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Prof. Dr. Claudia Schmidtke: Ethische Fragestellungen sind nicht schwarz-weiß; sie sind komplex

Rede zu vorgeburtlichen genetischen Bluttests

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Aldous Huxley beschrieb in den 30er-Jahren in seinem Roman „Brave New World“ bereits die pränatale biologische Einwirkung auf die Menschen: Fantasie eines Autors, unerreichbare Fiktion. Wir wussten und fürchteten, dass der Fortschritt uns irgendwann in die Lage versetzen würde, den humangenetischen Code noch vor der Geburt zu lesen, zu analysieren und zu verändern.

Die nichtinvasive Pränataldiagnostik, um die es heute geht, verändert kein einziges Chromosom und führt uns doch zu der Frage: Was ist für uns Leben? Es ist vor allem nicht disponibel. Was es lebenswert macht, sind gerade die Vielfalt, die Überraschung, das nicht Perfekte. Diese Überzeugung, meine Damen und Herren, ist keine Glaubensfrage; in diesem Haus ist sie Verpflichtung. Sie steht im Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Es ist die unantastbare Würde des Menschen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Doch wie so oft: Ethische Fragestellungen sind nicht schwarz-weiß; sie sind komplex. Da ist zunächst die Tatsache, dass die Untersuchungen, über die wir heute sprechen, bereits angewendet werden. Kein Gesetz einer globalisierten, digitalisierten Welt kann sie wieder vom Markt nehmen.

Da ist zum Zweiten die Erkenntnis, dass die bereits seit Jahrzehnten solidarisch finanzierten Alternativen wie die Amniozentese mit Risiken für das Leben des ungeborenen Kindes einhergehen. Bei nur 200 Fällen gibt es mindestens ein totes Kind, das gesund hätte aufwachsen können. Bei einem Diagnostikverfahren! Dieses Risiko wollten wir, die Politik, senken. Das BMBF förderte erfolgreich die Entwicklung der Bluttests, über die wir heute sprechen.

Wir sehen, dass unsere neuen Fähigkeiten der pränatalen Diagnostik und die fiktive Brave New World eben nicht zwei Seiten derselben Medaille sind. Wenn wir heute andere Grenzen bei dieser nichtinvasiven Diagnostik ziehen als bei riskanter Diagnostik, so wäre das weder rational noch ethisch und medizinisch erst recht nicht zu erklären.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Und doch müssen wir uns mit dem Thema befassen. Wir müssen die Gelegenheit nutzen, für das Leben in all seiner Vielfalt zu werben. Wir müssen stärker als bisher zeigen, was für ein wunderbares Geschenk Kinder mit Downsyndrom für unsere Welt sind. Viele Medien haben die Debatte in den vergangenen Wochen zum Anlass für Geschichten genommen. Hierfür möchte ich ihnen danken.

Danken möchte ich auch der FDP-Fraktion, und zwar dafür, dass sie einen unterirdisch illustrierten Tweet zum Thema gelöscht und sich dafür entschuldigt hat. Besser wäre es allerdings gewesen, wir hätten ihn gar nicht erst gesehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der AfD)

Die Debatte zeigt einen zentralen Vorteil auf, den eine Kostenübernahme mit sich bringen kann. Auf eine Einbindung der Bluttests in psychosoziale Beratung können wir im Rahmen der Kostenübernahme bestehen, bei der Nutzung von Angeboten außerhalb unseres Gesundheitssystems nicht. Wir als Gesellschaft müssen Fehlentwicklungen verhindern. Für die Atmosphäre, die das garantiert, haben wir zu sorgen. Mit der Frage der Kostenübernahme stehen wir also am Ende lediglich vor der Entscheidung, ob wir die werdenden Eltern mit ihrem gekauften Ergebnis alleinlassen oder verantwortungsvoll einbinden. Ich bin für die Einbindung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)