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Annette Widmann-Mauz: Der Kampf gegen Rassismus ist eine Daueraufgabe

Redebeitrag zur Bekämpfung von Rassismus

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ajla Kurtovic verlor bei der rassistischen Mordtat in Hanau ihren Bruder Hamza. Sie hat bei der Trauerfeier am 4. März gesagt: Deutschland ist unsere Heimat. Sorgen Sie dafür, liebe Politikerinnen und Politiker, dass sich so eine Tat nicht wiederholen kann. Verbannen Sie das Gift des Rassismus aus unserer Gesellschaft, damit wir alle friedlich in diesem Land leben können. – Ich war damals in Hanau, und ich verstehe diese Worte als einen Auftrag für uns alle, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Rassismus ist der Nährboden von Rechtsextremismus, Antisemitismus und jeder Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Und Rassismus hat viele Gesichter. Das ist ein Grund, warum der Kampf dagegen eine Daueraufgabe ist und auf so vielen Ebenen geführt werden muss: mit den Kräften der Zivilgesellschaft, mit der Wissenschaft und mit den staatlichen Institutionen und Behörden.

Genau dieses Bündnis müssen wir stärken, damit unsere Demokratie wehrhaft bleibt und sich das Gift des Hasses nicht weiter ausbreitet – ob in den sozialen Medien, auf vermeintlichen Widerstandsdemos oder hier in unserem Parlament. Denn das Grundprinzip der Entmenschlichung ist immer das gleiche: Erst kommt die Abgrenzung; Menschen werden in Schubladen eingeteilt, auf Herkunft und Hautfarbe reduziert. Es folgt die Stigmatisierung und Entwürdigung ganzer Bevölkerungsgruppen. Am Ende entsteht ein Feindbild, ein Sündenbock, der ohne Rücksicht bekämpft wird. Doch so weit lassen wir es nicht kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn wir schauen, was Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte wirklich wichtig im Kampf gegen Rassismus ist, dann erkennen wir, dass es der Mehrheit nicht zuerst um Symbole geht. Ihnen geht es um ganz konkrete Lebenssituationen, ihnen geht es um Aufklärung, Bildung und Lehrpläne in den Schulen, um mehr Begegnungen und vor allen Dingen um gegenseitige Wertschätzung in einer vielfältigen Gesellschaft. Hier müssen wir ansetzen; denn nur so packen wir Rassismus an der Wurzel.

Genau das macht der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Wir haben am Mittwoch die Ergebnisse unserer Arbeit vorgestellt. Sie sind historisch ein echter Meilenstein; denn wir werden mit 89 Maßnahmen nicht nur Strafverfolgung, Sicherheitsbehörden und Programme zur Prävention und Demokratiearbeit mit über 1 Milliarde Euro in den nächsten vier Jahren stärken. Nein, wir werden der gesamtgesellschaftlichen Relevanz, die der Kampf gegen Rassismus hat, endlich gerecht.

Darum haben wir ganz bewusst die Perspektive der Opfer von Rassismus und der Migrantenorganisationen in den Kabinettsausschuss integriert. Wir schaffen ein Beratungszentrum als bundesweite niederschwellige Anlaufstelle mit einer Hotline, die für Opfer von Alltagsrassismus, aber auch für Angehörige, Lehrer oder Arbeitgeber schnell und unbürokratisch erreichbar ist, die hilft, die Betroffenen an bestehende Opferberatungs- und Antidiskriminierungsstellen weiterzuleiten.

Wir wollen das Wort „Rasse“ im Grundgesetz ersetzen, ohne den Schutzgehalt in Artikel 3 zu schmälern; denn Sprache prägt das Denken. Welch hässliche Blüten genau das treiben kann, haben wir heute hier im Haus, in dieser Debatte, schon erlebt.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])

Wir richten einen Expertenrat für Integration und Vielfalt ein, damit die wichtige Expertise aus den Migrantenorganisationen und aus der Wissenschaft dauerhaft gehört und berücksichtigt wird. Und wir werden auch eine Diversitätsstrategie für den öffentlichen Dienst und die Bundesministerien mit zeitgemäßen Auswahlverfahren bei Bewerbungen und Einstellungen, mit Diversitätsleitlinien in den Ministerien entwickeln; denn Behörden müssen Spiegel unserer Gesellschaft sein. Das stärkt das Vertrauen in unsere staatlichen Institutionen, und das liefert nicht nur in der Wirtschaft nachweislich bessere Ergebnisse.

Klar ist aber auch: Mit staatlichen Maßnahmen und Gesetzen allein werden wir den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus nicht gewinnen. Wir brauchen die Mitwirkung der ganzen Gesellschaft. Es geht auch darum, dass wir ein Bewusstsein und eine Sensibilität dafür entwickeln, wo Menschen im Alltag, am Arbeitsplatz, im Supermarkt oder bei der Wohnungssuche bewusst oder unbewusst diskriminiert werden. Und wir brauchen ein Selbstverständnis in der Gesellschaft, das Vielfalt nicht nur als Realität, sondern auch als Normalität begreift, ein Selbstverständnis, das klar bekennt: Ja, auch Vielfalt, auch die 21 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte haben uns zu einem erfolgreichen und wohlhabenden Land in der Mitte Europas gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und nein, die Opfer von Rassismus und Diskriminierung sind keine Fremden; sie sind Teil dieses Landes, genau des Deutschlands, das wir kennen, sehr geehrter Herr Baumann. Es sind nämlich unsere Nachbarn, Freunde, Arbeitskollegen, die täglich ihren Beitrag für dieses Land leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zusammen sind wir Deutschland, zusammen sind wir eins. Wenn wir das erkennen und das Einende wertschätzen, dann ist das die beste Prävention. Das schulden wir den Opfern, und das schulden wir Ajla Kurtovic.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)