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Dr. Volker Ullrich: "Radikalisierung bekämpfen"

Rede zu Islamismus in Deutschland

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Ende der Debatte darf ich das Gesagte einordnen. In Deutschland gilt Religionsfreiheit, und das gilt auch für den Islam. Aber die Religionsfreiheit wird, obwohl es ein schrankenloses Grundrecht ist, nicht ohne Schranken gewährt. Die Beschränkungen ergeben sich aus der verfassungsmäßigen Ordnung. Das bedeutet, dass Religionsausübung natürlich die grundlegenden Wertentscheidungen unserer Verfassung beachten muss: die Trennung zwischen Staat und Religion, Pluralismus, Individualität, die Würde des Menschen und die Unverletzlichkeit der Person.

Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass der Islamismus in seiner gewaltbereiten Ausprägung eine Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt. Der wehrhafte Rechtsstaat muss sich mit den Mitteln des Rechtsstaates, mit den Mitteln des Gesetzes und ordnungsgemäßer Verfahren gegen diese Bedrohung stellen. Wir dürfen dieser Bedrohung nicht begegnen, indem wir als Rechtsstaat selbst die Maßstäbe verlieren. Deswegen heißt es ganz klar, dass wir mit unserer gesetzlichen Ordnung gegen den Islamismus kämpfen. Das darf nicht dazu führen, dass wir Hasspredigen mit Hasspredigen vergelten. Vielmehr müssen wir deutlich machen, dass dieser freiheitliche demokratische Staat insgesamt gegen jeden Extremismus kämpft, gleich welcher Couleur; denn die Bedrohungen mögen aus unterschiedlichen Richtungen kommen, aber sie alle wollen die verfassungsmäßige Ordnung zersetzen. Dagegen setzen wir uns zur Wehr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist bereits viel über diesen Antrag gesagt worden. Er ist auch entlarvend, beispielsweise wenn Sie im Punkt 3 Ihres Beschlusstextes davon sprechen, dass sich Nichtdeutsche und Menschen mit Migrationshintergrund radikalisieren und abwenden. Ich kenne auch genügend Deutsche, die sich von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung abwenden wollen. Einige davon sind auch in Ihrer Partei. Solange Sie sich davon nicht distanzieren, machen Sie sich schuldig, dass auch Sie diese Ordnung beseitigen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt insbesondere auch für die Frage des Antisemitismus. Es ist schon ein perfides Spiel, wenn Sie auf der einen Seite eine Kooperation mit Israel vorschlagen und auf der anderen Seite jemanden in Ihren Reihen dulden – Herr Gauland hat Herrn Höcke einen Mann der Mitte genannt –, der eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad fordert. 180 Grad bedeutet: genau andersherum. Das zeigt, dass Sie all das, was unser Land groß gemacht hat, nämlich die Erinnerung an den Holocaust und die schlimmsten Stunden unserer Geschichte, beseitigen wollen. Sie haben es als Vogelschiss bezeichnet, Herr Kollege Gauland. Das zeigt, dass Sie es nicht ernst meinen und dass Sie Antisemitismus in Ihren Reihen dulden. Deswegen ist es entlarvend und peinlich, wenn Sie als AfD hier von einer Kooperation mit Israel sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es geht darum, dass wir Radikalisierung bekämpfen. Dazu brauchen wir einerseits den starken Rechtsstaat mit seinen Verfahren. Dort haben wir gehandelt und werden weiter handeln. Allein über 1 000 neue Stellen beim Bundeskriminalamt zeigen, dass wir dieser Gefahr ins Auge sehen und dass der wehrhafte Rechtsstaat handeln möchte.

Aber es ist nicht allein die Frage der gesetzlichen Voraussetzungen, sondern wir müssen auch über folgende Fragen sprechen: Warum radikalisieren sich Menschen? Warum wird jemand zum Hassprediger? Kein Mensch wird als Islamist, als Linksextremist oder als Rechtsextremist geboren. Menschen werden dazu. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Was passiert in sozialen Gemeinschaften, was passiert in entsprechenden Umfeldern, dass sich Menschen radikalisieren? Dieser Staat muss neben den gesetzlichen Grundlagen stärker in die Bildungs- und Präventionsarbeit investieren. Er muss sich fragen: Was können wir an den Schulen, was können wir bei den Lehrplänen tun, damit Menschen nicht zu Radikalen werden? Sie sollten Respekt und Toleranz üben und in Bezug auf die Religion deutlich machen, dass religiöse Vorschriften oder gar die gewaltsame Durchsetzung von religiösen Vorschriften nicht im Einklang mit unserer Verfassung stehen, vor allen Dingen auch nicht im Einklang mit einem toleranten und respektvollen Miteinander in diesem Staat. Das ist das, was uns leiten muss.

All das binden wir zusammen: die Wachsamkeit gegen den Extremismus religiöser Art, gegen den Extremismus anderer politischer Art, aber auch eine Ermutigung all derjenigen Menschen, auch der vielen Muslime, die schlichtweg friedlich, tolerant und respektvoll mit uns leben wollen. Das ist die Stärke unseres Landes. Die lassen wir uns von niemandem nehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)