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Thomas Heilmann: "Deutschland ist auch Bezieher von Mitteln aus der EU"

Rede zur Entlastung bei den Sozialabgaben

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier im Saal und an den digitalen Endgeräten! Liebe Milchmädchenfraktion, Ihr Antrag ist falsch gerechnet, in sich widersprüchlich und insgesamt ein krasses Beispiel für versuchte Volksverdummung. Lassen Sie mich Ihnen das bitte einmal vorrechnen.

(Zuruf von der AfD: Damit kennen Sie sich aus, mit Volksverdummung!)

Sie versprechen sich von einer Kürzung des EU-Finanzrahmens auf ein Fünftel zusätzliche Mittel in Höhe von 20 Milliarden Euro. Sie lassen aber völlig außer Acht, dass Deutschland auch Bezieher von Mitteln aus der EU ist. Das heißt, Ihr Antrag geht davon aus, die anderen zahlen zugunsten von Deutschland weiter, wir kürzen unsere Leistungen. Aber das macht sich bei unseren Einnahmen nicht bemerkbar; denn der Nettobeitrag liegt bei 11 Milliarden Euro und nicht bei 20 Milliarden Euro. Das ist auch eine hohe Summe, aber 11 Milliarden Euro sind deutlich weniger als 20 Milliarden Euro. In Ihrem Antrag steht, dass sich die Kosten nach Ihren Berechnungen – wenn es denn reicht – auf 36 Milliarden Euro belaufen. Dann fehlen 25 Milliarden Euro. Das ist die erste krasse Fehlberechnung in Ihrem Antrag.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zweitens – auch das sieht man an der Kürzung; das haben meine Vorredner auch gesagt – zeigt Ihr Antrag Ihre tief verwurzelte Europafeindlichkeit, von der ich gar nicht weiß, ob ich mich mehr ärgern oder sorgen soll. Ihre nationalistisch-populistische Gefühlsduselei wollen Sie nun mit scheinökonomischen Gedanken rechtfertigen. Dabei verrechnen Sie sich allerdings gewaltig. Sie missbrauchen die Sorgen von Geringverdienern, indem Sie ihnen vorgaukeln, mit weniger EU ginge es ihnen besser, dabei ist das Gegenteil richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir haben bekanntlich übernächsten Sonntag Europawahlen. Ich kann alle Wählerinnen und Wähler nur auffordern, genau hinzusehen, was Sie vorschlagen. Sie wollen nicht nur das EU-Budget massiv kürzen, Sie wollen keine freie Fahrt für freie Bürger; denn Sie wollen die Binnengrenzen schließen. Sie wollen das EU-Parlament in seiner jetzigen Form auflösen

(Jürgen Braun [AfD]: Dummes Zeug!)

mit dem interessanten Argument, es sei undemokratisch, weil kleine Länder überrepräsentiert sind.

(Jürgen Braun [AfD]: In der EWG hatten wir auch vollkommen freie Fahrt!)

Warum wollen Sie dann eigentlich nicht den Bundesrat auflösen? Da ist es ganz genauso, dass weniger Einwohner mehr Stimmen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist einfach unfassbar. Natürlich sollte man auch noch erwähnen: Den Euro wollen Sie ja auch nicht.

(Jürgen Braun [AfD]: Ja!)

Es steht in Ihrem Parteiprogramm: Wenn alle Reformen, die Sie „grundlegende Reformansätze“ nennen, ni cht kommen, dann wollen Sie den Dexit, wie Sie es nennen. Dann sagen Sie doch bitte gleich die Wahrheit. Stellen Sie doch nicht erst unrealistische Forderungen auf, um dann zu sagen: Wenn die nicht kommen, dann treten wir aus. – Sagen Sie doch gleich die Wahrheit: Sie wollen raus aus Europa. Ich finde, das sollte man den Wählern am kommenden Sonntag auch noch einmal in dieser Klarheit sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Braun [AfD]: Sie beten Brüssel an! Sie haben keinen Gott mehr! Sie beten Brüssel an! Nichts anderes!)

Ich meine, das ist nicht im deutschen Interesse. Nichts schadet dem deutschen Interesse mehr als Ihre Forderung nach Separatismus.

(Jürgen Braun [AfD]: Das ist Ihr Altar!)

Um es noch weiter vorzurechnen: Ihre Milchmädchenrechnung hat noch eine weitere Dimension, eine volkswirtschaftliche Dimension. Die EU hat einen positiven Beitrag von mindestens 86 Milliarden Euro auf die Einnahmen deutscher Unternehmen. Wenn Sie dann noch eine 30-prozentige Steuerquote rechnen,

(Jürgen Braun [AfD]: Milchmädchenrechnung!)

dann haben Sie dadurch eine weitere Einnahmeverbesserung in Höhe von 30 Milliarden Euro in den Haushalten.

(Jürgen Braun [AfD]: Unsinnige Zahlen!)

Die fallen dann auch weg. In Mathematik ist es zwar so, dass minus mal minus plus ergibt, aber minus plus minus ergibt ein noch größeres Minus. Das, was Sie uns hier vorschlagen, ist: Wir sollen 36 Milliarden Euro ausgeben für Ihre unrealistischen Sozialversprechen. Außerdem wollen Sie noch eine EU-Budgetkürzung, die am Ende dazu führen wird, dass wir noch weniger Einnahmen haben, weil der gemeinsame Markt schwächer wird. Im Ergebnis wird es also noch viel teurer als das, was Sie uns vorrechnen. Ich finde, das müsste man den Wählern und Wählerinnen auch noch einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Pascal Kober [FDP])

Ihre werten Kollegen der Brexit-Fraktion in England haben bekanntermaßen ihre Kampagne unter das Motto gestellt: „Take back control“. – Ich meine, wenn es irgendwo mehr Kontrollverluste gegeben hat als nach dieser Entscheidung, dann weiß ich nicht, was man „Kontrollverlust“ nennen kann. Jedenfalls kann der Brexit kein Vorbild für das sein, was wir machen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann nur sagen: Wenn Ihnen die Staatskasse in die Hände fällt, werden Unternehmer wie ich auswandern müssen, weil man einem solchen wirtschaftlichen Unverstand die Staatskasse nicht anvertrauen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ein letzter Punkt. Sie haben wahrscheinlich gedacht, wir merken es nicht: Sie haben Ihren Antrag schon letzte Woche auf die Tagesordnung gesetzt, aber den Text haben Sie vor noch nicht einmal 24 Stunden veröffentlicht. Haben Sie gedacht, wir kommen nicht drauf, dass Ihre Zahlen vorne und hinten nicht stimmen? Aber auch damit haben Sie sich verrechnet. Wir werden Ihren Antrag ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Pascal Kober [FDP] – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Mit Abscheu und Empörung!)