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Frank Heinrich: "Arbeitslosigkeit bekämpfen, wenn man Armut im Alter bekämpfen will"

Rede zur Aktuelle Stunde zur Bekämpfung von Altersarmut

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf gewisse Weise sind die Tafeln ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Sie auf dieser Seite sprachen hauptsächlich über einen Aspekt, und von der anderen Seite habe ich etwas anderes gehört. Aber wenn wir in den Spiegel schauen, dann sehen wir zum einen gewisse Unwuchten in unserer Gesellschaft, die von einem Ihrer Kollegen bis hin zur Menschenrechtsverletzung bezeichnet wurden. Dagegen bin ich als Menschenrechtspolitiker ein bisschen allergisch.

Zweitens sehen wir im Spiegel ein großes Engagement auf der Seite derer, die sich einsetzen. 60 000 Menschen, x Firmen – auch das macht unsere Gesellschaft aus.

Drittens sehen wir sogar – zumindest in den letzten Jahren – eine ökologische Facette des Ganzen; denn die Lebensmittel landen nicht im Müll.

Beim Thema Tafeln hätte ich mich als Redner beworben, wenn ich nicht vorgeschlagen worden wäre. Ich selber habe zwei Tafeln gegründet. In dem Thema bin ich zu Hause. Ich habe mehrere Jahre jede Woche ein bis zwei Tafeln besucht. Die Erlebnisse, die ich gemacht habe, der Blick in die Augen, in die ich gesehen habe – einerseits die dankbaren, andererseits die der begeisterten Helfer –, das Engagement, die Zeit, das Geld, die Umstände, die man dabei hatte, sind unglaublich. Im Übrigen – das ist mir wichtig –: Die Gründung der Tafeln, die ich zu verantworten hatte, wie auch die der anderen Tafeln entstand in erster Linie aus dem Überfluss unserer Gesellschaft und aus dem Ausgleich, der innerhalb der Gesellschaft möglich gemacht werden konnte. Eine sinnvolle Verbindung von Überfluss und Mangel – geile Idee! Als Ansatz für eine Mangelbekämpfung und natürlich eine Armutsbekämpfung fand die erste Gründung in Berlin statt. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, war das 1993. Sie entstand aufgrund von Obdachlosigkeit. Es war eine Suppenküche, ein Gegenentwurf zu den Nebenwirkungen von Armut. Da haben Sie, Herr Kapschack, vollkommen recht. Es ist eine Art Ausgrenzung. Es entsteht Einsamkeit. Dann gab es ein Gemeinschaftserlebnis. Das passiert nicht nur in den Läden und im Schlangestehen, sondern auch in der Gemeinschaft, die hervorgerufen wurde. Über Jahre hinweg habe ich als Mitarbeiter gesehen, was passiert ist. Deshalb weiß ich, dass die Zahlen – 1,65 Millionen – nicht automatisch Rückschlüsse darauf zulassen, wie viel Armut ist und wie viel davon Armut im Alter ist. Hierfür gibt es viele andere Facetten.

Dann gab es den Unmut, warum der eine etwas bekommt und der andere nicht. Wir haben in diesem Jahr eine große mediale Debatte dazu geführt. Teilweise haben mir Spender gesagt: Aber denen dürft ihr nichts geben! Woher wisst ihr denn, dass die arm sind? – Ärger, Neid und Unklarheit darüber, wer überhaupt arm ist. Auf der anderen Seite heißt es: Ihr seid die Tafel, ihr müsst uns doch versorgen. – Diese Haltung wurde manchmal durch eine Suggerierung von Behörden sogar bestätigt. Auch ein Freund, der die Tafel weiter leitete, die ich damals verantwortete, bestätigte mir gestern Abend: Oft sind es Leute ohne deutschen Pass, die gesagt kriegen: Ja wenn es nicht reicht, dann geben wir Ihnen einen Tipp: Es gibt die Tafel. – Und die glaubten das und haben den Eindruck erweckt bekommen, dass sie ein Recht haben, dort versorgt zu werden – staatlich. Die Tafeln wollen nicht als offiziell soziale Leistung verstanden werden, und das sind sie auch nicht; natürlich sind sie eine soziale Leistung, aber on top. Sie sind ein zusätzliches strukturelles Angebot, worauf aber keiner einen Anspruch hat.

Unsere staatliche Aufgabe ist die Verhinderung von Armut. Die Tafeln entbinden uns nicht von der Daseinsvorsorgepflicht.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die Tafeln arbeiten nicht im öffentlichen Auftrag, obwohl es zu unserem gesamten Land dazugehört und ein schönes Bild in diesem Spiegel ist. Die Tafeln stellen sich der gesellschaftlichen Aufgabe und den negativen Folgen von Armut – das habe ich gerade genannt. Und das ist großartig.

Nun bekommen wir das Thema von Ihnen vorgesetzt. Was passiert dann? Soziale Einrichtungen sind ein Gradmesser für unsere Gesellschaft. Wir als Politik, als Koalition – ja, das wurde schon genannt, das muss ich nicht wer weiß wie ausführen – haben einiges getan: Die Grundrente ist eine große Anpassung. Es gibt die Geringverdienerförderung; mein Kollege Weiß hat es gesagt. Die Bundesregierung hat den Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Wir werden übermorgen darüber debattieren, ob die Erhebung einer Wohnungslosenstatistik – aus der Gruppe der Wohnungslosen werden sehr wahrscheinlich einige bei den Tafeln landen – sinnvoll ist, und möglicherweise werden wir neue Erkenntnisse für die Politik daraus ableiten.

Einiges ist an Erfolg zu verzeichnen, wir sind aber noch lange nicht am Ende. Ja, das muss man auch in dem Spiegel wahrnehmen. Aber – mein Kollege hat es vorhin gesagt – letztlich muss man natürlich die Arbeitslosigkeit bekämpfen, wenn man Armut im Alter bekämpfen will. Gut ausgebildete Personen sind in aller Regel dauerhaft vor sozialem Abstieg geschützt.

Letzter Gedanke – dritter Teil im Spiegel –: Es geht um mehr als um Geld oder um Armut oder um den Ausdruck von Reichtum in diesem Spiegel. Tafeln retten jährlich 265 000 Tonnen Lebensmittel, aber immer noch werden 18 Millionen Tonnen Lebensmittel vernichtet. Die Lebensmittelverschwendung zu halbieren und Potenzial beim Klimaschutz zu heben: Da ist eine Menge Schönes in dem Spiegel wahrzunehmen. Deshalb werden wir nicht den Teil ausixen, den Sie uns genannt haben.

Dazu könnte eine Neubewertung des Ehrenamts beitragen; in Sachsen tun wir das gerade.

Und ein letzter Gedanke. Vielleicht wäre es charmant, darüber nachzudenken, ab einer gewissen Stunden- plus Monats- plus Jahreszahl über einen Rentenpunkteanspruch für Menschen im Ehrenamt nachzudenken. Darüber würde ich mich freuen.

Danke sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU)