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Uwe Schummer: "Wir wollen den Wandel, aber wir wollen ihn menschlich gestalten"

Rede zur nachhaltigen Arbeitsmarktpolitik

Verehrtes Präsidium! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Ferschl, das war ja eine Menge Ideologie und ein Sammelsurium dessen, was in der Programmatik der Linken vorhanden ist, aber mit wenig Substanz und wenig Praxisbezug.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gleich zu Beginn des Antrags der Linken geht es um die Frage aller Fragen und um den Schlüssel für alle Türen, die wir öffnen wollen. Er wirft nämlich einen vermeintlichen Widerspruch auf zwischen einer schwarzen Null, also einer soliden Haushaltsführung, auf der einen Seite und notwendigen Investitionsprogrammen auf der anderen Seite. Ich kann Ihnen nur sagen: Diese Regierung kann beides, solide Haushaltsführung und Investitionsprogramme.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir können beides miteinander verbinden; das ist kreative Politik, statt das eine gegen das andere auszuspielen.

Wir haben heute hier im Plenum auch über ein Beispiel debattiert: die aktive regionale Strukturpolitik in den Kohleregionen. Diese werden wir unter anderem mit 40 Milliarden Euro unterfüttern, damit der Wandel Hand in Hand geht, nicht nur der Ausstieg gelingt, sondern auch der Einstieg in moderne und perspektivische Unternehmen.

Es fehlt auch nicht an Geld, es fehlt an Fachkräften. Wir haben Genehmigungsverfahren – auch darüber haben wir heute bereits diskutiert –, die zu langsam sind. Bei Verkehrs- und Energietrassen haben wir im Schnitt eine Wartezeit zwischen 15 und 20 Jahren. Da müssen wir beschleunigen. Der Zeitfaktor ist das Problem, das wir angehen müssen. Da sind wir als Regierung hier im Parlament auch tätig, wie die heutigen Debatten zeigen.

Wir hatten im Ausschuss für Arbeit und Soziales ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Arbeitsagentur Detlef Scheele. Seine Botschaft an uns: Der Arbeitsmarkt bleibt stabil. Die Betriebe halten weitgehend an den Beschäftigten fest, weil sie wissen, dass aufgrund der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels die Menschen, die Beschäftigten, das Gold in den Unternehmen sind. Was wir angesichts der Schnelligkeit, mit der sich Berufe verändern, aufbauen müssen, ist eine lebensbegleitende Berufs- und Qualifizierungsberatung; auch da sind wir miteinander dran.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Arbeitsagentur hat insgesamt – ich war etwas verwirrt durch das Klatschen –

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Rücklagen in Höhe von 25 Milliarden Euro gebildet. Das heißt, mit diesen Rücklagen ist die Arbeitsagentur so gut gerüstet, dass sie auch auf Krisen reagieren kann. Sie hat einen Instrumentenkasten, und dieser Instrumentenkasten ist finanziert. Auch das ist eine Botschaft, die wichtig ist und für die man mal Beifall klatschen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Pascal Kober [FDP])

Die Koalitionsrunde hat vor gut einem Tag beschlossen, das Kurzarbeitergeld neu zu regeln – das kommt gerade der Metallwirtschaft zugute –, sodass der Bezug des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate verlängert werden kann. Auch ich bin der Meinung, dass man Kurzarbeitergeld generell immer mit Qualifizierung verbinden sollte, dass Qualifizierung und Kurzarbeit zusammengehören, damit nicht Untätigkeit, sondern immer und immer wieder Qualifizierung finanziert wird. Denn das ist der Schlüssel, um eben nicht nur eine konjunkturelle, sondern auch eine strukturelle Krise zu bekämpfen, die länger andauern wird als die des Jahres 2008, aus der wir nach zehn, elf Monaten – auch mit einer Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und dem Festhalten an den Beschäftigten – herauskamen. Angesichts des Strukturwandels wird die Bewältigung dieser Krise natürlich längere Zeit benötigen, und da sind Bildung und Qualifizierung der Schlüssel. Beides müssen wir weiter stärken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wissen: Nichts ist beständiger als der Wandel. 1810 war die Schlüsseltechnologie die Dampfmaschine, 1850 die Eisenbahn, 1900 die Elektrifizierung, 1950 die Automobilindustrie, 1995 die Computerisierung und heute die Digitalisierung. Aber noch nie gab es eine Politik, die den Wandel so intensiv mit vorausschauender Struktur- und Arbeitsmarktpolitik begleitet hat. Das ist das Entscheidende bei dieser Großen Koalition: die vorausschauende Struktur- und Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen den Wandel, aber wir wollen ihn menschlich gestalten. Wir wollen nicht nur perfekte Technik, wir wollen auch, dass das Soziale, dass das Gemeinschaftliche weiter erhalten bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zum Antrag der Grünen. Ich finde es spannend, dass vor 100 Jahren, 1920, in der Weimarer Zeit das Betriebsrätegesetz durch einen katholischen Priester, den Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns, durchgesetzt wurde. Er wurde „der Eiserne Heinrich“ genannt, weil er 16 Regierungsumbildungen in der Weimarer Zeit überstanden hat. Wir haben also im Grunde ein Jubeljahr, nämlich 100 Jahre betriebliche Mitbestimmung. Ich bin dabei der Überzeugung, dass das Betriebsrätegesetz und die betriebliche Mitbestimmung insgesamt ein Update benötigen, dass wir hier auf den Stand der Zeit kommen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Union und die Sozialdemokraten werden dieses Jubeljahr der Mitbestimmung auch nutzen, um entsprechende Maßnahmen in das Parlament einzubringen.

Wir wissen: Dort, wo sie existiert, funktioniert die betriebliche Mitbestimmung. Wir haben in erster Linie kein Qualitätsproblem, wir haben aber in vielen Unternehmen ein Quantitätsproblem. Derzeit sind 41 Prozent der Beschäftigten in nur 9 Prozent der Unternehmen überhaupt durch einen Betriebsrat vertreten, und wir sehen, dass die Erosion zunimmt. Deshalb wollen und werden wir Initiatoren besser schützen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wann kommt das Gesetz? Wir warten schon lange! – Bernd Rützel [SPD]: Sehr gut! Überzeug deine Partei!)

Wir werden Onlinewahlen ermöglichen, auch ein einfacheres Wahlrecht schaffen und das Initiativrecht der Betriebsräte für Weiterbildung stärken. Das wird noch in diesem Jahr kommen; denn 2020 ist das Jubeljahr der betrieblichen Mitbestimmung.

Ich freue mich von daher auf konstruktive Diskussionen. Alles Gute! Bleibt tapfer!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)