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Prof. Dr. Claudia Schmidtke: Auch mehr Aufklärung wird keinen Erfolg bringen

Rede in der Debatte zu Organspenden

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bürgerinnen und Bürger meines Wahlkreises haben mich nicht in erster Linie als Politikerin in dieses Hohe Haus gewählt, sondern als Ärztin. Diese Biografie hat eigene Begegnungen mit Menschen hervorgebracht, die ein Recht haben, an diesem Pult vertreten zu werden.

Es geht um Menschen, deren Leben von einem neuen Organ abhängt, weil ihr eigenes Organ schwach oder beschädigt ist. Wenn beispielsweise die Nieren versagen und sie dialysepflichtig werden, dann wissen sie, dass ihre Chancen bei uns nicht gut stehen. Im Durchschnitt warten sie acht bis zehn Jahre; viele Patienten sterben in dieser Zeit. Diese Menschen wissen, dass ihre Chancen außerhalb Deutschlands besser wären. Im Ausland leben 50 Prozent der Nierenpatienten mit einem Transplantat, hierzulande sind es 20 Prozent. Diese Menschen haben seit Jahren einen gepackten Koffer zu Hause stehen und warten sehnlichst auf den erlösenden Anruf. Währenddessen wissen sie, dass ausländische Parlamente früher einen Systemwechsel eingeleitet und somit die Chancen für ihre Mitbürger verbessert haben. Meine verehrten Damen und Herren, es ist höchste Zeit, dass der Deutsche Bundestag nun auch seiner Verantwortung für diese Menschen gerecht wird und ihnen ihre Chance auf ein verlängertes Leben verbessert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Wir sollten nicht vergessen: Jeder von uns und jeder unserer Angehörigen kann plötzlich dieser Mensch sein.

Wir haben mit dem Entwurf eines GZSO einen kleinen Schritt auf den Weg gebracht, der allerdings bei weitem nicht ausreicht. Zu der viel zitierten Studie des Kollegen Feldkamp aus Kiel muss man sagen: Sein Fazit ist, die Zahl der gespendeten Organe könnte gesteigert werden, und das ist eine Analyse von Sekundärdaten. Das dürfen wir nicht vergessen.

Auch mehr Aufklärung wird keinen Erfolg bringen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung investiert schon seit Jahren viele Millionen Euro in Informationen und in Werbung. Seit 2012 sind es 43 Millionen Euro, allein in diesem Jahr 5,7 Millionen Euro. Ebenso die Krankenkassen: Der GKV-Spitzenverband hat ausgerechnet, dass die Kassen für jeden zusätzlichen potenziellen Organspender 1 Million Euro investieren mussten, und das, obwohl in Umfragen – wir haben es gehört – 84 Prozent der Menschen Organspende befürworten und 70 Prozent spenden würden.

Wir wissen also, dass die Aufklärungsarbeit keinen hinreichenden Erfolg hat. Wir wissen, dass eine verbesserte Infrastruktur nur dann sinnvoll ist, wenn sie auch genutzt werden kann. Und wir wissen, dass jeden Tag drei Menschen sterben, während sie auf ein Organ warten.

(Beifall des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD])

Wer behauptet, dass es zu früh sei, um eine Widerspruchsregelung anzustreben, den muss ich fragen: Worauf warten wir? Die Menschen, die betroffen sind, haben keine Zeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Ich fühle mich hier und jetzt als Anwältin unserer Patienten. Hier und heute orientieren wir uns als frei gewähltes Parlament, als Abgeordnete nach unserem Gewissen. Ich stehe für die Widerspruchsregelung, für einen Systemwechsel. Heute kann nur die ausdrückliche, schriftliche Bereitschaft des Verstorbenen oder die Wiedergabe des mutmaßlichen Willens durch den nächsten Angehörigen eine Organspende ermöglichen, mit der, wie beschrieben, unzureichenden Bilanz für diejenigen, die auf ein lebensrettendes Organ warten, auch mit der unerträglichen Belastung für die Angehörigen, die gerade eine geliebte Schwester, den Ehemann oder die Tochter verloren haben, deren mutmaßlichen Willen zu ergründen; von der Belastungssituation der Ärzte, die im Moment des Todes die entscheidende Frage stellen müssen, nicht zu sprechen.

Die Widerspruchsregelung bedeutet, dass grundsätzlich jeder von uns im Todesfall als Organspender erkannt wird, doch bleibt die Spende ebenso freiwillig wie bisher; denn jeder von uns hat die Möglichkeit, zu Lebzeiten zu widersprechen, jederzeit, einfach, barrierefrei. Auch das Vetorecht für die Angehörigen, zum Beispiel, wenn der Verstorbene noch kurz vor dem Ableben seine Willensänderung mitteilte, bleibt erhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jährlich sterben in unserem Land Tausende Menschen, weil sie zu lange auf ein lebensrettendes Organ warten mussten. Ich denke, daran sollten wir auch denken.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])