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Philipp Amthor: "Die 100er-Inzidenz soll das Kriterium für die Notbremse sein"

Alternative Maßnahmen zur Lockdown-Politik

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren über alternative Maßnahmen zur Lockdown-Politik. Zu diesen Alternativen trägt die AfD nichts bei. Aber ich will vor allem sagen: Was wir im Moment brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind nicht noch mehr Alternativen, sondern was wir brauchen, ist mehr Einheitlichkeit. Und das ist das, was wir liefern. Viele Bürger verstehen die Uneinheitlichkeit von Coronaregeln nicht mehr. Deswegen braucht der Bund eine stärkere Rolle, deswegen wollen wir vereinheitlichen. Das werden wir mit dem vierten Bevölkerungsschutzgesetz tun. Daran wird sich noch einiges verändern, aber das ist der richtige Problemschwerpunkt. So löst man konkret Probleme, nicht durch die Anträgchen, die Sie uns hier vorlegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber Sie machen auf ein schönes Phänomen aufmerksam. Wenn man sich nämlich die Beiträge der AfD zur Coronapolitik anschaut, dann erkennt man sehr schnell: Je komplexer die Probleme, desto kürzer Ihre Antworten. Fünf Zeilen Begründung – das ist mit Blick auf den Anspruch dieser Debatte eine Beleidigung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie überschreiben den Antrag mit „Alternative Maßnahmen zur Lockdown-Politik“, schlagen in Wahrheit aber gar keine Alternativen vor. Sie führen zwei schmale Vorschläge an: die Einrichtung einer unabhängigen Expertenkommission und die Aufforderung, dass der Bundestag seinen legislativen Verpflichtungen nachkommen solle. Beides sollten Sie sich aber lieber selbst ins Stammbuch schreiben, statt hier Dinge zu fordern, die so überhaupt nicht zusammenpassen.

Sie fordern eine Expertenkommission, und das im völligen Widerspruch zu Ihren Inhalten. Herr Brandner schwadroniert hier davon, dass man das Parlament stärken möchte, will dann aber in seinem Antrag die Verantwortung an eine Expertenkommission outsourcen. Lesen Sie doch wenigstens mal Ihre eigenen Anträge. Die sind kurz; die dürften selbst Sie verstehen, Herr Brandner.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es geht darum: Wenn wir schon über Expertenkommissionen reden, kann ich Sie nur auffordern, sich einmal mit den Experten zu beschäftigen. Wir machen das in der Bundestagsfraktion: Wir haben mit den Intensivmedizinern gesprochen. Wir sind als Abgeordnete – und das nicht nur in unserer Fraktion, sondern ganz übergreifend in diesem Hause – in unseren Wahlkreisen doch jeden Tag vor Ort. Wir reden mit den Verantwortlichen in den Gesundheitsämtern, wir reden mit den Verantwortlichen in den Krankenhäusern, und die zeichnen ein anderes Bild von der Realität, als Sie es mit den Coronaleugnern und Verschwörungstheoretikern auf Ihren Parteitagen zeichnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bild in der Realität der Pandemiebekämpfung ist im Moment ein Bild der Sorge. 20 500 Intensivbetten sind belegt, es gibt nur noch 3 300 freie Intensivbetten. Das, was droht, wenn wir jetzt nicht handeln, ist die Gefahr einer Triage, ist die Gefahr einer Auswahl, wer gerettet werden kann und wer sterben muss. Ihr schiefes Verständnis von Gesundheitsschutz muss man Ihnen anlasten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD. Das ist nicht das Verständnis unserer Verfassung und nicht das Verständnis dieses Hauses.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Besonders aberwitzig wird es dann – darauf ist ja hier schon eingegangen worden –, wenn Sie – und das ist der inhaltliche Kern Ihres Antrages – den Bundestag auffordern, seinen legislativen Pflichten nachzukommen. Ich weiß nicht, ob Sie das für sich schon abgeschrieben haben: Sie fordern damit quasi sich selbst auf, Sie sind Teil des Deutschen Bundestages.

(Timon Gremmels [SPD]: Leider!)

Sie brauchen hier keinen Aufforderungsbeschluss, sondern könnten ja selbst Initiativen vorlegen. Sie verhalten sich aber so wie der schlechte Schüler, der sich selbst und die Klasse auffordert, die Hausaufgaben zu erledigen, und am nächsten Tag feststellt, dass alle die Hausaufgaben gemacht haben, nur er selbst nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss doch hier darum gehen, dass Sie konkrete Vorschläge machen. Wir erledigen unsere Hausaufgaben. Wir wissen, dass es umstritten ist, womit wir uns im Moment auch beim Bevölkerungsschutzgesetz auseinandersetzen.

Vizepräsident in Petra Pau:

Kollege Amthor, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Dehm?

(Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU] blickt zur AfD-Fraktion – Gegenruf des Abg. Stephan Brandner [AfD]: Andere Seite!)

 

Philipp Amthor (CDU/CSU):

Ja, überraschend, aber, Herr Dehm, gerne.

(Zuruf von der AfD: Ganz links außen! – Zuruf: Der ist genauso narrisch! Keine Sorge!)

– Ja, ja, das ist ja manchmal übergreifend.

 

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Herzlichen Dank. Dann ist mir die Überraschung auch gelungen.

Zwei Fragen. – Erste Frage: Kennen Sie das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages? Das ist jetzt drei Tage alt. Ich habe das in Auftrag gegeben, und Sie können es bei „Telepolis“, falls Sie es nicht kennen, nachlesen, nämlich dass die Inzidenzen so, wie sie aufgestellt sind, als Kategorien zu pauschal sind und nicht wirklich zielgenaues Pandemiebekämpfen möglich machen.

Die zweite Frage. Sie haben ja etwas von dem Maskenskandal mitbekommen. Glauben Sie nicht auch, dass Lobbytätigkeit in dieser Krise und während der Bewältigung der Pandemie die Möglichkeit, Vertrauen zu gewinnen – und wir brauchen das Vertrauen sehr großer Teile der Bevölkerung –, erschüttert? Und was halten Sie generell davon, dass Lobbytätigkeit in diesem Zusammenhang, in der Pandemie, ganz besonders geahndet werden sollte, wenn dabei in der Not mit Masken hantiert wird?

 

Philipp Amthor (CDU/CSU):

Ja, Herr Dehm, fangen wir vielleicht mit dem letzten Thema an. Ich teile da Ihre Einschätzung; unsere Fraktion teilt die Einschätzung.

(Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Seit wann?)

Deswegen stellen wir uns auch an die Spitze der Bewegung,

(Lachen bei der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das glauben Sie doch selber nicht!)

beklagen das nicht nur, sondern haben das Lobbyregister auf den Weg gebracht, das Abgeordnetengesetz geändert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Und da sollten Sie nicht den Eindruck erwecken, als wenn hier irgendeiner das billigt, was wir dort erlebt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es gemacht, nicht nur gebilligt!)

Aber zu dem anderen Thema. Ich kenne das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes. Es kommt aber nicht zu dem pauschalen Schluss, dass der Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes verfassungswidrig wäre. Wir gehen auf diese Bedenken ein.

(Zuruf der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben noch am Freitag eine Anhörung dazu im Gesundheitsausschuss. Es wird auch Änderungen im parlamentarischen Verfahren geben.

Und Sie haben Recht: Die Inzidenz alleine ist für uns nicht das Kriterium bei der Pandemiebekämpfung. Sie ist nicht das alleinige Kriterium.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Es geht natürlich auch um solche Fragen: Wie kommen wir voran mit dem Impfen? – Manches geschieht noch zu langsam, aber mit großen Erfolgen. Es geht darum: Wie kommen wir voran beim Testen?

Und wir werden es nicht alleine von diesem Kriterium abhängig machen. Aber Gesetzgebung funktioniert so, dass sie nicht willkürlich sein kann, sondern dass wir ein operationables System von Kriterien entwickeln müssen. Und die Experten sagen uns, es müsste die 50er-Inzidenz sein. Wir finden das überwiegend zu engmaschig und sagen deswegen: Die 100er-Inzidenz soll das Kriterium für die Notbremse sein.

(Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

Das hat sich übrigens nicht der Bundestag ausgedacht, sondern die Ministerpräsidentenkonferenz. Danach können Sie sich ja vielleicht mal bei Herrn Ramelow erkundigen. Ich halte diesen Maßstab jedenfalls für vertretbar, und die Details werden wir hier im parlamentarischen Verfahren glattziehen. Das Gesetz, so wie wir es vorschlagen, ist verfassungsgemäß, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – Zuruf von der AfD: Da klatscht kaum Ihre eigene Fraktion!)

Aber es geht eben darum – die Linksfraktion schert jetzt aus; das ist klar, Wahlkampf gehört dazu –, wie wir es auch überwiegend sehen, dass sich alle konkret in die Pandemiebekämpfung einbringen. Das haben wir in der Ministerpräsidentenkonferenz erlebt, sehen aber, dass wir jetzt hier im Bundestag nachziehen müssen. Das ist richtigerweise der Ort der Debatte.

Und ich will in aller Klarheit sagen: Die AfD braucht uns nicht dazu auffordern, die Pandemiebekämpfung zum Thema des Parlaments zu machen. Wir kommen nämlich nicht nur den Aufforderungen nach, sondern tun es selbst mit unserer Politik. Das, was Sie hier beibringen, ist nur heiße Luft und sonst nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Uwe Witt [AfD])

Und lassen Sie mich zum Abschluss noch eines sagen: Wenn die AfD davon redet, die Pandemie sei herbeigetestet, dann ist das ungefähr so ein Logik- und Wirklichkeitsverständnis, als wenn man den Rechtsextremismus für ein herbeigeredetes Problem hält. Beides ist eine Gefahr für Deutschland, beides werden wir nicht billigen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Knaller – Zuruf von der AfD: Enthusiastischer Beifall!)