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Prof. Dr. Heribert Hirte: Aus dem Grundgesetz ergibt sich gerade keine Grund- oder Solidarpflicht dahin gehend, Organe nach dem eigenen Tod zu „spenden“

Rede in der Debatte zu Organspenden

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Die Basis unseres Zusammenlebens ist freiwilliges Handeln unserer Bürgerinnen und Bürger. Nur wo freiwilliges Handeln nicht mehr ausreicht oder freiwilliges, selbstbestimmtes Handeln in die Rechte anderer eingreift, darf der Staat überhaupt tätig werden. So will es unser Grundgesetz; so folgt es aus der Menschenwürde,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

und so wird auch das aus Artikel 2 des Grundgesetzes hergeleitete Recht auf freie Selbstbestimmung verstanden.

(Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD])

Ich halte Organspende für einen Akt gelebter Solidarität. Jedem Menschen, der auch nach seinem Tod anderen Menschen zu einem Weiterleben oder zu verbesserter Gesundheit verhilft oder zumindest verhelfen möchte, gebührt mein ganz persönlicher Dank und die Anerkennung unserer Gesellschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gleichzeitig respektiere ich aber die Entscheidung jedes und jeder Einzelnen, der, die – sei es aus religiösen oder anderen Gründen – sich nicht für eine solche Organspende entscheidet oder sich nicht einmal mit dieser Thematik beschäftigen möchte. Diese Debatte stößt weit vor in den Bereich der Grundrechte jedes Einzelnen. Gerade im Lichte des Rechts auf freie Selbstbestimmung muss der Staat zweifelsfrei sicherstellen, dass die Entscheidung des Einzelnen umgesetzt wird.

Lassen Sie mich dies ein bisschen näher erläutern. Entgegen der Darstellung mancher, ergibt sich aus dem Grundgesetz gerade keine Grund- oder Solidarpflicht dahin gehend, Organe nach dem eigenen Tod zu „spenden“. Da sich eine solche Pflicht gerade nicht aus dem Grundgesetz ergibt, muss sich ein entsprechendes Gesetz – sei es zur Verbesserung der Zustimmungslösung oder zur Einführung einer sogenannten Widerspruchslösung – an den Grundrechten und der Menschenwürde messen lassen. Grundsätzlich von einer Spendenbereitschaft auszugehen und nur im Fall eines ausdrücklichen Widerspruchs von einer Transplantation abzusehen, erfüllt nicht den staatlichen Schutzauftrag.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Widerspruchslösung verstößt zum einen gegen das zu Lebzeiten bestehende Selbstbestimmungsrecht. Zum anderen verstößt sie gegen die objektivrechtliche Dimension der Würdegarantie in Form des sogenannten postmortalen Schutzes der mit dem Hirntod eigentlich beendeten Grundrechte aus Artikel 2 und Artikel 1 unseres Grundgesetzes. In Deutschland steht es jedem Menschen frei, seine Persönlichkeit nach seinen eigenen Wünschen zu entfalten. Das schließt explizit das Recht ein, sich mit bestimmten Themen nicht zu beschäftigen oder keine Entscheidungen zu fällen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt auch und gerade für die Organspende.

Insbesondere schließt das Selbstbestimmungsrecht die Entscheidung über den Umgang und den Verbleib des eigenen Körpers nach dem Tod ein. Zwar ist dieses Recht nicht schrankenlos gewährt; vielmehr kann es durch ein verhältnismäßiges Gesetz eingeschränkt werden. Die Widerspruchslösung überschreitet diese Verhältnismäßigkeit. Meine Kolleginnen und Kollegen, meine Vorredner haben gezeigt, dass die Widerspruchslösung gerade nicht erforderlich ist, das heißt, es stehen vergleichbar effektive, aber mildere Mittel zur Verfügung. Zudem können Widersprüche verloren gehen, Register können Fehler enthalten, oder Menschen – das haben wir in einem anderen traurigen Zusammenhang vor einigen Wochen gehört – können falsch identifiziert werden. Unsere Selbstbestimmungsfreiheit wird durch das Grundgesetz über den Tod hinaus garantiert. Dieser postmortale Schutz wird durch die Widerspruchslösung gefährdet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

All diese Probleme und Eingriffe in die Intimsphäre können nur mit einer verbesserten Zustimmungslösung vermieden werden. Vertrauen wir deshalb unseren Bürgerinnen und Bürgern, und verbessern wir die Zustimmungslösung. Das ist der richtige Weg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)