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Alexander Hoffmann: Schwarzfahren ist gemeinschaftsschädlich

Änderung des Strafgesetzbuchs – Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist richtig: Ein Rechtsstaat ist kein in Stein gemeißeltes Konstrukt, was die im Strafgesetzbuch niedergelegten Tatbestände und die dort formulierten Straftaten angeht. Es ist die Daueraufgabe eines Rechtsstaats, immer wieder zu überprüfen: Welches Verhalten will ich weiterhin missbilligen? Liegt hier nicht eine Verhaltensweise vor, bei der wir in Bezug auf die Einstufung von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit wechseln können?

Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es auch wichtig ist, wie wir eine solche Debatte führen. Dazu will ich Ihnen sagen, dass ich die Art und Weise, wie Sie, Frau Bayram, oder Sie, Herr Kollege Movassat, die Debatte geführt haben,

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Sehr konstruktiv!)

für brandgefährlich halte.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Aha!)

Wenn Sie das nämlich legalisieren wollen und es damit begründen, dass die Polizei viel zu tun hat oder dass die Gerichte überlastet und die JVAs überfüllt sind und die Ersatzfreiheitsstrafe zu viel kostet, dann werden Sie dieser Aufgabe gerade nicht gerecht, sondern das, was Sie damit machen, ist: Sie rufen die Kapitulation des Rechtsstaates aus, und das wird es mit uns nicht geben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Das ist jetzt sehr gaga!)

Strafe darf nämlich nie eine Frage der Ressourcen sein, meine Damen und Herren. Wenn Sie dann sagen: „Die Menschen sind aus Armut zu dieser Straftat gezwungen“, dann gehen bei mir alle roten Lampen an. Denn dann müssen wir vorsichtig sein, sonst kommen wir komplett unter die Räder. Es gibt nämlich Menschen, die aus Armut anfangen, zu dealen, die an der Tankstelle die Zeche prellen, weil sie ihre Tankfüllung nicht bezahlen können, oder die in Lebensmittelgeschäften stehlen, weil sie sich den Einkauf nicht leisten können. Und dann merken Sie selbst, dass Sie nicht mehr definieren können, wo das hinführen soll.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wagner von der Fraktion Die Linke?

Alexander Hoffmann (CDU/CSU):

Ja, sehr gerne.

Andreas Wagner (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Kollege Hoffmann, folgender aktueller Fall aus meinem Wahlkreis Bad Tölz-Wolfratshausen-Miesbach: Ein 15-jähriges Mädchen löst irrtümlich keine Fahrkarte für Erwachsene, sondern für Kinder. Das Mädchen wird kontrolliert, und es wird nicht nur das erhöhte Beförderungsentgelt fällig, sondern die Polizei ermittelt jetzt gegen das Mädchen wegen Betruges. Finden Sie das verhältnismäßig?

Alexander Hoffmann (CDU/CSU):

Herr Kollege, genau das ist das Gefährliche an der Debatte: Sie schmeißen alles durcheinander. Sie hat ein erhöhtes Beförderungsentgelt entrichten müssen. Sie wird zum Beispiel nicht wegen Erschleichens der Beförderungsleistung bestraft werden können, weil bei dem Tatbestand die Absicht nachgewiesen werden muss, dass sie das Entgelt nicht entrichten wollte, und das wird man dem Mädchen nicht nachweisen können.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Es wird doch ermittelt!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, keine Zwiegespräche. Die Frage ist beantwortet, und wenn Sie weiteren Klärungsbedarf haben, können Sie das bilateral regeln.

Alexander Hoffmann (CDU/CSU):

Ich glaube, die Frage zeigt es sehr gut: Es wird letztlich alles in einen Topf geschmissen und dann versucht, irgendwie zu argumentieren.

Was ich an dieser Debatte für problematisch halte, ist auch die Bagatellisierung, die mit dieser Darstellung einhergeht. Vorhin wurde gesagt: Es wird nicht wirklich kriminelle Energie entfaltet; denn es müssen keine Zugangsbarrieren überwunden werden. – Dabei verschweigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den Grünen, dass diese Frage schon vom BGH beleuchtet worden ist. Es gab lange in der Rechtsprechung einen Streit, welche Hürde zur Erfüllung des Tatbestandes erforderlich ist und ob zum Beispiel das bloße Erlangen der Leistung durch unbefugtes Benutzen ausreichend ist. Das hat der BGH bestätigt. Damit hat er bestätigt, dass dieser Tatstrafbestand vorliegt, auch wenn keine kriminelle Energie in Form des Überwindens einer Zugangskontrolle entfaltet wird.

Eine weitere Argumentation, was das Schädigungspotenzial angeht, ist: Es gibt ja keine Schäden an Eigentum oder an einer Person. – Auch da sollten wir sagen: Wir haben es mit einem Rechtsgut zu tun, das geschützt werden soll, und wir haben es auch mit einem Schaden an dem Rechtsgut zu tun. Schutzgut von § 265a StGB ist nämlich das Vermögen des Leistungserbringers. Das, liebe Frau Bayram – ich erkläre es gerne noch einmal –,

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß es!)

ist genau der Unterschied zu Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr, die vorliegen, wenn jemand zu schnell fährt oder falsch parkt. Denn in den Fällen, über die wir jetzt reden, gibt es einen Leistungserbringer – das kann im Übrigen auch ein privater Leistungserbringer sein –, und dessen Vermögen wird in diesem Moment geschädigt.

Auch der Vergleich mit dem Überfahren einer roten Ampel trägt nicht, Herr Kollege Brunner. Denn wenn ich eine rote Ampel überfahre und dabei eine andere Person oder ein Fahrzeug beschädige, bin ich sehr wohl ganz schnell im Strafrechtsbereich.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gelbhaar von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Alexander Hoffmann (CDU/CSU):

Selbstverständlich. Ich habe Zeit mitgebracht, Herr Präsident.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Ich halte die Zeit ja auch an.

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das ist gut und richtig so, Herr Präsident. – Herr Hoffmann, Sie haben gerade ein paar Beispiele gebracht. Zum Beispiel haben Sie gesagt: Wer eine rote Ampel überfährt und jemanden verletzt, begeht eine Straftat. Aber um den Fall ging es doch gar nicht. Es ging doch um den Vergleich zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Das heißt, wer eine rote Ampel überfährt und keinen verletzt, begeht aktuell eine Ordnungswidrigkeit.

Wir reden doch darüber, ob diese Ordnungswidrigkeit – die massive Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer – mit dem Schwarzfahren insofern vergleichbar ist,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

als dass dort auch die Interessen anderer Personen berührt sind. Deswegen kann man sagen: Wir müssen hier nicht jedes Mal das Strafrecht zur Anwendung bringen. – Falschparken – das ist nicht mit dem Schwarzparken gleichzusetzen; ich glaube, dass Sie das immer verwechseln – ist auch nichts anderes als eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer; denn das hat zur Folge, dass Radfahrer ausweichen müssen und dass Fußgänger die Straße nicht einsehen können. Deswegen passieren jeden Tag schwere und schwerste Unfälle. Das so zu banalisieren und zu sagen: „Das ist gar nicht so schlimm, aber das Schwarzfahren müssen wir unter Strafe stellen“, damit kommen Sie nicht richtig weiter.

Meine Frage lautet daher: Warum glauben Sie, dass Schwarzfahren so viel mehr strafwürdig ist als Falschparken – nicht Schwarzparken – oder das Überqueren einer roten Ampel, das ja mit der erheblichen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, bis zum Tode, einhergehen kann?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alexander Hoffmann (CDU/CSU):

Herr Kollege, ich habe zweimal versucht, das juristisch zu erklären. Ich versuche nun, es möglichst unjuristisch zu erklären. Oder sind Sie Jurist?

(Stefan Gelbhaar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

– Entschuldigung, aber dann verwundert mich Ihre Frage; das sage ich Ihnen ehrlich.

Für eine Straftat muss eine Rechtsgutverletzung vorliegen. Das ist beim Schwarzfahren im Hinblick auf das Vermögen des Leistungserbringers so. Gehen wir einmal von dem Fall aus, dass jemand eine rote Ampel überfährt. Dadurch wird zunächst einmal nicht das Rechtsgut eines Dritten verletzt. Vielmehr handelt es sich allenfalls um ein – dieser Begriff sollte Ihnen bekannt sein – abstraktes Gefährdungsdelikt. Aber eine abstrakte Gefährdungskonstellation führt in Deutschland zu keiner Straftat. Erst dann, wenn es zu einem Schaden an einem fremden Auto oder einer fremden Person kommt, liegt eine Rechtsgutverletzung vor. Dann können wir im Rahmen des Strafrechts argumentieren. Vor diesem Hintergrund war ich so überrascht, dass diese Frage von einem Juristen kommt. – Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun zum dritten Argumentationsstrang. Es wird gesagt, dieser Straftatbestand diene nur noch der zivilrechtlichen Durchsetzung der Ansprüche der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Diese ersparten sich dann Zugangskontrollen und Zugangsbeschränkungen. Dazu will ich drei Dinge sagen.

Erstens. Dieser Straftatbestand gilt auch – man höre und staune – für den Individualverkehr, zum Beispiel für Taxiunternehmen – wenn es sich nicht schon um Betrug handelt –, Schiffe und andere Organisationen, die mit Bussen Menschen transportieren.

Zweitens. Seien wir doch froh, dass keine Zugangsbarrieren errichtet werden. Wir wollen doch, dass auch eine Frau mit Kinderwagen einen Bus nutzen kann. Wollen Sie tatsächlich wegen 3,5 Prozent der Verkehrsnutzer – so hoch ist der Anteil der Schwarzfahrer – milliardenschwere Drehkreuze, Zugangskontrollen und Scankassen einführen?

Drittens. Diese Tat hat – damit bin ich wieder im Juristischen – einen eigenen Unrechtsgehalt, und zwar in dreifacher Hinsicht. So liegt zunächst einmal eine Rechtsgutverletzung vor. Des Weiteren muss die Absicht nachgewiesen werden – das muss erfüllt sein, Frau Bayram; Ihr Beispiel, dass jemand aus Versehen in der U-Bahn einschläft und dann nach dem Aufwachen feststellt, dass er kein Ticket hat, passt deshalb nicht –, das Entgelt nicht zu entrichten.

Letztendlich ist Schwarzfahren gemeinschaftsschädlich. Wir reden doch über Wiederholungstäter, also über diejenigen, die das regelmäßig machen. Dazu muss ich ganz ehrlich sagen: Wer meint, auf Kosten der Gemeinschaft eine im wahrsten Sinne des Wortes Freifahrt zu erhalten, handelt grob asozial.

Noch zwei, drei Sätze zur Ersatzfreiheitsstrafe, die die Länder angeblich so viel Geld kostet. Über diese Argumentation bin ich tatsächlich verwundert; denn es gibt bundesweit gute Beispiele, wie sich hier gemeinnützige Arbeit etablieren lässt und wie sich die Länder Kosten ersparen können. In Bayern gibt es das Programm „Schwitzen statt sitzen“. 2016 wurden dort 62 241 Hafttage erspart. Das sind über 6 Millionen Euro. In Berlin gab es 2014 das Programm „Arbeit statt Strafe“. Dadurch wurden 328 Haftjahre erspart. Das sind circa 14 Millionen Euro.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Alexander Hoffmann (CDU/CSU):

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Sie werden sicherlich nicht überrascht sein, dass wir Ihren Gesetzentwürfen überhaupt nichts abgewinnen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)