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Kai Whittaker: Für uns soll Arbeit der Normalzustand für einen erwachsenen Menschen sein

Redebeitrag zur Anpassung der Regelbedarfe nach dem SGB XII

Herr Präsident! Werte Kollegen! Mir ist es wichtig, zum Abschluss der Debatte eines zu betonen: Wir reden hier über ein sehr sensibles Thema. Es ist eine schwierige Entscheidung, zu bestimmen, wie viel Geld für das Existenzminimum reicht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nehmt doch einfach die Armutsgrenze!)

Es ist deshalb eine schwierige Entscheidung, weil wir über die Angemessenheit debattieren müssen. Wir müssen abwägen, wir müssen Werteentscheidungen treffen und dürfen eben nicht kleinrechnen, Frau Kipping, wie Sie das gesagt haben.

(Zuruf von der LINKEN: Natürlich! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Seid doch mal großzügig!)

Und es ist schwierig, auch menschlich gesehen, weil wir alle miteinander, die wir hier sitzen, Spitzenverdiener sind. Als Spitzenverdiener entscheiden wir darüber, mit wie viel Geld die wirtschaftlich Schwächsten in unserem Land auskommen müssen. Das ist eine demokratische Herausforderung. Der stellen wir uns in dieser öffentlichen Debatte, und das ist auch gut so.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Umso mehr enttäuscht der Antrag der FDP, weil Sie sich dieser Aufgabe entziehen. In Ihrem Antrag gibt es viele gute Punkte zur Reform des SGB II. Einiges davon hätten wir sicherlich auch umsetzen können, wenn Sie 2017 nicht kalte Füße bekommen hätten.

(Dr. Florian Toncar [FDP]: Alles und noch viel mehr!)

Aber was mich wirklich ärgert, Herr Kober, ist, dass Sie sich bei dieser Debatte mit gerade mal einem Halbsatz dazu äußern, ob Sie die Höhe von Hartz IV richtig finden und warum Sie sie richtig finden. Da hätte ich schon etwas mehr von Ihnen erwartet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte die grundlegenden Abwägungsprozesse darlegen und auch sagen, wo hier der Unterschied in diesem Haus liegt. Wir streiten darüber, was die richtige Methode ist. Wir bekommen, insbesondere von der Linken, auch heute wieder den Vorwurf zu hören, dass wir den ärmsten Menschen das Geld nicht gönnen; gleichzeitig betonen Sie, dass Sie gerne für mehr Geld kämpfen. Ich glaube, dass es genau umgekehrt ist: Sie machen eine sehr kühle Berechnung über eine statistische Größe, nämlich das Mittlere Einkommen, und berechnen davon ausgehend die Armutsschwelle. Das interessiert Sie, alles andere nicht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, wir gehen von den untersten 20 Prozent aus!)

Wir hingegen gucken mit unserer EVS ganz genau hin, wie die Menschen ihr Geld ausgeben, für was sie es ausgeben und wie sie konsumieren. Wir schauen hin, wie die Lebenswirklichkeit in diesem Land ist, meine Damen und Herren.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Whittaker, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping, Fraktion Die Linke?

 

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Gern. Ich verspreche auch, dass ich die Redezeit nicht verdreifache.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Das würde ich jetzt nicht so einfach behaupten. Sie wissen ja gar nicht, was Frau Kipping fragen will.

 

Katja Kipping (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Whittaker, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade eine Unterstellung gemacht, wie wir auf unseren Regelsatz in Höhe von 658 Euro gekommen sind.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Über den Daumen gepeilt!)

Ich wollte Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir Folgendes getan haben: Wir haben beim Statistischen Bundesamt die Daten für die untersten 20 Prozent der Einkommenshierarchie abgefragt. Wir haben uns dann entschieden, keine Abschläge vorzunehmen. Man muss sich entscheiden: Entweder man legt ein Warenkorbmodell mit den entsprechenden Vorgaben zugrunde, oder man sagt: Wir gehen wirklich nur vom Ausgabeverhalten der Ärmsten aus. Das ist unsere Herangehensweise gewesen, ein klares und sauberes Verfahren.

Wenn man die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für die unteren 20 Prozent heranzieht, dann kommt man auf diese Summe. Man hätte auch andere Größen zugrunde legen können. Wir haben nur Aufstockende mit einem Einkommen von maximal 100 Euro rausgenommen.

Fachlich hätten wir ganz andere Summen begründen können,

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das glaube ich!)

aber wir haben uns in Abwägung der Finanzierbarkeit und der Zahlen, die das Statistische Bundesamt liefert, bewusst für die 658 Euro entschieden. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

(Beifall bei der LINKEN)

 

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Frau Kipping, ich habe mit keinem einzigen Wort kritisiert, dass Sie falsche oder inkorrekte Zahlen benutzt haben, sondern ich habe schlicht und ergreifend die Art und Weise kritisiert, wie Sie dann weiterrechnen und welche Werteabwägungen Sie treffen. Hier liegt der Unterschied zwischen Linke und Union.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir nehmen gar nichts vor! Ihr macht die Abwägung! – Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Abwägung macht die Bundesregierung!)

Genau das ist der Punkt, den ich versucht habe deutlich zu machen. Im Verlauf meiner Rede werde ich noch zwei weitere Punkte aufgreifen, um Ihnen das zu verdeutlichen.

(Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Das ist eine ganz schwammige Rede!)

Der zweite Streitpunkt ist, in welchem Umfang wir Leistungen zukünftig weiter erhöhen. Wir haben in der EVS vereinbart, dass jedes Jahr anhand eines Mixes aus Preissteigerungen und der Lohnentwicklung die Hartz-IV-Sätze steigen. Damit nehmen wir nicht nur die SGB-II-Leistungsempfänger in den Blick, sondern wir gucken uns auch und gerade die Gering- und Mittelverdiener an, die wir ebenfalls nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Ich möchte nämlich nicht, dass, weil die Hartz‑IV-Sätze sehr schnell steigen, die Gering- und Mittelverdiener quasi durch die Hintertür als Aufstocker in Hartz IV fallen;

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dafür kann man dann den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro anheben!)

denn das würde Arbeit entwerten, und dem werden wir uns als Union entgegenstellen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Pappkameraden!)

Der dritte Streitpunkt ist, wozu eigentlich das SGB II da ist. Hier besteht der vielleicht wesentlichste Unterschied zwischen uns: Für uns als Christdemokraten ist Arbeit mehr als nur Broterwerb. Aus der Arbeit bezieht der Mensch seine Würde und seine Selbstentfaltung.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist von Karl Marx!)

Für uns soll Arbeit der Normalzustand für einen erwachsenen Menschen sein, nicht die Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit soll und muss immer die Ausnahme bleiben. Wenn aber dieser Ausnahmefall eintritt, ist es die Pflicht der Gesellschaft, hier einzustehen und über diese Situation mit einer Brücke hinwegzuhelfen. Wir haben im SGB II alles auf das Ziel ausgerichtet, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen, damit sie über diese Brücke kommen. Sie wollen, dass es keinen Unterschied in der Lebensführung macht, ob man arbeitet oder eben nicht arbeitet.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir wollen höhere Löhne!)

Ich finde das unfair gegenüber jedem, der Arbeit hat, und übrigens auch gegenüber jedem, der sich aus Arbeitslosigkeit hart herausgearbeitet hat. Dadurch entwerten Sie Arbeit wirtschaftlich und damit auch menschlich. Das ist der Unterschied: Sie von der Linken wollen Arbeitslosigkeit verwalten, wir wollen Jobs gestalten in unserem Land. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bei 7 Millionen Betroffenen? Das funktioniert vorne und hinten nicht!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Whittaker, ganz kleinen Moment, bitte. – Ich würde den Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, der gerade mit seinem Handy beschäftigt ist, bitten, die Maske aufzusetzen. Noch ist das ein freundlicher Hinweis. Das wird demnächst mit einem Ordnungsruf versehen.

Herr Kollege Whittaker, ich habe die Zeit angehalten. Sie haben weiter das Wort. Entschuldigung.

 

Kai Whittaker (CDU/CSU):

Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte zum Schluss kommen und einen Ausblick darauf geben, was wir jetzt eigentlich noch leisten müssen. Wenn man wirklich gegen Armut arbeiten möchte, wenn man Armut wirklich nachhaltig und auf Dauer bekämpfen möchte, dann ist das beste Mittel dafür Jobs. Deshalb sind wir gut beraten, in diesem Haus kluge Wirtschaftspolitik zu machen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Falsch! Prekäre Arbeit bringt dafür gar nichts!)

Wir sind auch gut beraten, Arbeitgeber nicht als Gegner der Politik zu begreifen, sondern als Partner, wenn wir Vollbeschäftigung in diesem Land erreichen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist unsere Aufgabe hier im Deutschen Bundestag, damit wir nämlich diese Jobs überhaupt haben, damit wir Arbeitslose dahin vermitteln können und ihnen eine neue Lebensperspektive eröffnen können.

Wir müssen uns auch darüber unterhalten, ob die Jobcenter dazu in der Lage sind; da habe ich in der Tat auch meine Zweifel. Sie machen gute Arbeit, aber sie könnte besser sein, weil zu viele Menschen notwendig sind, um komplizierte Leistungssätze auszurechnen, damit am Ende des Monats das richtige Gehalt auf dem Konto ist. Das ist komplizierte Bürokratie. Wir brauchen mehr Pauschalierung bei den Leistungen, damit mehr individuelle Beratung möglich ist, damit die Menschen wieder in Arbeit vermittelt werden können.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie doch unserem Antrag zu! Das ist alles in unserem Antrag drin!)

Das ist der Unterschied.

Da haben wir übrigens auch einen kleinen Dissens mit den Sozialdemokraten. Ich würde mir, ehrlich gesagt, wünschen, dass wir uns auf das verständigen, was wir auch beim Teilhabechancengesetz gemacht haben, nämlich durch Coaching die Arbeitsvermittlung zu verbessern. Nirgends haben wir so gute Erfolge wie mit dem Teilhabechancengesetz. Das zeigt, dass es geht. Deshalb appelliere ich auch an die SPD, sich zu bewegen und endlich bei den Pauschalierungen im Leistungsrecht voranzukommen, damit wir Menschen in diesem Land eine Perspektive geben können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)