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Peter Weiß: "Den Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit deutlich reduzieren"

Rede zum Hartz IV-Satz

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was mich an dieser Debatte und den beiden Anträgen, die vorliegen, stört, ist: Wir haben es wieder mal mit der Frage zu tun, wie man die Arbeitslosigkeit besser verwalten kann. Bei den Anträgen geht es nicht darum, wie man aus der Arbeitslosigkeit rauskommt. Das ist aber die zentrale Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU – Pascal Kober [FDP]: Ihr müsst mal die Anträge lesen! – Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Den Zusammenhang zur Arbeit haben Sie nicht verstanden!)

Unser Ziel sind nicht 424 Euro – das ist der derzeit gültige Regelsatz –, unser Ziel sind auch nicht 582 Euro – das ist der beantragte neue Regelsatz –, sondern unser Mindestziel sind 1 560 Euro.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Falsch!)

Ich sage Ihnen auch, warum.

Durch das Teilhabechancengesetz, das diese Große Koalition beschlossen hat, machen wir den Langzeitarbeitslosen in unserem Land das Angebot, fünf Jahre lang eine geförderte Arbeit aufzunehmen, wobei sie die ersten zwei Jahre zu 100 Prozent aus Steuermitteln bezahlt werden.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Für 1 Million Langzeitarbeitslose?)

Ich habe nun die ersten Maßnahmeteilnehmer in den Beschäftigungsgesellschaften besucht. Für jemanden, der bisher Arbeitslosengeld II bezog, beträgt das Monatseinkommen nun 1 560 Euro. Diese werden zu 100 Prozent vom Staat finanziert. Das ist also auch unser Ziel.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Für wie viele Betroffene?)

Deswegen möchte ich nicht über 582 Euro und auch nicht über 424 Euro diskutieren, sondern über 1 560 Euro und mehr. Das muss unser Ziel sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Brutto!)

Damit bin ich bei dem entscheidenden Punkt. Das Prinzip des Förderns und Forderns, der aktivierende Sozialstaat: Das sind die Ideen der Zukunft. Es geht darum, wie wir mehr Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit herausbekommen.

Sosehr wir uns über die Probleme, die wir heute haben, große Sorgen machen, muss man jetzt ja mal ehrlich sagen: Wir waren mit diesem Prinzip bislang äußerst erfolgreich. Noch 2007 hatten wir 6 Millionen Bezieher von Grundsicherungsleistungen, heute sind es unter 4 Millionen Bezieher. Das ist ein deutlicher Rückgang.

In den Gruppen, die relativ kurz langzeitarbeitslos sind, haben wir besonders gute Erfolge erzielt, indem wir dort die Arbeitslosigkeit deutlich reduziert haben. Aber es gibt eine Problemgruppe, die uns leider bleibt: Das sind all die Menschen, die fünf und mehr Jahre lang arbeitslos sind. In dieser Gruppe ist die Zahl in fünf Jahren nur von 176 000 auf 154 000 zurückgegangen.

Deshalb haben wir bei der letzten Reform etwas Zusätzliches gemacht, was ich für zukunftsweisend halte. Wir haben nämlich gesagt: Es kommt nicht nur darauf an, ein Angebot eines staatlich finanzierten sozialen Arbeitsmarktes zu machen, sondern es kommt auch darauf an, dafür zu sorgen, dass eine Beratungsperson, ein Coach, diese Menschen begleitet, um die vielfältigen Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellen, zu überwinden. Also, mein Ansatz für die Zukunft des Sozialstaates ist, eben nicht nur zu glauben, dass man mit finanzieller Hilfe etwas erreicht. Wir brauchen mehr personelle Hilfe, damit Menschen aus dem Teufelskreis von Armut herauskommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Pascal Kober [FDP])

Das gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche. Es ist doch erschreckend, festzustellen, dass heute viele Kinder und Jugendliche, deren Eltern von Arbeitslosengeld II gelebt haben, deren Großeltern von Arbeitslosengeld II bzw. der alten Sozialhilfe gelebt haben, auch Bezieher von Arbeitslosengeld II sind.

Genau diesen Teufelskreis kann ich eben nicht mit Geld durchbrechen, sondern nur dadurch, dass wir – das haben wir in §16 h des SGB II bereits angedacht; diese Förderung würde ich in Deutschland gerne breiter aufstellen – junge Menschen aus Familien mit Arbeitslosengeld-II-Bezug durch die Schule und durch die Ausbildung begleiten, sodass sie aus der Armut herauskommen und das Aufstiegsversprechen unserer Gesellschaft für sie tatsächlich Realität wird: Durch Bildung und Arbeit kann man aus der Abhängigkeit staatlicher Leistungen herauskommen und auf eigenen Beinen stehen. Auf diese personelle Hilfe wollen wir in Zukunft setzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, dass wir gerade in Zeiten, in denen unser Arbeitsmarkt so boomt, mit einem System, das fordert und fördert und bei dem nicht nur aufs Geld geschaut wird, sondern bei dem auch verstärkt auf personelle Hilfe gesetzt wird, in der Tat etwas hinbekommen können: nämlich den Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit, den wir leider schon über viele Jahre haben, deutlich zu reduzieren. Das Aufstiegsversprechen muss für die Bezieher von Arbeitslosengeld II gelten. Es geht nicht darum, die Arbeitslosenbehörden besser zu verwalten. Nein, raus aus dem ALG II, raus aus Hartz IV – das ist unser Motto.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Pascal Kober [FDP]: Das eine bedingt das andere!)