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Kai Whittaker: "Solidarität ist keine Einbahnstraße"

Rede zur sozialen Sicherheit in der Corona-Krise"

Herr Präsident! Werte Kollegen! Eigentlich wollte ich mit ein paar positiven Aspekten des Grünenantrags anfangen; aber nachdem der Kollege Lehmann hier schon eine solche Wahlkampfrede gehalten hat, muss ich sagen: Das ist ein bisschen früh für dieses Jahr, Herr Kollege. Das fängt schon damit an, dass Sie hier mit Wahlkampfsprüchen, mit Wahlkampfbegriffen um sich schmeißen, zum Beispiel mit dem Wort „Garantiesicherung“.

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es seit Jahren schon!)

Allein damit fängt es schon an. Sie suggerieren damit, die SGB-II-Leistung sei bisher so eine Art Lotterie, die mal sichert, mal nicht sichert – als ob wir einen unsicheren Sozialstaat in diesem Land hätten! Das weise ich mit aller Schärfe zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das SGB II ist das Netz, das alle Menschen in diesem Land in der Krise auffängt.

Sie bemängeln in Ihrem Antrag – ich finde, zu Unrecht – auch eine sogenannte Zweiklassensystematik in Hartz IV. Die Regelung haben wir aufgrund der Coronakrise eingeführt, damit Selbstständige, wenn sie ihr Betriebsvermögen einsetzen, weil sie zurzeit nicht arbeiten können, den Betrieb nicht verkaufen müssen und hinterher auch noch einen Betrieb haben, mit dem sie wirtschaftlich tätig sein können. Jetzt, hinterher, festzustellen, dass das eine Zweiklassensystematik ist, ist infam, Herr Kollege.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sage auch ganz offen: Ich war erschüttert, als ich in Ihrem Antrag gelesen habe, dass Sie sagen: Wenn jetzt erst der Partner aufkommen muss, bevor man Hartz IV beziehen kann, dann ist man quasi ein Anhängsel seines Ehemanns oder seiner Ehefrau.

(Widerspruch des Abg. Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie reden hier immer von gemeinschaftlicher Verantwortung und von Solidarität in unserer Gesellschaft, aber mit solchen Worten zerstören Sie die wichtigste gesellschaftliche Solidargemeinschaft in unserem Land, nämlich die Familie. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie reden in Ihrem Antrag von Stigmatisierung über SGB II, und ich stelle fest: Wir stigmatisieren niemanden, egal ob er Multimillionär oder SGB-II-Empfänger ist. Die Einzigen, die das tun, sind Sie.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen?

 

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Herzlich gerne.

 

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Kollege Whittaker, ich möchte Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen wollen, dass wir in dem Antrag „Garantiesicherung“ zu dem Thema Bedarfsgemeinschaften ausformuliert haben, dass wir insbesondere die Bedarfsgemeinschaften bei unverheirateten Paaren als Problem sehen. Sie profitieren nämlich nicht von steuerlichen Vorteilen, wie zum Beispiel vom Ehegattensplitting. Da ist das Beispiel von meinem Kollegen Sven Lehmann sehr lebensnah gewesen: eine unverheiratete Krankenschwester in Partnerschaft mit einem Künstler, in der das Gehalt dieser Frau noch mit dem Hartz-IV-Anspruch des nicht mehr arbeiten dürfenden Künstlers verrechnet wird.

Wir haben in diesem Antrag bewusst gesagt: Wenn wir perspektivisch die Individualisierung auch auf Ehen beziehen wollen, dann ist das ganz grundsätzlich nur denkbar mit einer größeren Reform, die dann auch das Ehegattensplitting mit betreffen würde. Dass Sie zum Thema Ehe sich ein bisschen anders positionieren, ist das eine. Aber ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir mit der Garantiesicherung insbesondere bei den wirklich sehr ungerechten Regelungen ansetzen, die unverheiratete Paare betreffen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen, und ob Sie glauben, dass das einen Unterschied macht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Frau Kollegin, ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir offensichtlich zwei völlig unterschiedliche Ansichten dessen haben, was wir als die kleinste Einheit in diesem Land verstehen. Sie möchten eine Individualisierung bei Leistungen des Sozialstaates; wir glauben an die Kraft der Verantwortungsgemeinschaft in der Familie, egal ob mit oder ohne Trauschein.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb wollen wir diese Verantwortungsgemeinschaft nicht zerstören – im Gegensatz zu Ihnen, die Sie jede Leistung individualisieren wollen. Wir glauben, dass das nicht der richtige Weg ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Außerdem haben Sie in Ihrem Antrag nicht explizit dargestellt, dass dies für Ehepartner nicht gelten soll; also insofern sind Sie da nicht sauber.

Sie sind in Ihrem Antrag auch weiterhin nicht sauber, wenn Sie zum Beispiel – ich finde es etwas seltsam, dass es drinsteht – auf einen zu erhöhenden Mindestlohn verweisen. Sie fordern 12 Euro die Stunde. Das finde ich deshalb sehr interessant, weil es Ihre Fraktion war, die, als wir hier über den Mindestlohn gesprochen und diskutiert haben, darauf bestanden hat, dass es eine Kommission geben soll, die jenseits der politischen Einflusssphäre, jenseits dieses Parlaments steht und mit den Tarifpartnern zusammen entscheidet, wie der Mindestlohn ausgestaltet werden soll.

Heute machen Sie eine Kehrtwende und verlangen 12 Euro die Stunde, ohne es zu begründen. Ich vermute, Sie wollen damit Armut aufgrund von Armutslöhnen bekämpfen. Aber wenn Sie das wirklich wollen, dann müssten Sie eigentlich so konsequent sein wie die Linken und sagen: Dann machen wir es an 60 Prozent des durchschnittlichen Lohnes in Deutschland fest. Nur: Dann bräuchten wir keine Mindestlohnkommission mehr, und genau das lehnen wir als Unionsfraktion ebenfalls ab.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu guter Letzt. Mit Ihrer Politik vergessen Sie schlicht und ergreifend die gesellschaftliche Mitte in diesem Land. Sie schreiben in Ihrem Antrag sehr deutlich, dass Sie in Zukunft die SGB-II-Leistungssätze am Konsumverhalten der Mitte der Gesellschaft orientieren wollen. Das heißt übersetzt nichts anderes, als dass knapp die Hälfte, nämlich die untere Hälfte, die, die unter dem Durchschnitt liegt, in Zukunft diese SGB-II-Leistungen, Ihre Garantiesicherung, beziehen soll. Wir wollen nicht, dass die Hälfte in diesem Sozialstaat Leistungsbezieher ist, sondern wir wollen, dass die Menschen in Arbeit sind und ihr eigenes Geld verdienen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Methodisch nacharbeiten!)

Ich war ebenfalls entsetzt, als ich gelesen habe – das haben Sie schön mit den Worten verbrämt: wir wollen Bürokratie abbauen und Vereinfachungen haben –: Na ja, in Zukunft soll der Antragsteller einfach angeben, er hat kein Vermögen und er hat dies nicht und er hat das nicht, und wir prüfen das nicht weiter.

Ich meine, so kann man natürlich auch Bürokratie abbauen, indem man einfach zwei Augen zudrückt. Aber ich bin mal gespannt, wenn wir das bei den Finanzämtern machen und nicht nachprüfen würden, ob das, was in den Steuererklärungen drinsteht, auch wirklich stimmt: Dann kämen wir nicht mehr sehr weit mit unserem Staat.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage mich ernsthaft, wen Sie da eigentlich schützen wollen. Wissen Sie, Sie verschließen ein bisschen die Augen vor der Realität. Es gibt Sozialleistungsmissbrauch.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine ganz schwache Rede! Ganz schwach!)

Es gibt kriminelle Banden, die auch SGB-II-Betrug machen. Ich finde, mit Ihrem Antrag schützen Sie niemanden: weder die Steuerzahler, die arbeiten und einzahlen, noch die Leistungsbezieher, die SGB II brauchen, wenig Geld zur Verfügung haben und dann noch wegen dieser kriminellen Banden schlechtgemacht werden.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schwache Rede! Sehr schwach!)

Deshalb können wir diesem Antrag nicht zustimmen.

Wissen Sie, ich hätte es ja verstanden, wenn Sie wenigstens gesagt hätten: Auf der anderen Seite fordern wir drakonischere Strafen, wenn man Sozialbetrug macht.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schwach!)

Aber selbst das fehlt in Ihrem Antrag, und deshalb können wir dem so nicht zustimmen.

Zu guter Letzt fordern Sie – altes Lied –, die Sanktionen abzuschaffen. Auch das, glaube ich, zerstört die Solidargemeinschaft.

(Beifall der Abg. Dr. Astrid Mannes [CDU/CSU])

Übrigens ist es fachlich falsch – es ist fachlich falsch –: Der Chef der BA fordert das explizit nicht. Im Gegenteil: Er möchte nach wie vor Sanktionen.

Ich glaube, es zerstört die Solidargemeinschaft in diesem Land deshalb, weil klar ist: Solidarität ist keine Einbahnstraße, sondern sie funktioniert nur im Austausch miteinander. Wenn ich als Steuerzahler für einen Sozialstaat einzahle, dann muss ich auch erwarten, dass diejenigen, die in der Sozialhilfe sind, alles dafür tun, so schnell wie möglich wieder aus ihr herauszukommen.

(Beifall der Abg. Dr. Astrid Mannes [CDU/CSU] – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deshalb kann ich Ihnen nur zurufen: Die einzige Garantiesicherung, die es in diesem Land gibt, die beste Garantiesicherung, die es in diesem Land gibt, ist Arbeit. SGB II bzw. Hartz IV ist eine Erfolgsgeschichte. Wir haben die Arbeitslosigkeit seit 2005, seit wir die Regierung von Ihnen übernommen haben, halbiert. Wir haben die Langzeitarbeitslosigkeit mehr als halbiert. Wir haben die geringste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa.

Deshalb müssen wir mehr in dieser Richtung tun: digitalisieren, vereinfachen. Wir müssen gucken, dass wir die Hinzuverdienstregeln verbessern. Leistung muss sich lohnen. Und: Wir brauchen eine bessere Betreuung, damit wir die Menschen in die Arbeitswelt führen können. Das ist unsere Aufgabe.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)