Skip to main content

Dr. Norbert Röttgen: Im Irak sind die alten Konflikte wieder aufgebrochen

Rede in der Aktuellen Stunde zur Lage im Mittleren- und Nahen Osten

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht so leicht, nur fünf Minuten zur Lage im Nahen und Mittleren Osten zu sprechen. Ich bemühe mich, acht kurze Anmerkungen dazu zu machen. Mal sehen, wie weit ich komme.

Meine erste Anmerkung ist: Der „Islamische Staat“ ist militärisch-territorial besiegt. Der politische, soziale und ideologische Nährboden für den „Islamischen Staat“ ist noch vorhanden. Dem militärischen Kampf gegen den „Islamischen Staat“ muss jetzt der politische Kampf um die Menschen folgen: um die Sunniten, die sich marginalisiert, an den Rand gedrängt und von allen im Stich gelassen fühlen. Diesen Kampf um die Menschen müssen wir führen. Sonst wird der militärische Sieg bedeutungslos bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Es gibt eine weitere militärische Lösung: Es gibt eine militärische Lösung in Syrien. Es ist bitter, das hier auszusprechen, aber Russland und die Hisbollah – das heißt Iran – haben das verabscheuungswürdige Regime von Assad gestützt und dazu beigetragen, dass es einen militärischen Sieg dieser Staaten und Kräfte über die syrische Bevölkerung gibt, meine Damen und Herren.

Das ist ein trauriges Ergebnis, das wir dort verzeichnen müssen. Trotzdem ist meine Einschätzung, dass Russland trotz der auch völkerrechtswidrigen Maßnahmen, die Russland zu verantworten hat, kein Interesse hat, dauerhaft an der Seite von Assad und Hisbollah in einen endlosen und nicht zu gewinnenden Bürgerkrieg in Syrien verstrickt zu werden. Wir, die Europäer bzw. der Westen, sollten ausloten, ob mit Russland politisch ein Prozess in Syrien zu starten ist. So paradox es auf den ersten Blick scheint: Ich glaube, die Interessenlage Russlands spricht dafür, es zu versuchen. Wir müssen es versuchen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Drittens. Im Irak sind die alten Konflikte wieder aufgebrochen: die Machtverteilung, die Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden, die innerkurdischen Konflikte. Deutschland hat – wir haben gerade darüber diskutiert – an die Kurden Waffen geliefert, und wir leisten weiter militärische Ausbildung. Wir haben damit eine Verantwortung für den Irak übernommen. In einem halben Jahr finden dort Parlamentswahlen statt. Das Unabhängigkeitsreferendum, das der frühere kurdische Präsident Barzani durchgeführt hat, hat der langen Leidensgeschichte der Kurden im Irak ein weiteres trauriges Kapitel hinzugefügt. Wir haben jetzt Verantwortung, auch weil wir uns dafür engagiert haben, dass es wieder ein friedliches Miteinander im Irak gibt. Auch das ist jetzt eine deutsche Verantwortung, der wir uns stellen müssen.

Viertens. Der israelisch-palästinensische Konflikt war früher der Nahostkonflikt. Er ist an den Rand der Wahrnehmung geraten, aber er hält weiter an, und er zeichnet sich durch eine Verhärtung aus, wie es sie lange nicht gegeben hat. Man ist in diesem Konflikt weiter von der Zweistaatenlösung entfernt, als es bereits der Fall war. Sie war schon sehr nahe; jetzt ist sie wieder weit entfernt. Auch dieser Dauerkonflikt ist da, in einer großen Verhärtung und gewissermaßen fast in einer Perspektivlosigkeit. Auch diesen Konflikt dürfen wir nicht vergessen; denn er hält weiter an.

Fünftens. Im Zentrum der Lage in dieser Region steht die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Iran, die gerade wieder eskaliert ist. Wir haben auf der einen Seite eine aggressive Machtexpansion des Iran von Iran über den Irak in den Libanon – über die Hisbollah – und nach Syrien hinein – erneut über die Hisbollah –, die wir mit größter Sorge sehen, die wir kritisieren und die kein Beitrag zum Frieden in dieser Region ist. Auf der anderen Seite haben wir eine neue Demonstration von Machtanspruch in der Person des saudischen Kronprinzen, einen Machtanspruch nach außen und nach innen, verbunden mit einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reform­ehrgeiz im Inneren.

Wozu hat dieser neue Machtkonflikt der beiden, die Rivalität um die Vorherrschaft in der Region geführt? Zu einem fürchterlichen Krieg im Jemen, der der Zivilbevölkerung unvorstellbares Leid zufügt,

(Zuruf des Abg. Tobias Pflüger [DIE LINKE])

zu einem Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar und zu einer neuen Krise im krisengeschüttelten Libanon. Das ist die extrem verzwickte machtpolitische Konstellation, die im Zentrum steht und die nicht leicht auflösbar ist, sondern für längere Zeit bestehen bleiben wird.

Was wir in dieser Region brauchen, ist die Erhaltung von Gesprächsfähigkeit. Ich sage es hier ganz deutlich: Es macht keinen Sinn, polternd durch diese Region zu laufen, um am Ende die Gesprächsfähigkeit zu einem, nämlich Saudi-Arabien, vielleicht auch zu anderen wichtigen Akteuren zu verlieren. Wir brauchen die Erhaltung der Gesprächsfähigkeit als Bedingung von Diplomatie in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich mache zwei kurze abschließende Bemerkungen. Das Neue an dieser Lage für uns ist – das haben wir durch die Flüchtlingskrise gelernt –: Wir können unser Schicksal in Europa, die Stabilität unserer Gesellschaften nicht mehr losgelöst von den Konflikten, den Krisen und dem Hass in dieser Region betrachten. Wenn in Syrien Krieg ist, dann merken wir das in unseren Dörfern und in unseren Städten. Unsere Schicksale sind miteinander verbunden. Die dortige Disruption hat zu dieser neuen Lage geführt.

Abschließend meine letzte Bemerkung.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Aber bitte kurz, Herr Kollege Röttgen.

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):

Diese neue Lage von Krieg und Konflikt zwingt uns Europäer dazu – übrigens auch die neue Anti-Iranpolitik der amerikanischen Administration, die falsch ist, weil man ohne und gegen den Iran keine Lösung finden kann –, in dieser Region zu einer europäischen Politik zu kommen. Es ist unsere Nachbarregion. Wir sind am meisten betroffen. Wir sind am einflusslosesten. Es muss eine gemeinsame Politik der europäischen Staaten geben, die von diesen Konflikten betroffen sind.

Das ist die Schlussfolgerung. Es ist das politische Gebot an uns Europäer, an uns Deutsche, einen politischen Prozess zu organisieren, zu initiieren. Wir müssen uns in dieser Region engagieren, weil es vor allem um unsere Sicherheit und Stabilität in Deutschland und in Europa geht.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Vielen Dank.

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU):

Das ist die Schlussfolgerung.

Ich danke Ihnen sehr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)