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Dr. Patrick Sensburg: Es ist unverständlich, warum einige die Geschichte verschieben wollen

Aktuelle Stunde - Demokratie und Erinnerungskultur in Deutschland angesichts rechtsextremistischer Angriffe

Liebe Kolleginnen und Kollegen! An diesem Dienstag hat mich eine Besuchergruppe aus dem Hochsauerlandkreis besucht und mit mir diskutiert. Ohne dass sie geahnt hat, dass wir heute eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema haben, hat sie mir ein Buch aus Schmallenberg mitgebracht: „Stolpersteine“. Das war eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern, die sich, wie sehr viele in Deutschland, mitten im gesellschaftlichen Leben für die deutsche Geschichte und das Thema Stolpersteine engagieren, sich dazu einbringen und sehr viel machen, unterstützt übrigens lokal in Schmallenberg vom Heimat- und Geschichtsverein Schmallenberg, vom Historischen Verein, vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe und vom Sauerländer Heimatbund, Bürgerinnen und Bürger mitten in unserer Gesellschaft.

Es ist unverständlich und auch nicht nachvollziehbar, warum einige dies immer wieder infrage stellen, auflösen wollen und Geschichte hier verschieben wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Das war einer! Nicht einige! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einige, von denen Sie sich nicht distanzieren!)

– Jetzt sagen Sie „einer“. – Herr Dr. Jongen, Sie haben eben gesagt – ich habe es mir aufgeschrieben –: Da hat einer übersteuert. – Ich habe mehrmals dazwischengerufen – das ist vielleicht nicht ganz höflich –: Ich hätte gerne gewusst, ob die AfD jetzt für Stolpersteine ist oder dagegen. Darauf haben Sie nicht geantwortet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karsten Hilse [AfD]: Wir sind für Stolpersteine! – Jürgen Braun [AfD]: Wir haben selber gesagt, wir sind für Stolpersteine!)

Sie haben gesagt: Da hat einer übersteuert. – Ich frage mich, wie es dann sein kann, dass in den kommunalen Parlamenten AfD-Mitglieder immer wieder die Beendigung der Stolpersteinaktion fordern, wie beispielsweise 2015 in der Stadt Arnsberg, ebenfalls in meinem Wahlkreis. Wieder nur ein Einzelfall?

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Bedauerlicher Einzelfall!)

Nein, das ist strukturell bei Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Entweder kennen Sie Ihre Leute nicht,

(Jürgen Braun [AfD]: Wir kennen nicht 30 000!)

oder Sie sollten erkennen, dass Sie ein strukturelles Problem mit der Rechtsradikalisierung der Themen haben und es absichtlich machen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Projekt Stolpersteine, das Gunter Demnig 1993 ins Leben gerufen hat, ist ein Projekt mitten in der Bevölkerung, mit vielen, vielen Engagierten. Es geht um die deutsche Historie, die Geschichte von uns allen. Es macht Menschen persönlich, nimmt sie aus der Masse heraus und macht sie zu Menschen mitten unter uns.

In dem Buch geht es um die Familie Max und ­Adele Frankenthal. Da heißt es: Im Schützenverein war er, nämlich Max Frankenthal, 1910 der erste jüdische Vizekönig. Auf dem Foto, das in dem Buch zu sehen ist, sehen Sie – wie im Sauerland bei Schützenfesten typisch –, dass sich die halbe Dorfgemeinschaft engagiert. Max Frankenthal wurde im Ersten Weltkrieg, wie auch seine Brüder, als Soldat eingezogen und kehrte erst am 19. Dezember 1918 nach Hause zurück, auch er mit dem Tapferkeitsorden, dem Eisernen Kreuz, dekoriert. – Das sind Menschen mitten in unserer Gesellschaft, von denen Sie – nicht nur in Einzelfällen – sagen, dass Sie ihnen die Würdigung und die Personalisierung nehmen wollen.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ach was! Da haben wir doch gar nichts dagegen! Was reden Sie denn da? – Jürgen Braun [AfD]: Unsinn! Wir sind doch für diese Leute!)

Sie wollen das abschaffen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich finde, das ist eine Schande für dieses Haus.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde habe ich einen Wunsch. Ich glaube, Sie haben gemerkt, dass wir hier im Deutschen Bundestag keine Radikalisierung dulden und keinen Extremismus tolerieren.

(Jürgen Braun [AfD]: Von den anderen Fraktionen da drüben schon!)

– Warten Sie doch ab, und hören Sie sich meinen Wunsch erst einmal an; vielleicht hilft es. – Ich wünsche mir, dass Sie in Ihrer Fraktion eine interne Debatte darüber führen, ob es wirklich richtig ist, dass, wie Sie sagen, einige wenige in extremistischen Jargon verfallen, diese Dinge auspacken und Sie alle damit identifiziert werden. Ich habe nämlich die Hoffnung, dass vielleicht auch bei Ihnen der eine oder andere vernünftig ist und nicht mit rechtsradikalem oder rechtsextremem Gedankengut in einen Topf geworfen werden will. Diesen Dialog wünsche und gönne ich Ihnen in Ihrer Fraktion.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)