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Ansgar Heveling: "Einführung eines inklusiven Wahlrechts"

Rede zur Änderung des Bundeswahlgesetzes

Heute beschließen wir die Einführung eines inklusiven Wahlrechts für die Bundestagswahl und die Europawahl. Damit beenden wir die bisherigen Wahlrechtsausschlüsse für etwa 80 000 Staatsbürger, bei denen eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet ist, und für schuldunfähige und im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Personen. Ergänzend werden die Möglichkeiten und Grenzen zulässiger Assistenz geregelt und die Strafvorschrift der Wahlfälschung nach § 107a des Strafgesetzbuches im Hinblick auf die Überschreitung der Grenzen zulässiger Assistenz konkretisiert. Damit setzen wir auch die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2019 konsequent um. Und im Ergebnis sind wir uns dabei alle im Grundsatz einig. Als wir dieses Gesetzgebungsvorhaben letzte Woche im Innenausschuss besprochen haben, gab es hierzu keine Gegenstimmen.

Wir waren nicht erst seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Januar dieses Jahres für die Aufhebung des Wahlrechtsausschlusses aufgrund der Anordnung einer Betreuung für alle Angelegenheiten, sondern haben dies schon am 12. März 2018 im Koalitionsvertrag vereinbart. Bei unseren intensiven Überlegungen zur Einführung eines inklusiven Wahlrechts auf der Grundlage einer vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebenen umfangreichen interdisziplinären Studie wollten wir es nicht bei einer bloßen Streichung der Wahlrechtsausschlüsse belassen. Als sich dann abzeichnete, dass das Bundesverfassungsgericht zu Beginn dieses Jahres über mehrere dort im Jahr 2014 eingegangene Wahlprüfungsbeschwerden gegen die Bundestagswahl 2013 entscheiden würde, gebot es der Respekt vor dessen Entscheidung, mit einer Gesetzvorlage bis dahin zu warten.

In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar 2019, bekannt gemacht am 22. Februar 2019, wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Ausübung des Wahlrechts die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen voraussetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, „darüber zu entscheiden, wie er  … den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes zum Ausgleich bringt“. Dem haben wir uns gestellt, und wir haben bereits in der darauffolgenden Sitzungswoche am 15. März 2019 einen Antrag mit Eckpunkten beschlossen. Schon am 10. April 2019 erfolgte die erste Lesung des heute zu beschließenden Gesetzentwurfs!

Gegenüber den Betroffenen und ihren Betreuern will ich betonen, dass die ergänzenden Regelungen nicht als Ausdruck eines Misstrauens zu verstehen sind, sondern aus unserer Sicht als gesetzgeberische Abwägungsentscheidung verfassungsrechtlich geboten sind. Die Regelung der Möglichkeiten und Grenzen der zulässigen Wahlrechtsassistenz geben den Betroffenen und ihren Betreuern Rechtssicherheit für schwierige Abgrenzungsfragen. Wir sind uns bewusst, dass die Frage, wo noch Assistenz möglich ist und wann diese in Fremdbestimmung umschlagen kann, im Einzelfall oft nur schwer getroffen werden kann. Dies kann zudem, etwa im Falle einer Demenzerkrankung, ganz entscheidend von der aktuellen Situation abhängen. Bei dieser Entscheidung wollen wir die Betreuer und Angehörigen nicht alleinlassen.

Die strafrechtliche Sanktionierung dient dem „Verfassungsgut des Schutzes der Integrität der Wahl vor Manipulations- und Missbrauchsgefahren“ und ist eine Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Beschluss vom 29. Januar 2019. Uns ist aber auch hier wichtig, dass dem nicht ein generelles Misstrauen gegen die Betroffenen, ihre Angehörigen und Betreuer zugrunde liegt.