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Kai Whittaker: "Sanktionen sind mit der Verfassung vereinbar"

Rede zu Soziale Garantien

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Mit Blick auf den Blutdruck des geschätzten Kollegen Birkwald versuche ich jetzt, das Wort „bedingungsloses Grundeinkommen“ nicht weiter in den Mund zu nehmen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehr gut!)

Werte Kollegen, ich glaube, in der Debatte ist deutlich geworden, dass Grüne und Linke das Urteil für ihre politischen Zwecke missbrauchen.

(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Frau Kipping, Sie stellen sich hier an dieses Rednerpult und sagen: Sanktionen sind menschenunwürdig. – Damit suggerieren Sie, dass sie verfassungswidrig sind.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Nein, nein, nein, nein!)

Genau das ist etwas, was das Urteil nicht festgestellt hat. Vielmehr sind Sanktionen mit der Verfassung vereinbar.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Bundesverfassungsgericht hat auch ganz klar gesagt, dass man die Regelungen im Sinne des Nachranggrundsatzes ausgestalten kann.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann, nicht muss!)

Das heißt, dass jeder das tun muss, was er tun kann, damit er aus der Hilfe herauskommt.

Frau Kipping, Sie haben vorhin die Randnummer 124 aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zitiert. Genau die habe ich mir auch aufgeschrieben.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Sehr schön!)

Sie haben den zweiten Satz unterschlagen. Er lautet – ich zitiere –:

Eine daran

– also an die Sanktionen -

anknüpfende Schonung der begrenzten finanziellen Ressourcen des Staates sichert diesem künftige Gestaltungsmacht gerade auch zur Verwirklichung des sozialen Staatsziels.

Das heißt mit anderen Worten: Nicht nur, dass sich die große Gemeinschaft um den Einzelnen kümmern muss und der Einzelne alles zu tun hat, um sich um das große Ganze zu kümmern, sondern auch: Er muss es auch tun. Wir müssen die Sanktionen verhängen. Wenn wir es nicht machen, untergraben wir den Sozialstaat in der Zukunft.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt das Bundesverfassungsgericht explizit nicht!)

Herr Lehmann, genau deswegen ist es kein Spaltpilz, wenn wir auf den Sanktionen bestehen. Es ist ein Spaltpilz, wenn Sie sie abschaffen wollen.

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber auch nicht im Urteil!)

Das treibt den Spaltpilz in die Gesellschaft hinein, Herr Lehmann.

Man muss auch ganz klar sagen: Es ist für Sie natürlich auch ein bisschen einfach, wenn Sie sagen: Die Sanktionen sind menschenunwürdig und müssen deshalb abgeschafft werden. – Wenn Sie suggerieren, dass die Sanktionen verfassungswidrig sind, dann heißt das, dass es keine andere Option gibt, als sie abzuschaffen. Damit entziehen Sie sich einer Erklärung gegenüber dem Steuerzahler, warum Sie diese eigentlich politische Forderung tatsächlich wollen.

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist eine politische Forderung!)

Sie wissen, dass das eine sehr schwere Forderung ist, weil die absolute Mehrheit der Bürger in diesem Land – und das konsequent schon seit Jahren – für Sanktionen ist.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mittlerweile ist die Hälfte der Bevölkerung für ein bedingungsloses Grundeinkommen!)

Eine absolute Mehrheit – gerade heute war dazu wieder eine Umfrage in den Zeitungen –, 53 Prozent, ist dagegen, Sanktionen abzuschaffen. – Sie wollen Politik gegen den gesunden Menschenverstand machen.

(Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Das ist natürlich deutlich schwieriger, als sich einfach hierhinzustellen und zu sagen, das habe das Verfassungsgericht mehr oder weniger so suggeriert.

Sie machen es sich auch deshalb leichter – auch das kam schon zur Sprache –, weil gerade einmal jeder elfte Hartz-IV-Empfänger im Laufe eines Jahres wirklich sanktioniert wird. Jeder Elfte! Sie schreiben in Ihrem Antrag: Das sind über 400 000 Menschen. – Das ist richtig, das sind viele Menschen. Aber das heißt im Umkehrschluss, dass 3,6 Millionen Menschen nicht sanktioniert werden.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Und die Familienangehörigen?)

Für die machen Sie hier in diesem Plenum gar keine Politik. Seit Jahr und Tag reden wir immer nur darüber, Sanktionen abzuschaffen oder abzumildern. Aber ich habe von Ihnen noch keinen substanziellen Vorschlag dazu vernommen, wie Sie diese 3,6 Millionen Menschen aus der Arbeitslosigkeit in die Arbeit bringen wollen. Das muss im Vordergrund stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir glauben, dass wir einen neuen sogenannten ABC-Ansatz brauchen.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Whittaker, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Birkwald? Ich mache auch gleich darauf aufmerksam: Das ist dann die letzte, die ich hier zulasse.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Er hat doch noch gar keine gestellt!)

 

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Ich gestatte die Zwischenfrage gerne.

 

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! – Vielen Dank, lieber Kollege Whittaker, dass die Zwischenfrage zugelassen wird.

Erstens. Mit unserem Antrag in der vergangenen Sitzungswoche haben wir sehr wohl Vorschläge gemacht, wie man Erwerbslose besser in Arbeit bekommt. Zweitens. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass jeder vierte Erwachsene mit Hartz IV sein Gehalt ergänzt, also sein mieses Einkommen, sein Niedriglohneinkommen notwendigerweise aufstocken muss, also morgens früh aufsteht und zur Arbeit geht, drittens, weitere 26 Prozent der Hartz-IV-Betroffenen sich in Arbeitsförderung oder Weiterbildung befinden und dass viertens insgesamt nur eine Minderheit derjenigen, die von Hartz IV betroffen sind, wirklich arbeitslos sind? Das sind nämlich nur 25 Prozent.

Alle anderen sind Kinder. Ich hoffe, dass wir uns hier im Hohen Hause alle einig sind, dass wir keine Kinderarbeit wollen. Alles andere sind ferner Menschen, die Leistungen aufstocken. Es sind auch Menschen dabei, die krank sind. Das heißt, wir haben einen hohen Anteil von SGB-II-Leistungsberechtigten, die sehr wohl arbeiten gehen und zeigen, dass sie Leistung erbringen wollen. Dazu zählen auch all diejenigen, die sich in einer Weiterbildung befinden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Die erste Bemerkung ist, dass in meinen Zahlen die Kinder nicht eingerechnet sind. Natürlich sind wir uns darin einig, dass Kinder auf dem Arbeitsmarkt nichts zu suchen haben. Das ist ganz klar.

Zweitens. Ja, auch unter den SGB-II-Empfängern sind sogenannte Aufstocker. Ob sie ihr mieses Gehalt, wie Sie sagen, aufstocken oder ob es schlicht und ergreifend am Stundenumfang liegt, den sie aus gesundheitlichen Gründen leisten können, sodass sie keine Vollzeitstelle haben, ist aus den Statistiken nicht eindeutig herauszulesen. Deshalb widerspreche ich Ihrer Interpretation in diesem Punkt.

Selbst wenn es so wäre, habe ich von Ihrer Fraktion auch noch keinen Vorschlag gehört, wie die Mitarbeiter in den Jobcentern in Zukunft solchen Menschen eine weitere Beratung zukommen lassen können, damit sie sich weiterbilden und in ihren Jobs aufsteigen können.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das steht doch im Antrag! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Steht in unserem Antrag drin!)

Das ist so im Aufstockerbereich nicht explizit vorgesehen. Die Jobcentermitarbeiter kümmern sich hauptsächlich um diejenigen, die gar keine Arbeit haben. Ich halte das durchaus für ein Problem. Aber von Ihrer Fraktion habe ich diesbezüglich nichts gehört.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Steht im Antrag drin!)

Sie haben letzte Woche lediglich den Antrag eingebracht, mit dem Sie sagen: Erst einmal bekommt jeder eine Art – jetzt sage ich es doch – bedingungsloses Grundeinkommen, aber mit irgendeiner Arbeit nebenher, die mit dem normalen Arbeitsleben nichts zu tun hat. – Ich empfinde es als keine menschenwürdige Arbeit, wenn man so tut, als ob Menschen arbeiten gehen könnten oder müssten. Vielmehr brauchen sie eine richtige Arbeit bei einem richtigen Unternehmen mit einem richtigen Arbeitsvertrag und einem richtigen Lohn. Das ist für mich eine erfolgreiche Vermittlung in den Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Deshalb bleibe ich dabei: Wir brauchen einen neuen ABC-Ansatz. Das Erste: Anreize setzen. Da stimme ich in der Sache mit der FDP überein. Leider haben Sie in Ihrem Antrag ausgerechnet den Verdienst der ersten 100 Euro, also den geringsten Hinzuverdienst, völlig unberührt gelassen. Dabei sehen da die Sachverständigen, also die Wirtschaftsweisen der Bundesregierung, den größten Handlungsbedarf. Da geht Ihr Antrag fehl.

Zweitens. Es braucht mehr Bildung. Auch da noch mal der Hinweis an das Ministerium: Wir müssen uns dem Thema „Fachbildung und Weiterbildung“ massiv zuwenden, weil das, was zurzeit in den Jobcentern läuft, nicht unbedingt das ist, was in einem Hochtechnologieland wie Deutschland unbedingt gebraucht wird.

Drittens – Frau Kollegin Tack, da bin ich sehr dankbar, das von Ihnen zu hören –: das Thema Chance. Es geht um mehr Zeit, mehr Personal. Denn das heißt es ja am Ende. Wir brauchen eine bessere und engere Beratung in den Jobcentern. Ich glaube, dass wir das nicht mit mehr Personal hinkriegen, sondern wir müssen Personal umschichten: von denjenigen, die Hartz IV ausrechnen, zu denjenigen, die die Arbeitslosen in Arbeit bringen. Wenn das die Erkenntnis auch bei der SPD ist, dann freue ich mich sehr auf die Reformen, die vor uns liegen, um dieses Problem zu lösen.

(Kerstin Tack [SPD]: Das war nicht unser Problem!)

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)