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Eckhardt Rehberg: Wir als Unionsfraktion wollen unser Budgetrecht behalten

Rede zur Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der aktuelle Schuldenstand des Bundes beträgt rund 1,2 Billionen Euro. Er ist in den letzten sieben Jahren nicht gewachsen. Wir haben einen Garantierahmen von über 1 Billion Euro auf den Weg gebracht, und wir haben 156 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen, wovon 100 Milliarden Euro getilgt werden müssen. So sieht es der Artikel 115 Grundgesetz vor. Das ist richtig gut angelegtes Geld für den Bereich Gesundheitsschutz, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Unternehmer und Selbstständige. Was mich an dieser Debatte heute etwas irritiert hat: Außer vonseiten der Union hat niemand darauf hingewiesen, dass wir auch die finanzpolitische Solidität in der Zukunft im Blick behalten sollten.

(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Nein, nein, nein! Wir auch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fand es sehr ehrlich, dass Jens Spahn gestern im Haushaltsausschuss darauf hingewiesen hat, dass die Rücklagen beim Gesundheitsfonds aufgebraucht sind. Ich würde mir diese Ehrlichkeit bei anderen Ministerinnen und Ministern auch wünschen. Es stellt sich doch die Frage: Wie lange reicht die Rücklage bei der Arbeitslosenversicherung, wie lange reichen die 26 Milliarden Euro? Wie lange reichen die 40 Milliarden Euro bei der Rente? Wie lange decken die Einnahmen bei der Pflege die Ausgaben? Gehen wir denn wirklich davon aus, dass wir in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren genau die Einnahmesituation haben werden wie im Jahr 2019, wie vor Corona, oder ist hier auch ein bisschen Innehalten, ein bisschen Solidität durchaus angebracht, liebe Kolleginnen und Kollegen?

Ich habe mittlerweile fünf Enkel, und ich habe hier an dieser Stelle immer gesagt: Ich bin stolz darauf, keine neuen Schulden zu machen. Ich sage an dieser Stelle aber auch: Ich möchte meinen Kindern und Enkeln nicht 1,5 Billionen oder 2 Billionen Euro Schulden vom Bund überlassen, auch mit Blick auf Europa. Europa lebt von der deutschen finanzpolitischen Solidität, davon, dass wir diese Garantien geben können und dass sich andere Staaten so günstig refinanzieren können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP])

Deswegen noch ein Wort zu Europa. Kollege Hofreiter, der Artikel 125 AEUV ist einschlägig, nicht der Artikel 122 Absatz 2. Und was für mich als Abgeordneter hier im Deutschen Bundestag noch einschlägiger ist, ist das Grundgesetz und sind die Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Ich sage Ihnen sehr klar und deutlich: Ich als gewählter deutscher Abgeordneter möchte ein uneingeschränktes Budgetrecht über den Bundeshaushalt haben und auch weiter behalten – uneingeschränkt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Da haben wir die Rückendeckung mehrerer Bundesverfassungsgerichtsurteile. Ich rate Ihnen dringend, sich einmal die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes der Bundestagsverwaltung zu diesem Thema durchzulesen; das mag nicht Ihre Auffassung sein. Ich sage nur: Wir als Unionsfraktion wollen unser Budgetrecht behalten und sehen uns hier auf dem Boden des Grundgesetzes.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Kollege Rehberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kindler?

 

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):

Ja klar, gerne.

 

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Kollege Rehberg, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen haben. – Wir haben über die Frage von sogenannten Coronabonds schon im Haushaltsausschuss geredet. Sie hatten dort die gleiche rechtliche Einschätzung gegeben, die Sie jetzt hier in der Rede gegeben haben. Ist Ihnen aber bekannt, dass die Frage nach einer gesamtschuldnerischen oder einer teilschuldnerischen Haftung einen Unterschied macht bei der Frage nach gemeinsamen europäischen Anleihen? Ist Ihnen auch bekannt, dass die Europäische Union schon heute gemeinsame Anleihen herausgibt?

Das hat mir die Bundesregierung auch beantwortet, und zwar – ich zitiere –:

Die Ausgabe von Anleihen für den EFSM, das „Balance of Payments (BoP)“-Programm und die Macro Financial Assistance (MFA) ist tatbestandlich eng begrenzt und basiert auf Rechtsakten mit entsprechender vertraglicher Grundlage.

Danach hatte ich die Bundesregierung gefragt; das sind gemeinsame europäische Anleihen.

Wir schlagen wie andere Länder einen großen Recovery Fund in Höhe von 1 Billion Euro vor und dann, gemeinsame europäische Anleihen zu begeben. Diese sind dann teilschuldnerisch, also begrenzt für den deutschen Bundeshaushalt, und rechtlich klar definiert nach den Vorgaben des Recovery Fund, die besagen, für welche Maßnahmen man sie ausgeben kann, zum Beispiel auch für Ausgaben, die im Zusammenhang mit dem Green Deal stehen. Das heißt, auch das erfüllt die Vorgaben des Verfassungsgerichts, und es erfüllt, wenn man es über Artikel 122 AEUV machen würde, auch die Vorgaben europäischer Verträge.

(Dr. Florian Toncar [FDP]: Wo ist die Frage?)

Man hätte gemeinsame Garantien der Mitgliedsländer, aber keine gemeinschaftliche Haftung – das ist richtig – wie bei Coronabonds.

Trotzdem kann man es regeln, dass man mit gemeinsamen Anleihen in sehr großen Volumina einen Wiederaufbau durch einen Recovery Fund finanziert.

Sind die Bundesregierung und die Unionsfraktion bereit, einen solchen Weg zu gehen, wie ihn andere Länder vorgeschlagen haben,

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Wie viel Redezeit hat er eigentlich? – Dr. Florian Toncar [FDP]: Keine Korreferate hier!)

um den Wiederaufbau in Europa und die Bewältigung dieser großen ökonomischen Krise in Europa jetzt auch gemeinsam solidarisch zu finanzieren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):

Herr Kollege Kindler, die Bundesregierung hat gezeigt – ich glaube, die Bundeskanzlerin wird das auch heute zeigen –, dass wir solidarisch sind. Wir haben ein Paket auf den Weg gebracht mit drei Säulen: 200 Milliarden Euro bei der EIB, 100 Milliarden Euro „Sure“-Kurzarbeitergeld und 240 Milliarden Euro über die ECCL des ESM. Hier, glaube ich, ist es eher angezeigt, dass wir als Deutscher Bundestag darauf drängen, dass die Europäische Kommission das umsetzt – denn schnelle Hilfe ist aktuell die beste Hilfe in der Krise –, und dass wir uns dann möglicherweise in die Debatte begeben, die Sie eben angerissen haben.

Aber ich widerspreche Ihnen ausdrücklich: Wenn wir uns über einen Wiederaufbaufonds unterhalten – das hat die Bundeskanzlerin deutlich gemacht –, dann sollte das im Rahmen der Gespräche über den EU-Haushalt sein. Nehmen wir nur mal das Thema Kohäsionsfonds: Warum muss ich einen Wiederaufbaufonds neu erfinden, wenn ich Strukturfonds habe?

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja, eben!)

Warum nutze ich nicht vorhandene Instrumente? Ich komme aus einem neuen Bundesland. Ohne die europäischen Strukturfonds sähe Mecklenburg-Vorpommern heute nicht so aus, wie es aussieht. Warum soll das in Italien, Spanien, Frankreich oder Griechenland nicht auch möglich sein, Kollege Kindler?

(Beifall bei der CDU/CSU und der Abg. Bettina Stark-Watzinger [FDP])

Insoweit: Wir brauchen aus meiner Sicht nicht monatelange, jahrelange Debatten über neue Instrumente, sondern schnelles Handeln ist richtiges Handeln, auch und für Europa.

Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)