Dr. Volker Ullrich: "Unser Staat gründet sich auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit"
Einführung der Direkten Demokratie auf Bundesebene
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage, ob unser Grundgesetz um Elemente der direkten Demokratie, also Volksentscheide und Volksbegehren, ergänzt werden soll, ist eine verfassungspolitische. Ausgangslage ist die Wertentscheidung des Grundgesetzes für eine repräsentative Demokratie. Das kommt nicht nur in Artikel 20 zum Ausdruck, sondern auch in Artikel 38, der besagt, dass die gewählten Abgeordneten weder an Weisungen noch an Aufträge gebunden sind. Das Grundgesetz hat deutlich gemacht, dass für komplexe Probleme die Frage von Ja und Nein bzw. die Zuspitzung in einer simplen Frage oftmals nicht der geeignete Weg ist.
Gleichwohl gibt es erfreuliche Vorkommnisse direkter Demokratie, gerade auf kommunaler und auf Länderebene. Aber ich meine, dass wir die Frage von Volksentscheiden und Volksbegehren auf Bundesebene vor dem Hintergrund auch historischer Erfahrungen und der Wertentscheidung unseres Grundgesetzes differenziert diskutieren sollten.
Was allerdings nicht geht, ist der Gesetzentwurf der AfD mit den darin geäußerten Zielen und Haltungen. Sie wollen in Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz folgende Vorschrift in das Grundgesetz einfügen – ich zitiere –: „Der geäußerte Wille des Volkes ist oberstes Gesetz“. In Artikel 62a Ihres Entwurfes wollen Sie noch mal vom Volkswillen sprechen. Ich finde diese Volkswillenrhetorik sehr befremdlich. Der Volkswille ist eben nicht die höchste Orientierung in unserem Staat, sondern das ist die Menschenwürde. Sie ist unverletzlich, unveräußerlich, und sie ist dem Mehrheitswillen nach unserer Verfassungsordnung nicht zugänglich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Unser Staat gründet sich auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, festgelegt in der Ewigkeitsklausel. Deswegen ist Ihre Interpretation von Artikel 20 Grundgesetz und Ihre Haltung zum Thema Volkssouveränität einfach verfassungsrechtlich falsch. Das Volk ist Legitimationsquelle und Träger der Staatsgewalt. Aber der Volkswille nimmt selbst keine staatsleitende Funktion wahr. Das ist eine ganz wichtige Unterscheidung, die Sie bewusst oder unbewusst nicht kennen.
(Beatrix von Storch [AfD]: Quatsch!)
Ich sage Ihnen: Die Erhebung des Volkswillens zur Richtschnur politischen Handelns befindet sich in einem am Ende des Tages antiliberalen, antidemokratischen Gedankengebäude, und das sind Sie von der AfD.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Enrico Komning [AfD]: Das kann nicht Ihr Ernst sein!)
Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten Madeleine Albright zitieren, die ehemalige US-Außenministerin, die geschrieben hat – Zitat –:
Eine illiberale Demokratie orientiert sich vornehmlich an den vermeintlichen Bedürfnissen der Gemeinschaft und nicht an den unveräußerlichen Rechten des Einzelnen.
Das ist ein Zitat aus dem Buch „Faschismus: Eine Warnung“.
Was ist denn das Zeichen autoritärer, antiliberaler und antidemokratischer Kräfte? Es dreht sich im Kern immer um die Erzählung, dass der angebliche Volkswille nicht beachtet würde. Der Volksbegriff wird als Ausgrenzungskriterium genannt. Er dient dazu, Menschen zu definieren, die nicht dazugehören: Migranten, Medien, Menschen anderer Religionen, anderer Hautfarbe, Minderheiten. Es geht um die Ablehnung von Vernunft, von Wissenschaft und die Ablehnung und Diskreditierung von Institutionen. Das durchzieht Ihren Gesetzentwurf und Ihre Volkswillenrhetorik. Deswegen entlarven Sie sich mit diesem Gesetzentwurf am Ende des Tages selbst.
Es geht Ihnen darum, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf deutlich machen, dass Sie von dem repräsentativen Charakter des Grundgesetzes und seiner demokratischen Ordnung abrücken wollen hin zu einer agitatorischen, antiliberalen Demokratie oder sogar einem antiliberalen autoritären Staat.
(Albrecht Glaser [AfD]: Polemik!)
Das ist der Kern Ihres politischen Handelns. Sie stehen damit – das ist heute schon angesprochen worden – in der Tradition der Deutschnationalen Volkspartei der Weimarer Zeit. Das hat nichts mit liberaler repräsentativer Demokratie zu tun. Deswegen werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)