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Uwe Schummer: "Der Wandel muss sozial gestaltet werden"

Rede zur Betrieblichen Mitbestimmung

Verehrtes Präsidium! Kolleginnen und Kollegen! Der Arbeitsmarkt und die gesamte Wirtschaft befinden sich in einem strukturellen Wandel. Wir wollen diesen Wandel begleiten, auch politisch. Dieser Wandel darf nicht nur technisch perfekt und von Digitalisierung bestimmt sein, nein, er muss auch sozial gestaltet werden.

Für die soziale Gestaltung gerade in Großunternehmen waren in der Vergangenheit die Betriebsräte immer zentral. Von daher ist die betriebliche Mitbestimmung, die im Februar 1920, in der Weimarer Zeit, von dem Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns, der vorher katholischer Pfarrer in Essen war, auf den Weg gebracht wurde, ein ganz zentrales Instrument der Betriebsverfassung, das wir in diesem Jahr, in dem wir 100 Jahre Betriebsrätegesetz feiern, weiterentwickeln wollen. Mit dem Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns hatten wir in der Weimarer Zeit einen im Grunde christlich-sozialen Politiker, der neben der Betriebsverfassung auch die Arbeitslosenversicherung und die Arbeitsgerichte geschaffen hat – wesentliche Grundlagen unseres heutigen sozialen Staates.

Wichtige Rechte werden von den Arbeitnehmervertretern wahrgenommen. Ich war selbst Betriebsrat und bin seit 44 Jahren in der IG Metall. Betriebs- und Personalräte haben wichtige Mitspracherechte bei Arbeitszeiten, bei Einstellungen, bei Kündigungen, bei Weiterbildungen. Sie können auf Augenhöhe beide Seiten des Betriebs so zusammenführen, dass wir am Ende neben der sozialen Ebene Wertschöpfung und Produktivität in den Unternehmen haben. Es gibt eine produktive Kraft des sozialen Friedens, des Miteinanders. Das wussten schon die Kaufleute in der Hansezeit: Bevor eine Hansekogge auslief, war das Erste, nachdem die Matrosen angeheuert waren, die Wahl eines Matrosensprecherrates, weil man wusste, dass es besser ist, mit allen gemeinsam zu verhandeln, als jeden Einzelnen herauszupicken und dann zu schauen, dass man Individualverträge schließt. Es ist produktiver, es ist für die Wirtschaft interessanter und es ist wichtig für das soziale Gefüge im Unternehmen, wenn man sich auf eine solche Betriebsverfassung verständigt und auf dieser Basis auf Augenhöhe miteinander arbeitet.

Es gibt Ausnahmen, es gibt Unternehmer, die diese Klugheit nicht besitzen. Nach einer Studie ist es so, dass im Bereich der Metall- und Chemieindustrie in 16 Prozent der 835 Betriebe, die erstmals Betriebsratswahlen durchführten, die Initiatoren dieser Wahl durch Kündigung und Mobbing daran gehindert werden sollten.

(Gabriele Katzmarek [SPD]: Skandalös! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandalös!)

16 Prozent! Das ist nicht die Normalität, das ist die Ausnahme, aber die muss man sich ansehen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sollten wir die Mitbestimmung stärken!)

Von diesen 16 Prozent der Unternehmen wurden 44 Prozent durch externe Agenturen und Beratungsfirmen dabei beraten. Die Normalität ist aber das Miteinander. Wir haben keine Verhältnisse wie im Wilden Westen oder wie in Amerika; wir haben bei uns in Deutschland schon eine Kultur des Miteinanders und der sozialen Partnerschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist in der Tat nicht akzeptabel, wenn beispielsweise bei den AMEOS-Kliniken in Sachsen-Anhalt, wie eben ausgeführt wurde, Tarifverhandlungen und betriebliche Mitbestimmung durch Kündigungen boykottiert bzw. blockiert werden sollen. Dazu hat sich auch die Landtagsfraktion der CDU in Sachsen-Anhalt ganz klar positioniert, an der Seite der Beschäftigten.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Dass das erst nötig sein muss!)

Es ist wichtig, dass die Tarifverhandlungen mit dem Schweizer Gesundheitskonzern, die jetzt gestartet werden, zu einem vernünftigen Ende gebracht werden.

Wir wollen – das haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart – in diesem Jubeljahr der Betriebsverfassung – 100 Jahre betriebliche Mitbestimmung, Betriebsrätegesetz – die Bildung von Betriebsräten erleichtern, weil wir spüren: Wir haben kein Qualitätsproblem, sondern wir haben ein Quantitätsproblem, wenn nur noch in ganzen 9 Prozent der Betriebe – in der Regel solche mit über 200 Beschäftigten – insgesamt 41 bis 42 Prozent der Beschäftigten durch betriebliche Mitbestimmung vertreten werden. Von daher ist es wichtig, dass wir die beiden Welten – die digitale Welt, die Onlinewelt, die Welt der Plattformökonomie und die klassische Welt der betrieblichen Mitbestimmung – zusammenführen. Viele der neuen Unternehmen kennen sich nämlich mit dieser Form der betrieblichen Wirklichkeit, der betrieblichen Mitbestimmung nicht aus. Beide Welten müssen zueinander geführt werden. Das ist eine Aufgabe. Ein Instrument kann sein – das werden wir miteinander prüfen –, im Rahmen der Betriebsverfassung zum Beispiel Onlinewahlen zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da, wo kein Unternehmen im klassischen Sinne existiert, wo es keine Fabrikhalle und kein schwarzes Brett gibt,

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das hat beim letzten Mal nichts gebracht! Warum sollte es jetzt funktionieren?)

sondern wo beispielsweise Fahrräder und eine App wie bei Delivery Hero das Unternehmen definieren, brauchen wir andere Instrumente, um die betriebliche Wirklichkeit abzubilden.

Es ist auch sinnvoll und wichtig, dass wir den Wahlvorgang entbürokratisieren, dass beispielsweise in Betrieben mit bis zu 200 Beschäftigten optional der Betriebsrat auch über eine Belegschaftsversammlung gewählt werden kann, die Hürden also nicht so hoch bleiben.

Wir wollen auch die Initiatoren bis zum Wahlvorstand – ich glaube, das ist ein ganz zentraler Ansatz –, die bislang keine Schutzrechte haben, durch eine neutrale Stelle, in welcher Form auch immer, unterstützen, damit eine Betriebsratsgründung vollzogen werden kann.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Wie wir das erreichen können – über die Wahlordnung, über das Betriebsverfassungsgesetz –, das werden wir prüfen; aber wir sind wild entschlossen, entsprechend zu handeln.

Ich finde, dass wir auch die Vernetzung von betrieblicher Mitbestimmung und Mitarbeiterkapital brauchen. Wir wollen in diesem wichtigen Jahr die soziale Partnerschaft durch Kapitalpartnerschaft ergänzen. Deshalb ist der steuerliche Freibetrag für Mitarbeiterbeteiligungen, also wirtschaftliche Beteiligungsrechte, hilfreich und sinnvoll.

Ich glaube, beide Themen sind spannend in diesem Jubeljahr der betrieblichen Mitbestimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU)