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Eckhard Pols: Gedenken darf nicht spalten!

Rede zur Gedenkstätte für Opfer des Zweiten Weltkrieges

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Unsere Fraktion beobachtet mit großer Sorge, dass die Erinnerungskultur und die Deutung des Zweiten Weltkrieges widersprüchlicher, ja, umstrittener sind denn je. Historiker sprechen gar von einem Erinnerungskrieg, der das Potenzial hat, neue Konflikte in Europa zu schüren.

Der „Spiegel“ schreibt Anfang Mai: „Dabei verläuft die am schwersten umkämpfte Frontlinie zwischen Polen und Russland.“ Das sind erstaunlicherweise die Länder, die am meisten unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten haben. Streitpunkte sind etwa die eigene Opferrolle, der Hitler-Stalin-Pakt, der 1939 zur Aufteilung Polens führte, und die damit verbundene Frage, ob die Sowjetunion eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges trägt.

Meine Damen und Herren, diese Auseinandersetzung wird auch hierzulande geführt, und die versuchte Einflussnahme reicht bis in den Deutschen Bundestag. Aufgrund der deutschen Verantwortung für die Millionen Opfer der größten Tragödie des 20. Jahrhunderts muss sich die Bundesrepublik Deutschland dieser geschichtspolitischen Herausforderung stellen.

Warum ist diese Entwicklung so brandgefährlich? Weil in Deutschland die politische Rechte unter Führung der AfD eine Neubewertung des Nationalsozialismus anstrebt. Bewusst werden einzelne Ereignisse des Weltkrieges, wie die Bombardierung Dresdens, instrumentalisiert und Deutsche ausschließlich als Opfer thematisiert.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist doch Quatsch!)

Dahinter steckt die Strategie, den Fokus auf die Kriegsverbrechen der Alliierten zu richten, um die deutsche Schuld zu relativieren.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Auch Quatsch!)

Der vorliegende AfD-Antrag benutzt in geradezu skandalöser Weise die wegweisende Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1945, um eine Gedenkstätte für deutsche Opfer des Zweiten Weltkrieges zu begründen. Dabei blendet sie die Vorgeschichte des Krieges, die Machtergreifung der Nationalsozialisten, und die Millionen NS-Opfer, die Weizsäcker selbstverständlich in den Vordergrund gestellt hat, völlig aus.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Aber die anderen eben auch!)

Weizsäcker erinnerte aber eben auch an die deutschen Opfer des Widerstands oder an die Heimatvertriebenen.

(Dr. Marc Jongen [AfD]: Zu Recht!)

Die AfD hantiert, etwa bei Flucht und Vertreibung, mit höheren Opferzahlen, als sie in der aktuellen Forschung als gesichert gelten. Es ist ein Angriff auf die deutsche Erinnerungskultur, die uns Achtung in der Welt verschafft hat, wenn die AfD den Opfermythos der 50er-Jahre wiederbeleben will. Zudem ist der Antrag handwerklich miserabel. Der Antrag ist gemessen an wissenschaftlichen Standards wahrhaftiger Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs eine absolute Niederlage, und Sie werden damit auch nicht durchkommen.

(Marianne Schieder [SPD]: Um das geht es ihnen auch nicht!)

Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hat sich seit 1949 für Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den NS-Opfern und für Solidarität und Lastenausgleich in der eigenen Bevölkerung eingesetzt, die von den Kriegsfolgen unterschiedlich betroffen war. Wir verurteilen deshalb jede Form von Geschichtsklitterung in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg auf das Schärfste.

(Marianne Schieder [SPD]: Gut!)

Angesichts der neuen geschichtspolitischen Herausforderungen ist es zwingend erforderlich, über die bisherigen Initiativen zur Erweiterung des Gedenkens an den Zweiten Weltkrieg und dessen Opfer hinauszugehen.

Die zukünftige Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges muss mit einem umfassenden Ansatz erfolgen. Dabei müssen alle Aspekte seiner Geschichte – von der Besatzungsherrschaft über die Zwangsarbeit bis zum Bombenkrieg – ausgewogen berücksichtigt werden.

Unsere Fraktion hält am Postulat von Weizsäcker fest: Wir müssen der historischen Wahrheit ins Auge sehen, „ohne Beschönigung und ohne Einseitigkeit“.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Marc Jongen [AfD]: Genau, „ohne Einseitigkeit“!)

Ich stimme daher dem Staatsminister Michael Roth vollkommen zu, der am 8. Mai in der „Frankfurter Rundschau“ äußerte, dass Erinnern kein Kampfinstrument der politischen Auseinandersetzung sein darf. Gedenken darf nicht spalten!

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das wäre schön! – Dr. Marc Jongen [AfD]: Das wäre schön! Wünschen wir uns!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)