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Rudolf Henke: "Dieses Gesetz ist Zeugnis von Handlungsfähigkeit und Gestaltungswillen"

Rede zur Sicherheit in der Arzneimittelversorgung

Dieses Gesetz ist Zeugnis von Handlungsfähigkeit und Gestaltungswillen – Jens Spahn hat das in seiner Rede gezeigt. Es ist eine konsequente und ziemlich zeitgerechte Reaktion auf die Skandale mit gefälschten und verunreinigten Arzneimitteln, und ich will dem Bundesminister für Gesundheit ausdrücklich dafür danken, dass er mit Vorlage dieses Gesetzes einen Weg aufgezeigt hat hin zu mehr Transparenz, mehr Arzneimittelsicherheit und einer besseren Aufsicht.

Einen besonderen Aspekt möchte ich noch einmal etwas genauer beleuchten, da er uns und viele Gesprächspartner seit Bekanntwerden des Referentenentwurfs in zahlreichen Gesprächen beschäftigt hat: Wir regeln die Versorgung von Menschen mit Hämophilie, also der sogenannten Bluterkrankheit, teilweise neu, und ich möchte gerne begründen, warum das geschieht. „Die Behandlung von Hämophilie-Patienten“, so hat es die Einzelsachverständige Frau Dr. Susan Halimeh in der Anhörung zum Ausdruck gebracht, „ist hoch komplex sowie auch personal- und kostenintensiv. Um die Versorgungsqualität und Kosteneffizienz zu verbessern, hat die Gesellschaft für Thrombose und Hämostase in Anlehnung an das European Haemophilia Network (EUHANET) eine Leitlinie zur Struktur- und Prozessqualität von Hämophiliezentren entwickelt, in deren Mittelpunkt eine langfristige Patientenversorgung durch ein multidisziplinäres Team fachärztlicher und nichtfachärztlicher Spezialisten, die in einem Hämophiliezentrum aufeinander abgestimmt arbeiten, steht. Die Zertifizierung von Hämophiliezentren, zum Beispiel durch EUHANET, hat bewiesen, dass sowohl die Lebenserwartung als auch die Lebensqualität von Patienten mit Hämophiliegerinnungsstörung erhöht worden ist.“

„Die deutsche Hämophilieforschung und die Behandlung der Patienten wäre sicherlich nicht so weit“, so der Sachverständige Herr Peter Oestreicher von der Deutschen Hämophiliegesellschaft, „wenn die Patienten nicht in den Behandlungszentren beobachtet worden und behandelt worden wären und gleichzeitig ein Monitoring erfolgt wäre, wie diese Behandlung wirkt.“

In der gängigen Praxis ist es nun so, dass der Arzt ein Medikament verschreibt und der Apotheker dem Patienten dieses Medikament aushändigt.

Für die Gerinnungspräparate wurde als Reaktion auf die schlimmen Erfahrungen, die wir in den 80er-Jahren mit HIV-Infektionen durch Blutprodukte machen mussten, im Arzneimittelgesetz eine Ausnahme geschaffen: Pharmazeutische Unternehmen und Großhändler konnten die notwendigen Arzneimittel durch die Möglichkeit des Direktvertriebs direkt an Behandlungszentren bzw. den behandelnden Arzt liefern. Dadurch wurde eine Nachverfolgbarkeit gewährleistet, die vorher gefehlt hatte. Damit sollte das Infektionsrisiko bei aus menschlichem Blut gewonnenen Produkten begrenzt werden, das für industriell hergestellte Gerinnungsfaktorkonzentrate aus Plasma heute nicht mehr besteht. Andererseits sind zum Beispiel die Risiken der Behandlung der Hämophilie A mit dem monoklonalen Antikörper Emicizumab, zum Beispiel thromboembolische Komplikationen, aus medizinischer Sicht vielfach höher zu werten als das Infektionsrisiko. Insofern sind bei der Verordnung von gentechnisch hergestellten Produkten – insbesondere Emicizumab – zur Behandlung von angeborenen Hämostasestörungen mindestens die gleichen Sorgfalts- und Dokumentationspflichten zu beachten wie bei der Verordnung von aus menschlichem Blut gewonnenen Produkten.

In diesem Zusammenhang bleibt die Behandlung in spezialisierten Zentren sinnvoll. Dennoch stellt sich allerdings die Frage, ob es noch zu rechtfertigen ist, den Vertriebsweg dieser Arzneimittel entgegen der gängigen Praxis vergleichbar hergestellter Arzneimittel durch die Sonderregelung des Direktvertriebs weiterhin aufrechtzuerhalten, oder ob es an der Zeit ist, den Vertriebsweg an den Normalfall anzunähern – nicht zuletzt, um auch mehr Transparenz der finanziellen Abläufe zu ermöglichen. Der erste Arbeitsentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit hat diese Annäherung aufgegriffen und die Ausnahmeregelung des Direktvertriebs für gentechnologisch hergestellte Blutbestandteile aufgehoben.

Der Zielkonflikt, vor dem wir durch die beabsichtigte Regelung gestanden haben, ist eine möglichst einfache, nächstgelegene Versorgung durch Ärzte und Apotheker einerseits und eine Anbindung an die Wissenschaft und eine spezialisierte Versorgung andererseits, die entsprechend durch ein Register dokumentiert, ausgewertet und optimiert wird. Was uns bei diesem Vorschlag zu kurz kam, ist die weiterhin zwingend notwendige Nachverfolgung und Datenermittlung während der Behandlung und eine Bindung an die spezialisierte Versorgung auf wissenschaftlich höchstem Niveau, die sich in den meisten Fällen in einzelnen Zentren gebündelt hat.

Sicher ist es bequemer, wenn die Versorgung in unmittelbarer Wohnortnähe stattfinden würde. Doch bei einer seltenen Erkrankung mit rund 6 000 Betroffenen in Deutschland kann man schwer von jedem der 55 000 Hausärzte erwarten, dass er sich stets auf dem aktuellsten Stand dieser Spezialtherapie hält. Deswegen halten wir es für klug, auch weiterhin die Behandlung in den Versorgungszentren zu bündeln, die neben der Behandlung auch im Umgang mit dem Deutschen Hämophilieregister die größtmögliche Expertise haben. Dadurch ist auch weiterhin gewährleistet, dass zugleich eine größtmögliche Nähe zu den aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen in der Therapie von Patienten mit Hämophilie sichergestellt ist.

Um diese qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen, sah der Referentenentwurf bereits vor, die Krankenkassen zu verpflichten, Verträge mit spezialisierten ärztlichen Einrichtungen zur Behandlung von Versicherten mit Gerinnungsstörungen bei Hämophilie abzuschließen. Damit würde die Behandlung durch die Zentren sichergestellt. Die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Gesundheit und weitere Gespräche während des parlamentarischen Verfahrens haben uns verdeutlicht, dass diese Regelungen grundsätzlich nachvollziehbar sind. Dennoch würden besonders bei der Nachverfolgung der Arzneimittel einige Unsicherheiten bleiben und die von uns bevorzugte Bindung an die Versorgungszentren wäre nicht in dem gewünschten Maße sichergestellt. Das ändern wir nun mit einer Reihe von Änderungsanträgen, die der Gesundheitsausschuss angenommen hat.

Für Apotheken, die zukünftig das verschriebene Medikament abgeben, wird eine Meldepflicht an den verschreibenden und damit behandelnden Arzt eingeführt. Neben der Bezeichnung des Arzneimittels beinhaltet diese Meldung die genaue Chargenbezeichnung, die Menge des Arzneimittels, das Datum der Abgabe sowie personenbezogene Daten des Patienten. Das ist insofern notwendig und zweckmäßig, damit die Ärzte weiterhin die Daten an das Deutsche Hämophilieregister weiterleiten können. – Die Verantwortung dafür liegt also nicht beim Patienten.

Die gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen, Verträge mit spezialisierten Einrichtungen abzuschließen, haben wir noch einmal dahin gehend präzisiert, dass wir die Qualitätssicherung als Grundlage für mögliche Verträge mit einbeziehen. Für eine entsprechende Beurteilung sollen Empfehlungen der Fachgesellschaften über die Anforderungen an die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität herangezogen werden.

Eine Ergänzung stellt darüber hinaus sicher, dass Teil der ärztlichen Aufgabe neben der Behandlung und der Dokumentation auch die Beratung über Langzeitfolgen von Gerinnungsstörungen ist. Das stärkt die Bindung an eine qualitativ hochwertige Behandlung, denn niemand unter uns hat auch nur im Entferntesten ein Interesse, dass die Versorgung von Hämophiliepatienten in irgendeiner Weise qualitativ schlechter wird. Eine Schiedsregelung wurde zudem eingefügt, die dann zügig zum Tragen kommen soll, wenn sich die Akteure nicht auf Vertragsabschlüsse einigen können.

Die bisher geltende Verpflichtung der behandelnden Ärzte, über die Erhebung, die Verarbeitung und die Nutzung der patientenbezogenen Daten und über den Zweck des Deutschen Hämophilieregisters aufzuklären, wird ergänzt: Zukünftig sollen auch pseudonymisierte Behandlungs- und Patientendaten sowie die Übermittlung von Auswertungsergebnissen dieser Daten einbezogen werden. Zum Zwecke der Verbesserung der Versorgung sollen zudem die Daten auch auf Antrag rückübermittelt werden an den behandelnden Arzt.

Die Preisbildung der entsprechenden Arzneimittel wird dahin gehend geregelt, dass die pharmazeutischen Unternehmen dem GKV-Spitzenverband einen mengengewichteten Mittelwert der in den Jahren 2017 und 2018 vereinbarten Preise sowie die abgegebenen Mengen zu melden haben. Preisverhandlungen finden dann auf Basis dieser Mittelwerte statt. – Das schafft Transparenz.

Natürlich fällt es bei gewohnten Vertriebswegen leichter, die Einhaltung auch von Wirtschaftlichkeitsregelungen zu gewährleisten, was uns das Versprechen erfüllen hilft, auch zukünftig für alle eine Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, die auf dem neusten Stand ist.

Die Änderungen zeigen, dass wir uns intensiv mit der Versorgung von Hämophiliepatienten befasst haben. Für den konstruktiven Austausch während des parlamentarischen Verfahrens und besonders während unseres Fachgesprächs am 15. Mai möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken. Ich bin überzeugt davon, dass wir damit die Versorgung zukunftsfest machen und für mehr Transparenz bei der Preisgestaltung der Arzneimittel sorgen. An den Kreis der Betroffenen möchte ich die Botschaft schicken, dass wir uns die Entwicklung natürlich ganz genau anschauen werden. Sie können sich sicher sein, dass wir gesetzgeberisch alles dafür tun werden, weiterhin eine gute und verlässliche Versorgung zu erhalten.