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Stephan Stracke: Es geht darum, vor allem die Alleinerziehenden in den Blick zu nehmen

Fortsetzung der Aussprache zur Regierungserklärung Arbeit und Soziales

Grüß Gott, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Koalition hat sich auf ein ambitioniertes Ziel in der Arbeitsmarktpolitik verständigt. Dieses Ziel heißt Vollbeschäftigung; denn Arbeit ist für den Menschen zentral, es geht um Würde, es geht um Ansehen, es geht um ein erfülltes Leben. Arbeit ist auch für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft zentral – beides gehört zusammen, wenn wir von einem kräftigen Sozialstaat reden. Deswegen bekennen wir uns nicht nur in der Tradition von Ludwig Erhard zur Vollbeschäftigung, sondern wir leben dieses Ziel auch, und zwar äußerst erfolgreich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Seit 2005 sind Tag für Tag über 500 Menschen weniger arbeitslos und seit 2005 Tag für Tag über 1 350 Menschen mehr sozialversicherungspflichtig tätig. Das ist ein großer Erfolg. Da wird deutlich: Die Union ist tatsächlich die Arbeitnehmerpartei,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und genauso soll es auch in Zukunft sein.

Unser Anspruch ist, alle Menschen mitzunehmen; keiner darf zurückbleiben. Deswegen widmen wir uns sehr intensiv der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Wir wollen Menschen, die schon sehr lange arbeitslos sind, Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnen. Einige sprechen ja von einem Sockel an Arbeitslosigkeit, wenn es darum geht, 860 000 langzeitarbeitslose Menschen zu beschreiben. Sie meinen damit eigentlich, man sollte sich damit abfinden, dass diese Menschen weiterhin arbeitslos sind. Wie zynisch ist eine solche Haltung, und welches Bild vom Menschen, von seiner Würde, verbirgt sich dahinter? Nein, wir wollen den Menschen tatsächlich Perspektiven eröffnen, und unser Ziel ist und bleibt es, Perspektiven auf dem ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen. Deswegen war es uns auch in den Koalitionsverhandlungen so wichtig, den ganzheitlichen Ansatz zu betonen. Wir dürfen nicht nur die Betroffenen in den Blick nehmen, sondern wir müssen das gesamte Umfeld in den Blick nehmen. Nur dann sind wir erfolgreich bei der Bekämpfung von Kinderarmut und sorgen für mehr Chancengerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unser Ansatz kostet in der Tat Zeit und Kraft, aber die Mühe lohnt sich. Der Freistaat Bayern beispielsweise ist in diesem Bereich sehr engagiert und hat gute Erfahrungen gemacht. Nun geht es darum, dass die erfolgreichen Projekte verbreitert werden, dass Deutschland verstärkt wieder Bayerisch spricht.

(Michael Theurer [FDP]: Bayerisch?)

Ich setze darauf, dass der neue Bundesfinanzminister die notwendigen Mittel bereitstellen wird.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, Sie haben großen Fragebedarf ausgelöst. Gestatten Sie Zwischenfragen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und von den Freien Demokraten und in der Reihenfolge?

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Selbstverständlich. Das verlängert meine Redezeit. Bitte schön.

Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Stracke, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Ich bin dankbar, dass im Laufe der Debatte das Thema Kinderarmut zur Sprache kommt; Sie haben es eben in einem Nebensatz erwähnt.

Gerade hat der Kollege Weiß uns von der Opposition vorgeworfen, eine Leseschwäche zu haben. Ich habe den Koalitionsvertrag sehr wohl gelesen und dabei Maßnahmen vermisst, um zielsicher und effizient gegen Kinderarmut vorzugehen.

Sie stellen eine beträchtliche Erhöhung des Kindergeldes in Aussicht. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass diese Kindergelderhöhungen den Familien im Hartz‑IV-Bezug nichts nutzen, weil der entsprechende Betrag auf Hartz IV angerechnet wird. Ich möchte Sie fragen, welche konkreten Maßnahmen Sie ergreifen wollen, um den über 2,5 Millionen Kindern, die in Deutschland in Armut leben, materiell zu helfen; denn die Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag niedergelegt sind, helfen leider nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Vielen Dank für Ihre Frage. – Ihre Ausführungen zeigen doch gerade, dass wir darauf achten müssen, dass möglichst viele Menschen aus dem Hartz‑IV-Bezug he­rauskommen. Die Debatte in der Vergangenheit hatte eine Schieflage dahin gehend, dass wir uns über Regelsätze – so wichtig sie auch sind – unterhalten haben, während die entscheidende arbeitsmarktpolitische Bedeutung doch darin liegt, die Menschen möglichst schnell in den Arbeitsmarkt zurückzubringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Weil Kinder automatisch von der Situation ihrer Eltern abhängig sind, wird dann auch die Kinderarmut zum großen Teil bekämpft.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort! Das ist ausweichend! – Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Themaverfehlung!)

Unsere Zielrichtung in dieser Debatte ist, dass wir darauf achten müssen, dass möglichst viele Menschen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt haben. Das ist Ausdruck christlich-sozialer Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Einen kleinen Moment. Es sind weitere Fragen ausgelöst worden. Ich lasse die Frage von Herrn Müller, wenn Sie sie zulassen, noch zu. Dann bitte ich darum, dass keine weiteren Fragen gestellt werden. – Jetzt kommt als Nächstes der Kollege Kober und, wenn Sie die Frage zulassen, Herr Müller.

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ist das die Fragestunde?)

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Nur zu, nur zu.

Pascal Kober (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Kollege Stracke, Sie sprachen davon, dass Sie das Ziel haben, Langzeitarbeitslose in den ersten, allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Nun sagt der Minister – und es gibt auch andere Stimmen aus der SPD –, dass es um einen Sonderarbeitsmarkt, um einen gemeinnützigen Arbeitsmarkt geht. Deshalb frage ich Sie: Ist eine gemeinsame Linie in der Großen Koalition erkennbar, wenn es darum geht, welchen Weg man für und mit den Langzeitarbeitslosen gehen will? Handelt es sich um einen zusätzlichen, wettbewerbsneutralen Arbeitsmarkt, der im öffentlichen Interesse ist, oder soll es tatsächlich um die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt gehen? Das würde ich gerne von Ihnen wissen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Ein herzliches Dankeschön für die sehr gute Zwischenfrage. Auf diesen Punkt wäre ich im Laufe meiner Rede sowieso eingegangen.

Für Personen, die besonders arbeitsmarktfern sind, ziehen wir als Koalition einen sozialen Arbeitsmarkt in Betracht. Wir wollen diesen Menschen mit dem sozialen Arbeitsmarkt das notwendige Rüstzeug für den allgemeinen Arbeitsmarkt mit auf den Weg geben. Allerdings sollte aus meiner Sicht die Verweildauer auf einem solchen Arbeitsmarkt zeitlich befristet sein. Der soziale Arbeitsmarkt hat nur eine dienende Funktion. Er ist dem ersten Arbeitsmarkt nachgeordnet.

Unsere Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: Wir müssen darauf achten, dass die Menschen nicht in einer sozialpolitische Sackgasse enden. Die Fehler der Vergangenheit dürfen sich nicht wiederholen. Deswegen werden wir darauf achten, dass der soziale Arbeitsmarkt durchlässig ist. Das entscheidende Kriterium ist, dass die Menschen vor allen Dingen auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen. Dafür sollen sie das nötige Rüstzeug erhalten. Dazu kann ein sozialer Arbeitsmarkt dienen; mehr aber auch nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Stracke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Ja. Wir können gerne so weitermachen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Das können wir nicht. Ich leite hier die Nachtsitzung. Ich bitte darum, auf meine persönliche Befindlichkeit Rücksicht zu nehmen.

Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE):

Herr Präsident, Sie können ganz unbesorgt sein, ich werde Herrn Stracke in dieser Debatte nur eine Frage stellen.

Herr Kollege Stracke, danke, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. Sie haben mich nämlich mit Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Lehmann ein wenig gepiesackt. Sie haben ausgeführt – das ist sinngemäß Ihre Antwort gewesen –, wir bräuchten die Regelbedarfssätze für Kinder nicht zu erhöhen, weil Sie gar nicht möchten, dass überhaupt jemand Hartz IV beziehen muss; das heißt, wenn die Eltern Arbeit haben, dann gebe es das Problem nicht.

Es gibt 1,9 Millionen Kinder in Deutschland, die in Bedarfsgemeinschaften leben, also von Hartz IV. Ungefähr 50 Prozent dieser Bedarfsgemeinschaften, im Osten sogar 55 Prozent, sind Haushalte von Alleinerziehenden. Die Mehrzahl der alleinerziehenden Elternteile geht arbeiten; das heißt, sie müssen aufstocken. Ein großer Anteil von Kindern in Bedarfsgemeinschaften wohnt also in Elternhäusern, wo ein Elternteil oder beide Elternteile arbeiten gehen und es trotzdem nicht reicht.

Kann ich Ihren Ausführungen erstens entnehmen, dass Sie sicherstellen wollen, dass die Menschen in Zukunft so hohe Löhne haben, dass sie gar nicht mehr in Hartz IV fallen, das heißt, dass Sie einen Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde umsetzen werden?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Werden Sie zweitens für diejenigen, die, obwohl sie arbeiten, in Armut fallen, die also nichts dafür können, dass sie aufstocken müssen, die Regelbedarfsätze so erhöhen, dass kein Kind mehr arm sein muss?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Vielen Dank auch für diese Frage. – Wir haben – deshalb erscheint dies auch nicht im Koalitionsvertrag – ja schon einen geltenden Gesetzesmechanismus, der vorgibt, wie wir beispielsweise mit Inflationssteigerung oder anderen Dingen, die die Töpfe verändern, umgehen. Wir haben bereits einen durchaus praktizierten Mechanismus, wie wir mit Steigerungen der Regelsätze umgehen müssen.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Na, na, na!)

Deswegen haben wir hier keinen Änderungsbedarf. Das Gesetz sieht dies letztendlich schon vor. Ich meine, wir haben, in dem Umfang auch zu Recht, die Rechtsprechung in vielfältiger Art und Weise schon erlebt.

Es geht darum – Sie sprechen ein wesentliches Thema an –, vor allem die Zielgruppe der Alleinerziehenden in den Blick zu nehmen. Das tun wir. Zum einen wollen wir Kindergeld und Kinderfreibeträge kraftvoll erhöhen; das ist auch Handschrift der Christlich-Sozialen Union. Zum Zweiten wollen wir dafür sorgen, dass bei der Kinderbetreuung Verlässlichkeit besteht. Den Anspruch auf verlässliche Betreuung haben wir bei der Krippenbetreuung schon durchgesetzt, wollen ihn aber beispielsweise auch bei der Ganztagsbetreuung in Grundschulen. Die Eltern müssen wissen, dass das Kind gut aufgehoben ist, auch wenn einmal eine Unterrichtsstunde ausfällt, auch wenn sie mal länger arbeiten müssen. Damit eröffnen wir gerade Alleinerziehenden mehr Chancen, auf dem Arbeitsmarkt weiterhin aktiv sein zu können, und wir verbessern ihre Integration in den Arbeitsmarkt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben dem Thema „Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit“ setzen wir auf mehr Weiterbildung. Das ist der weitere Baustein, wenn es darum geht, Vollbeschäftigung zu erreichen. Gute Bildung, Ausbildung und eine konsequente betriebliche und überbetriebliche Weiterbildung sind der Schlüssel für die Zukunft, damit wir auch weiterhin wirtschaftlich erfolgreich sein können. Bildung ist so etwas wie ein Grundnahrungsmittel.

Vieles geschieht schon in diesem Bereich. Die Sozialpartner und die Betriebe unternehmen große Anstrengungen. Wir wollen hier aber noch besser werden. Deswegen haben wir in diesem Koalitionsvertrag ein ganzes Bündel an konkreten Maßnahmen zur Förderung der Bildung und Weiterbildung vorgesehen und werden diese umsetzen.

All diese Überlegungen haben letztendlich ein Ziel. Wir wollen einen Mentalitätswechsel in den Köpfen erreichen: Wir lernen nicht nur für den Moment, sondern für die lange Dauer, und Lernen kann auch richtig Spaß machen. Diesen Mentalitätswechsel wollen wir tatsächlich erreichen. Nicht erst dann, wenn es fast zu spät ist, wenn Arbeitslosigkeit droht, sollen die Menschen tätig werden, sondern sie sollen frühzeitig in diesem Bereich präventiv tätig werden. Wenn uns das gelingt, sind wir als Land mittel- und langfristig wettbewerbsfähig und sorgen dafür, dass unsere sozialen Sicherungssysteme finanzierbar bleiben. Gute Bildungspolitik ist letztendlich eine vorausschauende Sozialpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch eine gute Familienpolitik ist eine vorausschauende Sozialpolitik. Wir wollen, dass Familie gelingt. Das Arbeitsrecht ist ja traditionell blind gegenüber den Bedürfnissen der Familien. Frauen entscheiden sich häufig zwischen Familie und Beruf. Wir wollen aber kein Entweder-oder, sondern Zwischenwege eröffnen. Familienfreundliche Arbeitszeiten sind ein wesentlicher Faktor für das Gelingen von Familie. Hier stehen die Tarifvertragspartner in der Verantwortung, aber auch die Politik. Wir sind bereits ein gutes Stück vorangekommen, mit der Elternzeit und der Pflegezeit. Hier haben wir Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit und das Recht zur Rückkehr in Vollzeit geschaffen. Genau diesen Weg werden wir konsequent weitergehen, und zwar mit einer befristeten Teilzeitmöglichkeit: für bis zu fünf Jahre. Damit verfolgen wir das Ziel einer stärkeren arbeitsmarktpolitischen Integration von Frauen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Stracke, kommen Sie zum Schluss.

Stephan Stracke (CDU/CSU):

Ich glaube, dieses Bündel an Maßnahmen im Bereich der Weiterbildung, im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit und im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zeigt uns: Wir sind auf einem guten Weg – unionsgeführt.

Ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der CDU/CSU)