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Dr. Thomas Maizière: Unterschiedliche Lebenssachverhalte muss man unterschiedlich regeln

Rede zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine 90 Wörter umfassen die Rechtsänderungen, die wir heute beraten. Aber wie Sie wissen, steht dahinter eine der großen Debatten, die wir in unserem Land haben, nämlich über die Frage: Wie regeln wir den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte?

Lassen Sie mich ein paar Grundprinzipien umreißen, bevor ich auf die Details der Regelung eingehe. Humanitäre und zugleich verantwortungsvolle Zuwanderungspolitik braucht eine klare Differenzierung zwischen unterschiedlichen Gruppen. Einwanderung einerseits und Schutz für Geflüchtete andererseits: Das sind zweierlei Dinge. Die darf man nicht vermischen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP)

Aber auch innerhalb der Gruppen der Schutzberechtigten ist zu unterscheiden. Auf der einen Seite stehen Schutzsuchende, die als politisch Verfolgte oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt worden sind. Auf der anderen Seite geht es um Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus. Diese Unterscheidung ist wichtig. Sie ist geltendes Recht, sie entspricht dem Völkerrecht, und sie ist Spiegel unterschiedlicher Lebenssachverhalte. Und unterschiedliche Lebenssachverhalte muss man unterschiedlich regeln. Auch hier brauchen wir differenzierte Regelungen.

Das führt mich zu einem zweiten Faktor von humanitärer und zugleich verantwortungsvoller Zuwanderungspolitik. Wir müssen dafür sorgen, dass Integration gelingt. Das kann aber nur dann gelingen, wenn Schutzberechtigte integrationsbereit sind und wir die Grenzen der Integrationskraft unseres Landes benennen und beachten. Unterbringung, Lebensunterhalt und Integration kosten. Integrationskurse, Schulen, Wohnung, Ausbildung und Arbeitsplätze, alles das muss geleistet werden. All das ist aber nur begrenzt leistbar. Das wissen die Kommunen in unserem Land am besten.

Nach internationalem Recht, nach Völkerrecht und nach europäischem Recht gibt es keine rechtliche Verpflichtung, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten unbegrenzt zu gewähren.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Der Status subsidiär geschützter Menschen ist rechtlich einer auf Zeit. Wer keinen Schutz mehr in Deutschland benötigt, soll wieder in seine Heimat zurückkehren. Auch davon hängt gesellschaftliche Akzeptanz ab.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP)

Wer jedoch Angehörige nachholt, dessen Aufenthalt verfestigt sich. Freiwillige Ausreisen oder Rückführungen werden damit – auch das gehört zur Wahrheit – deutlich erschwert. Solche Signale wollen wir vermeiden, auch wegen der Sogeffekte.

Zugleich sehen wir die Not mancher Familien. Wir sehen auch – dafür brauchen wir keine großen Studien von Kriminologen –, dass das Zusammenleben von Familien manchem Problem des gesellschaftlichen Abrutschens vorbeugt und manches im sozialen Umfeld stabilisiert; das ist wahr. Andererseits wollen wir nicht, dass Familienmitglieder – erst recht nicht Kinder – auf einer gefährlichen Reise vorgeschickt werden, um selbst später nachkommen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP)

All das, diese drei Erwägungen, führen in ein nicht einfach zu lösendes Dilemma. Es gibt dort keine einfachen Antworten. Das hat sehr überzeugend Altbischof Huber in einem großen Artikel der „Zeit“ geschrieben. Jeder, der sich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigt, wird und muss das zugeben.

Wir haben uns deshalb mit der SPD in den Sondierungen auf eine vernünftige, maßvolle Lösung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte verständigt. Wir haben die feste Absicht, bis zum Sommer hierzu eine Neuregelung zu verabschieden. Bis zum Inkrafttreten dieser Neuregelung aber müssen wir den Familiennachzug noch einmal kurz aussetzen. Das bildet der vorliegende Gesetzentwurf ab.

Zu den anderen Vorschlägen, die auf dem Tisch liegen, sage ich nur ganz kurz: Eine dauerhafte weitere bloße Aussetzung ist keine dauerhafte Lösung, sondern verschiebt nur eine Entscheidung. Sie wäre im Übrigen verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt. Ein dauerhaftes ausnahmsloses Nachzugsverbot wird andererseits menschlichen Härten nicht gerecht. Ein unbegrenzter Nachzug überfordert alle und befriedet nicht, sondern spaltet unser Land.

(Beifall bei der CDU/CSU, der AfD und der FDP)

Deshalb schlagen wir einen vernünftigen Kompromiss vor. Wir wollen mit der Neuregelung aus der bisherigen Anspruchsregelung eine Kontingentlösung machen. Das bedeutet: Statt eines Anspruchs ermöglichen wir künftig für die Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten einen monatlichen Nachzug von 1 000 Familienangehörigen. Kriterien für die Auswahl werden wir natürlich noch vorlegen und beraten.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Schätzungen zum Umfang des Familiennachzugs – die einen, wie die Abgeordnete Jelpke gestern, sagen, es seien sowieso nur 60 000, andere sagen, es seien Hunderttausende – erledigen sich mit einer Kontingentlösung. Sie können dahinstehen, wie wir als Juristen sagen; denn auf jeden Fall begrenzen wir den Familiennachzug auf 12 000 im Jahr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir setzen also künftig auf einen begrenzten, gesteuerten und gestaffelten Familiennachzug, dem eine humanitäre Auswahl zugrunde liegt. Er wird nur möglich sein, wenn die Ehen vor der Flucht bestanden haben – ein sehr wichtiger Punkt –, wenn keine schwerwiegenden Straftaten begangen wurden, wenn es sich nicht um Gefährder handelt und wenn eine Ausreise kurzfristig nicht zu erwarten ist. Wir verbinden mit dieser Lösung Humanität und Verantwortung. Das ist zumutbar, das ist legitim, das ist angemessen, und das ist verantwortungsvoll.

Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)