten die Fähigkeit besitzen, Fehler zuzugeben und dafür zu sorgen, dass Justizopfer die erforderliche Wiedergutmachung erfahren. Das tun wir mit der heutigen Novellierung des StrEG, weshalb ich für eine breite Zustimmung werbe.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)