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Frank Heinrich (Chemnitz): Es sollen valide Informationen als Grundlage beschafft werden

Rede zur Einführung einer Wohnungslosenberichterstattung

Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen ! Vor 28 Jahren hat ein ehemaliger Kollege von uns seine juristische Doktorarbeit geschrieben mit dem Titel: „Bürger ohne Obdach: zwischen Pflicht zur Unterkunft und Recht auf Wohnraum. Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit“. Dr. Walter Steinmeier, unser heutiger Bundespräsident.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Er hat sich darin mit den strukturellen Notwendigkeiten beschäftigt. Ich habe ihn dann vor dreieinhalb Jahren einmal gefragt: Hat sich denn in der Betrachtung inzwischen etwas geändert? – Er hat den Kopf geschüttelt. Wahrscheinlich würde auch er sich freuen – ich hatte nicht die Gelegenheit, ihn zu fragen –, wenn wir jetzt ein bisschen tiefer graben.

Er selber ist noch als Außenminister hin und wieder mit dem Kältebus der Stadtmission unter den Brücken unterwegs gewesen. Ich habe das früher beruflich gemacht, erst als Sozialarbeiter, später in der Heilsarmee, Kaffee und Tee in den kältesten Nächten verteilt, Menschen zu Weihnachten eingeladen, am Heiligabend, an dem man sich ganz besonders alleine fühlt. Man merkt auf einmal: Das sind mehr, als man – selbst mit beruflichem Hintergrund – dachte. Deshalb geht mein Dank auch an die Einrichtungen, die in diesem Bereich arbeiten.

Ich bin dankbar, dass der Armuts- und Reichtumsbericht sich jetzt mit dem Thema der Wohnungslosigkeit verstärkt beschäftigt hat. Aber die Einschätzungen gehen – wir haben das gerade von Frau Kolbe gehört – gehörig auseinander. Wer ist betroffen? Welche Größenordnung hat das Problem? Es gibt keine belastbaren Zahlen auf Bundesebene. Das gilt auch für die meisten Bundesländer; nur drei haben eine kleine Zählung und Statistik begonnen. Der Armuts- und Reichtumsbericht basiert in diesem Bereich auf reinen Schätzungen. Wenn wir jetzt in das Dunkel hineinleuchten, bringt uns das vielleicht zum Handeln. So sieht es auch der Gesetzentwurf vor.

Auf meinem kurzen Heimweg vom Bundestag zu meiner Wohnung komme ich immer an drei oder vier Schlafplätzen Wohnungsloser vorbei. Ein kleiner Umweg, den ich hin und wieder gehe, führt mich noch einmal an vier oder fünf Schlafplätzen vorbei. Die Wohnungslosen müssen wahrgenommen werden. Wir sind für sie mitverantwortlich, wie es mein Vorredner gesagt hat. Mir ist es wichtig, da Licht ins Dunkel zu bringen. Es braucht möglicherweise strukturelle Veränderungen, aber ohne eine fundierte Datenlage werden wir dem nicht gerecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Martin Hebner [AfD])

Deshalb freue ich mich über den vorliegenden Gesetzentwurf. Es sollen valide Informationen als Grundlage beschafft, die Wissensbasis im Bereich von Wohnungslosigkeit vergrößert werden. Ich wünsche mir allerdings, dass wir noch mehr, als in diesem Entwurf steht, herausholen. Die Statistik ist sehr eingeschränkt. Es gibt drei oder vier Bereiche, über die wir tatsächlich noch nicht wissen, wie wir überhaupt untersuchen sollen. Wie können wir Zahlen aus Heimen, Anstalten, Asylunterkünften und Frauenhäusern evaluieren? Auch Selbstzahler in Billigpensionen, die gerade genannten Couch-Surfer oder Leute, die tatsächlich unter Brücken leben, müssten wir erfassen. Da müssen wir noch tiefer graben, und wir haben unter den Koalitionspartnern verabredet, dass wir die ergänzende Berichterstattung – § 8 dieses Gesetzentwurfes – noch präzisieren. Das freut mich.

Ich möchte zum Abschluss auf die „Nacht der Solidarität“ hinweisen und diese ausdrücklich würdigen. In der Nacht vom 29. auf den 30. Januar, also in anderthalb Monaten, werden 3 700 Freiwillige jede Straße in Berlin ablaufen und Obdachlose zählen. Sie werden nicht alle finden. Wer mag, kann dann ein paar Angaben über sich machen. Wer nicht mag, wird einfach nur gezählt. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis. Ich wünsche mir sogar, dass so eine Erhebung auf Bundesebene noch mehr Städte durchführen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])

und zwar nicht, um den Einzelnen zu outen, sondern zur Sichtbarmachung, möglicherweise auch zur Alertisierung und Sensibilisierung, um dann vielleicht die eine oder andere Zahl auch nutzen zu können.

Diese Woche hat der NABU – das hat mich ein bisschen schockiert – dazu aufgefordert, die Vögel in unserem Umfeld zu zählen, um daraus möglicherweise politische Ableitungen zu ziehen. Lasst uns doch gemeinsam einen Weg finden, diese Aufmerksamkeit auch wohnungslosen Menschen in Deutschland zuteilwerden zu lassen, um daraus dann, wenn nötig, konkrete Schritte ableiten zu können.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)