Skip to main content

Karin Maag: Richtig und wichtig ist, dass die Beitragszahler in der Rente nicht zu hoch belastet werden

Rede zur Vermeidung von Doppelverbeitragung von Krankenversicherungsbeiträgen für Betriebsrenten

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Kollege Birkwald, gestatten Sie mir, dass ich mich an der Keilerei im bayerischen Wahlkampf nicht beteilige, sondern mit meiner Koalition nach seriösen Lösungsmöglichkeiten suche.

(Beifall bei der CDU/CSU – Reinhard Houben [FDP]: Seit wann ist denn Wahlkampf unseriös, Frau Kollegin?)

Wir führen heute eine Geschäftsordnungsdebatte, um zu erläutern, warum eine Einigung bislang noch nicht stattfinden konnte. Da ist schon der Sachverhalt nicht ganz banal. Unter einer rot-grünen Regierung hatten sich 2003 Milliardendefizite in der gesetzlichen Krankenversicherung angesammelt. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach Ungleichbehandlungen gerügt. Vor allem um diesem horrenden Defizit zu begegnen, wurde damals ein ganzes Maßnahmenpaket zulasten der Versicherten beschlossen, unter anderem Sterbegeld gestrichen, Sehhilfen- und Brillenzuschüsse gestrichen, Fahrtkosten zu ambulanten Behandlungen gestrichen, und eben auch von den Rentnern verlangt, die vollen Kassenbeiträge auf die Betriebsrenten zu zahlen. In den letzten 15 Jahren seither sind aus den unterschiedlichen Varianten dieser Betriebsrenten Beitragseinnahmen von jährlich 6 Milliarden Euro aufgewachsen.

Nun müssen wir entscheiden, ob und gegebenenfalls wie hier geholfen werden kann und vor allem wem im konkreten Einzelfall geholfen werden kann und wem möglicherweise nicht. Die Entscheidungsparameter haben wir erarbeitet; die liegen auf dem Tisch. Die Diskussion, was daraus folgt, ist aber bei weitem und lange noch nicht abgeschlossen, lieber Herr Birkwald, was Sie im Ausschuss übrigens dankenswerterweise eingeräumt haben. Deswegen finde ich es ausgesprochen unseriös, hier so aufzutreten, wie Sie auftreten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben ja die Debatte verweigert!)

Bei einer Gesamteinschätzung müssen wir natürlich die finanziellen Auswirkungen, die Beitragsausfälle in der gesetzlichen Krankenversicherung, betrachten. Den Betroffenen geht es – als Maximalforderung selbstverständlich – um die Rückabwicklung des gesamten rot-grünen Modernisierungsgesetzes mit der Folge von Rückforderungen in der Höhe von einmalig 40 Milliarden Euro. Jährliche Beitragsausfälle in Höhe von 3 Milliarden Euro kämen hinzu.

Die mir bekannten Lösungsansätze sind nur auf die Zukunft hin gerichtet. Da geht es zum Beispiel um die Halbierung des Beitragssatzes für die Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge: Einnahmeausfälle von rund 2,5 Milliarden Euro jährlich. Wir reden über die Umwandlung von der Freigrenze in einen Freibetrag: Mindereinnahmen 1,5 Milliarden Euro jährlich.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, daneben sind weitere Betrachtungen wichtig. Zum einen das Thema Generationengerechtigkeit: 1973 finanzierten die Rentner ihre Gesundheitskosten mit eigenen Beiträgen zu 70 Prozent selbst. 2003 deckten die Rentner nur noch knapp 43 Prozent ihrer eigenen Ausgaben ab.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann müssen Sie mal an die Renten herangehen! Das Rentenniveau muss steigen! Dann kriegen Sie auch mehr Krankenkassenbeiträge!)

Jetzt steigen die Zahl der Rentner und die entsprechenden Ausgaben infolge des demografischen Wandels an, weshalb die Jungen heute einen deutlich höheren Solidarbeitrag für die Älteren zahlen als in den vergangenen Jahren.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Argument ist falsch!)

Zum anderen orientieren sich die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung natürlich an der finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherten; sie werden nämlich nach erwerbsbezogenen Einkünften bemessen. Deshalb fällt übrigens für die kleinen Betriebsrenten mit einer Auszahlung unter 152 Euro die sogenannte Doppelverbeitragung nicht an.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 1 Cent mehr und sie müssen voll verbeitragt werden?)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, auch ich kann den Zorn derjenigen, die seit den 80er-Jahren für ein auskömmliches Leben im Alter gespart haben und die von der rot-grünen Regierung damals um die Früchte ihrer Arbeit betrogen wurden,

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da war ja noch wer!)

sehr gut nachvollziehen. Jeder von uns erhält die Briefe und E‑Mails, aus denen hervorgeht, dass die Menschen das Ganze als hart und ungerecht empfinden. Über jeden von uns bricht nach jeder öffentlichen Rede der obligatorische Shitstorm los. Hinzu kommt in diesem Fall, dass das Bundesverfassungsgericht den Betroffenen – natürlich zu Recht, aber für sie ist das nochmals eine eigenständige Belastung – keinen Vertrauensschutz zugesprochen hat.

Richtig und wichtig – das ist meiner Fraktion vor allem wichtig – ist, dass die Beitragszahler in der Rente nicht zu hoch belastet werden.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was wäre denn zu hoch?)

Sinnstiftende Lösungsansätze liegen meines Erachtens aber immer noch nicht auf dem Tisch. Die Mindereinnahmen in der GKV – jetzt werden wir mal ganz konkret – lassen sich entweder durch das Absenken des Leistungsvolumens oder durch eine Erhöhung der Beitragssätze ausgleichen. Ich finde, da ist es für eine linke Partei schon bemerkenswert, dass sie zugunsten der Leistungsfähigeren in der Solidargemeinschaft jene, von denen viele deutlich weniger Einkommen zur Verfügung haben, belasten wollen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat sie recht!)

Ich will das jedenfalls nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Erschwerend kommt noch hinzu, dass damit zwangsläufig auch die künftigen Generationen zusätzlich belastet werden – sie müssen nämlich die Einnahmeausfälle tragen –, und das will ich auch nicht.

Andere gute Vorschläge, wie die Deckungslücke von jährlich 2,5 Milliarden Euro, wenn man die Halbierung zugrunde legt, in der GKV aufgefangen werden kann, habe ich noch nicht gehört. Steuerzuschüsse? – Der Finanzminister hat das meines Wissens bisher abgelehnt. Wir müssen uns da dann auch überlegen, wo wir Schwerpunkte setzen. Wir haben in anderen Bereichen einen deutlichen Ausgabenaufwuchs. Ich persönlich fände eine Regelung ausschließlich für die Zukunft – das ist mir jetzt ganz besonders wichtig –, so, wie es die aktuellen Vorschläge vorsehen, ausgesprochen ungerecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eine Befriedung kann ich mir so nicht vorstellen. Man würde diejenigen, die am meisten und am längsten bezahlt haben und die vor allem auch am längsten gekämpft haben, von der Regulierung ausnehmen und damit noch einmal vor den Kopf stoßen.

Lieber Herr Birkwald, die solidarische Gesundheitsversicherung ist sicher keine Lösung. Ich darf aus dem Internetauftritt der Linken zitieren. Bei der solidarischen Gesundheitsversicherung richtet sich die

… Höhe der jeweiligen Krankenversicherungsbeiträge … nach der individuellen Leistungsfähigkeit, also nach dem individuellen Einkommen. Zur Berechnung des Beitrags werden alle Einkommensarten herangezogen, inklusive Kapitalerträge und Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wer viel Einkommen hat, zahlt viel. Wer wenig hat, zahlt wenig. Und wer keins hat, zahlt nichts.

(Kersten Steinke [DIE LINKE]: Das nennt sich Solidarität!)

Aber genau diese Situation haben wir im Moment. Mit dem, was Sie hier machen, streuen Sie den Menschen doch Sand in die Augen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss?

Karin Maag (CDU/CSU):

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Vorschläge, die im Moment auf dem Tisch liegen, sind jedenfalls nicht geeignet, eine Befriedung herbeizuführen. Meine Fraktion, meine Partei wird sich auf dem Parteitag im Dezember nochmals mit den Themen beschäftigen. Wir werden seriöse Lösungsmöglichkeiten erörtern und vorlegen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)