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Marcus Weinberg: Eine allgemeine Kindergrundsicherung – in der Breite –lehnen wir momentan ab

Rede zur Kindergrundsicherung

Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU):

Vielen Dank. – Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Baerbock, zwei Anmerkungen zu Ihrer Rede. Der erste Punkt ist: Es ist tatsächlich richtig und wichtig – da sind wir Fachpolitiker uns einig –, dass das Thema Kinderarmut ganz oben auf der Agenda steht. Ich habe nur eine Bitte. Sätze wie: „In diesem Land gibt es Kinder, die sich keine Stifte leisten können“, stimmen einfach nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP] – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Regelsatz sind die nicht drin! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Im Regelsatz gestrichen!)

Bei allem Respekt vor der Sorge vor Kinderarmut: Man sollte schon auf die Sprache achten. Es gibt ein Schulstarterpaket, mit dem 150 Euro zur Verfügung gestellt werden. Es gibt entsprechende Rechtsansprüche. Ich will nichts relativieren, aber das sollte man schon auch sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich komme zum Kernthema. Sie haben richtigerweise einige Maßnahmen formuliert, die wir auf den Weg gebracht haben. Auch wir in der Großen Koalition haben erkannt – das steht nicht nur im Koalitionsvertrag, wir handeln auch entsprechend –, dass wir vor großen Herausforderungen stehen. Wir sind bereits erste kluge Schritte gegangen.

Ich will mit Blick auf das Thema Berechnung von Armut drei Zahlen nennen: 84 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben nach eigenen Angaben ein eigenes Zimmer, 93 Prozent der Familien besitzen ein Auto und 97 Prozent genug Geld für Klassenfahrten und Ausflüge.

(Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ich finde, man kann durchaus auch mal sagen, dass es weiten Teilen der Menschen und der Kinder in diesem Land ganz gut geht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

Trotzdem, auch wenn sie materiell abgesichert sind, gibt es das Thema Kinderarmut.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

 

Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU):

Im Moment nicht, danke. – Zusätzlich zur materiellen Armut gibt es natürlich ergänzend kulturelle Armut und Bildungsarmut. Es geht hier um eine gesellschaftliche Aufgabe; denn kulturelle Armut und Bildungsarmut wirken sich auch auf Extremismus und andere Dinge negativ aus.

Wir als Union haben gemeinsam mit der SPD Maßnahmen auf den Weg gebracht. Uns geht es um engagiertes Handeln und Aufmerksamkeit bei diesem Thema.

Jetzt will ich auf einige Punkte konkret zu sprechen kommen. Unser Ziel muss es doch sein, früh zielgenaue und bedarfsorientierte Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Eine allgemeine Kindergrundsicherung – in der Breite – lehnen wir momentan ab. Ich sage Ihnen auch ganz deutlich, warum: weil wir mit dem Familienstärkungsgesetz sehr konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht haben.

(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)

– Liebe Frau Dörner, wenn man die finanziellen Leistungen einmal zusammenrechnet, das Kindergeld mit 204 bis 235 Euro, den Kinderzuschlag und die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, könnte man die These aufstellen: Das ist bereits eine Art Kindergrundsicherung. Das wissen Sie.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Verbesserung der finanziellen Leistungen haben wir als Große Koalition auf den Weg gebracht. Mit dem Familienstärkungsgesetz haben wir den Kreis derjenigen, die Anspruch auf Kinderzuschlag haben, erweitert.

Der Unterhaltsvorschuss, der Kinderzuschlag und das Bildungs- und Teilhabepaket sind – das haben Sie zu Recht angesprochen – Rechtsansprüche. Das sind keine Almosen, sondern diese Familien, diese Kinder haben einen Anspruch darauf, und wir müssen dafür sorgen, dass sie diesen Anspruch auch umsetzen. Das heißt, wir müssen uns wirklich sorgen und fragen, Stichwort „Kinderzuschlag“: „Wer beantragt den Kinderzuschlag?“, Stichwort „Unterhaltsvorschussgesetz“: „Wer beantragt Unterhaltsvorschuss?“ Wir müssen dafür sorgen, dass diese Familien zu ihrem Recht kommen.

Deswegen haben wir die Reform auf den Weg gebracht und für eine Digitalisierung des Antragsverfahrens gesorgt. Das haben wir mit dem Familienstärkungsgesetz umgesetzt. Wir haben nicht nur in vielen Bereichen für eine Erhöhung der Mittel gesorgt – kostenloses Mittagessen in Kitas, kostenlose Lernförderung –, sondern auch dafür – das ist ein nicht unwichtiger Punkt –, dass die Leistungen bzw. die Antragsverfahren erheblich entbürokratisiert wurden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Den Kinderzuschlag können Eltern künftig auch online beantragen. Für Anträge auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bedarf es mit Ausnahme der Kostenübernahme der Lernförderung – und dafür gibt es, wie ich finde, nachvollziehbare Gründe – keines zusätzlichen Antrags mehr. Das heißt, wir werden die Familien besser erreichen. Dass Sie schon jetzt sagen, dass das alles ins Leere läuft, verstehe ich, ehrlicherweise, nicht ganz.

Unterstützungsleistungen finanzieller Art sind das eine. Dahinter muss aber eine gewisse Haltung stecken. Was erwarten wir eigentlich? Familien sind stark, und Familien wissen am besten, was für sie gut ist. Wir müssen dafür sorgen, dass Eltern über ihr Erwerbseinkommen selbst in der Lage sind, ihre Familie zu finanzieren, das zu finanzieren, was ihre Kinder brauchen. Das heißt, für uns steht im Fokus, Eltern in Erwerbstätigkeit zu bringen. Die Studie der Bertelsmann-Stiftung hat gezeigt, dass Kinderarmut stark von der Berufstätigkeit der Mutter abhängt. Fast alle Kinder in Paarfamilien, deren Mutter dauerhaft arbeitet, sind finanziell abgesichert. Trotzdem – auch das sagen wir ganz deutlich – liegt es in der Freiheit der Familien, das zu entscheiden. Wir haben kein Gesellschaftssystem vorzugeben. Wir haben den Familien nicht zu sagen, was sie tun sollen

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Gott sei Dank!)

– Gott sei Dank –, sondern wir haben Angebote für Familien, die im Kontext mit der Bekämpfung von Kinderarmut zu sehen sind. Laut Bertelsmann-Stiftung gerieten 32 Prozent der Kinder, deren Mütter über einen längeren Zeitraum nicht erwerbstätig waren, dauerhaft oder wiederkehrend in Kinderarmut, 30 Prozent kurzzeitig.

Deswegen war es wichtig, dass wir über das Familienstärkungsgesetz nicht nur die finanziellen Leistungen verbessert und die Antragsverfahren entbürokratisiert haben, sondern auch gesagt haben: Dann brauchen wir auch ein gutes Kitaangebot, dann brauchen wir auch einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung in der Grundschule – einen Rechtsanspruch, keine Verpflichtung. Dazu laufen gerade die Gespräche. Die Mittel dafür sind schon eingestellt. Da erwarten wir übrigens auch von den Ländern, dass sie ihren originären Aufgaben nachkommen. Wir als Bund machen viel, wir machen das auch gerne, aus Überzeugung, aber Länder und Kommunen haben hier auch Aufgaben. Ich glaube, gerade im Bildungsbereich müssen wir Wert darauf legen, dass wir das gemeinsam auf den Weg bringen.

Wir müssen den in den letzten Jahren im Kitabereich erfolgten erfolgreichen Ausbau fortsetzen. Das heißt, wir müssen das Gute-Kita-Gesetz jetzt so umsetzen, dass Bildung sozusagen implementiert ist. Wir haben sehr deutlich gesagt, dass wir das Geld in die Verbesserung der Qualität stecken wollen und nicht in die Beitragsfreiheit. Aber auch Beitragsfreiheit spielt eine Rolle, wenn es um die Bekämpfung von Armut geht; denn wenn Eltern keine hohen Beiträge mehr zahlen müssen, dann kommt das den Familien zugute. Ich glaube, der Kompromiss war in Ordnung. Auch über den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung wird gerade debattiert. Es geht also um einen Ausbau der Leistungen im Bildungsbereich.

Ich erwähne an dieser Stelle immer gerne die Entwicklung des Budgets des BMBF, also des Bildungsministerium: Als wir angefangen haben, im Jahr 2005, betrug das Budget 7,6 Milliarden Euro, mittlerweile sind es 18,3 Milliarden Euro. Daraus kann man ableiten, dass die Bundesregierungen seit 2005 viele Schwerpunkte gesetzt haben, sie aber insbesondere zwei Schwerpunkte hatten. Ein Schwerpunkt lag auf dem Bereich Bildung und Forschung. Dazu gehören die berufliche Bildung – dazu haben wir in der vorangegangenen Debatte etwas gehört – und die frühe Förderung, die vorschulische Förderung. Ein zweiter Schwerpunkt lag auf der Familienpolitik. Wir werden in den nächsten Monaten überprüfen, wie die Antragsverfahren jetzt laufen.

Die Debatte über die Kindergrundsicherung haben wir auf Podien immer wieder geführt. Ich sage es noch einmal: Die Frage ist, ob man das Geld mit der Gießkanne verteilen muss. Macht es nicht mehr Sinn, zielgenau zu fördern? Jeder Euro, den wir einsetzen, der muss ankommen. Ein letzter Punkt, um Ihnen wenigstens zum Schluss meiner Rede einmal zuzustimmen: Wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass das, was der Staat ausgibt, zielgenau ankommen muss. Wir haben in der Großen Koalition aber große Schritte hinsichtlich Entbürokratisierung und Zielgenauigkeit untergenommen. Wir sind auch das Thema Armutsrisiko angegangen. Ich erinnere nur an den Kinderzuschlag. Ich glaube, es war klug, den Kreis der Anspruchsberechtigten zu erweitern, weil einige Menschen mal in eine Armutslage fallen, aber dann auch wieder herauskommen. Es war klug, hier stabilisierend zu wirken.

Ich freue mich auf die Diskussion in den nächsten Monaten mit Ihnen. Ich glaube, wir sollten dann auch noch mal reflektieren, was das Familienstärkungsgesetz leistet. Ich glaube, das ist ein gutes Gesetz. In diesem Sinne arbeiten wir weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)