Skip to main content

Tankred Schipanski: "Mittelmaß kann nicht unser Anspruch sein"

Rede zum PISA-Sofortprogramm

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Suding, ich glaube, keiner der Verantwortlichen redet die Ergebnisse der PISA-Studie schön. Keinen von uns stimmt das Ganze gleichgültig. Die PISA-Ergebnisse zeigen leider Gottes wiederholt, dass es in der deutschen Schulpolitik objektive Probleme gibt und sehr dringender Handlungsbedarf besteht. Mit diesen Problemen beschäftigt sich die Bildungspolitik schon sehr lange. Der Bund gibt seit Jahren aktive Hilfestellung, kann selbst jedoch nur beschränkt handeln, weil es sich hier um Schuldbildung und um Bildungsinhalte handelt, bei denen die Bundesländer die alleinige Zuständigkeit haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Der Bundestag hat fraktionsübergreifend verschiedene Initiativen angestoßen und den Bundesländern immer wieder die Hand gereicht, um die Probleme in gesamtstaatlicher Verantwortung zu lösen. Jüngst wurde diese Hand wiederum ausgeschlagen, indem zwei Bundesländer aus dem gemeinsam zwischen Bund und Ländern ausgehandelten Projekt Nationaler Bildungsrat ausgestiegen sind.

Das Gremium, das gegenwärtig auf die erneut schlechten PISA-Ergebnisse reagieren und konkrete Maßnahmen ergreifen muss, ist die Kultusministerkonferenz, kurz KMK. Dieses Gremium hat das Hohe Haus fraktionsübergreifend über Jahrzehnte konstruktiv begleitet und kritisiert, jedoch ohne Erfolg. Ergebnisse der Arbeit der KMK sind: Deutschland ist im internationalen Bildungsvergleich seit Jahrzehnten nur Mittelmaß, und Besserung ist nicht in Sicht. – Danke an Bundesministerin Anja Karliczek, die sehr richtig formuliert hat: Mittelmaß kann nicht unser Anspruch sein.

Ergebnis der Arbeit der Kultusministerkonferenz ist – das musste selbst das Bundesverfassungsgericht am 19. Dezember 2017 feststellen –, dass die innerdeutschen Bildungsabschlüsse nicht vergleichbar sind. Und bei dem Themenfeld „Transparenz von Bildungsabschlüssen“ ist das Bild nicht einen Deut besser. Das erleben wir tagtäglich in unserer bildungspolitischen Arbeit.

Mit dem von der FDP vorgeschlagenen Sofortprogramm werden diese Probleme nicht gelöst. Zudem laufen bereits viele Programme; das werde ich Ihnen am Schluss meiner Rede gerne aufzeigen. Wir haben eine umfangreiche Reformagenda; da gebe ich der FDP recht. Zur Umsetzung bedarf es aber eines Reformmotors. Auch an dieser Stelle sage ich voller Überzeugung, dass die KMK nicht der Reformmotor ist, den wir für diese Reformagenda dringend brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Obwohl der Nationale Bildungsrat gegenwärtig auf Eis liegt, halten die Länder – Gott sei Dank, so will ich sagen – an der Idee des Bildungsstaatsvertrages fest. Die Ministerpräsidentenkonferenz, kurz die MPK, ist dringend gefordert, diesen Bildungsstaatsvertrag zu verabschieden, genauso wie wir das vom Rundfunkstaatsvertrag – neu: Medienstaatsvertrag – kennen. Nur so erreichen wir verbindliche, einheitliche, allgemeine Bildungsstandards. Das wäre ein notwendiges Zeichen vonseiten der Länder, dass sie ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die KMK wird dies meines Erachtens nicht leisten können. Daher mein dringlicher Appell an die Ministerpräsidenten: Wir brauchen Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit der Schulsysteme. Wir brauchen endlich abgestimmte Bildungsstandards, die wesentliche Inhalte der allgemeinen Schulbildung verbindlich festlegen.

Sollte der Bildungsstaatsvertrag durch die MPK scheitern oder bei der Ratifizierung in den Landtagen scheitern, dann müssen wir als Bund im Sinne des Bundesstaatsprinzips, das sich aus Artikel 20 Grundgesetz ergibt, sowie aufgrund des Verfassungsauftrags der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse neue Handlungsstränge entwickeln, um die Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem zu sichern.

Meine Damen und Herren, die Zielsetzung des FDP-Antrags mithin ist zu begrüßen. Den Begründungen des Antrags will ich aber ausdrücklich widersprechen. Da lese ich etwas von „kleinkariertem Kompetenzgerangel“. Nein, liebe Frau Suding, das ist unsere Verfassung, um die es da geht. Da lese ich schon wieder etwas von „Kooperationsverbot“. Nein, wir haben über das Bundesstaatsprinzip ein Kooperationsgebot. Das haben wir aber alles schon in vielen Debatten hier besprochen.

Noch ein Blick auf die sogenannten PISA-Sofortmaßnahmen, die die FDP fordert. Sie wollen eine Strategie entwickeln. Ich glaube, es fehlt wirklich nicht an Erkenntnissen, es fehlt an Umsetzung.

(Katja Suding [FDP]: Dann machen Sie mal!)

Zu dem, was Sie hier zur frühkindlichen Bildung schreiben, sage ich: Ohne eigene Zuständigkeit macht der Bund mit allen Kitapaketen da schon eine ganze Menge. Ansonsten, was die Erzieherausbildung und Ähnliches angeht, liest sich der Antrag wie das CDU-Parteiprogramm.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist ja auch bei uns abgeschrieben!)

– Nein, umgekehrt.

Zur Forderung nach einem zweiten DigitalPakt sage ich – ich glaube, darüber haben wir uns schon oft genug ausgetauscht –: Wollen wir doch erst einmal den ersten ordentlich umsetzen, sodass das Ganze läuft.

Sie sprechen die MINT-Fächer an. Ich nenne den MINT-Aktionsplan und zwei Förderrichtlinien. Zur vorgeschlagenen Reform der Lehrerausbildung sage ich: Ohne Annette Schavan und die Qualitätsoffensive Lehrerbildung würde da noch gar nichts laufen. Die setzen wir im Übrigen aktiv fort. – So könnte ich die Aufzählung weiterführen.

Wenn ich dann noch lese, dass Sie uns über den Bildungsföderalismus belehren wollen, indem Sie auf Artikel 91b Absatz 2 des Grundgesetzes abstellen, den Sie selber mitbeschlossen haben, dann sage ich: Wir wissen doch gemeinsam, wer den abgeändert hat – das war letztlich der Bundesrat im Vermittlungsausschuss –, und dass wir gemeinsam nicht glücklich darüber waren.

(Zuruf des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD])

Aber ich glaube, man muss der Realität da ins Auge sehen.

Wenn ich am Ende Ihres Antrags lese: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung zur Einwirkung auf die Länder auf …“, dann sage ich: Ich bin sehr gespannt, mit welcher Rechtsgrundlage Sie das konkret begründen wollen.

Zum Schluss. Reformagenda für unsere Bildungsnation? Ja. Der Ball liegt jetzt bei der Ministerpräsidentenkonferenz. Wenn diese das Tor nicht trifft, dann müssen wir sie als Bund aus gesamtstaatlicher Verantwortung heraus beim Treffen unterstützen. Hierfür gilt es präventiv, geeignete Formate zu entwickeln, ganz im Sinne von Anja Karliczek: „Mittelmaß kann nicht unser Anspruch sein.“

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])